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Detlef Ignasiak / Jens Kirsten
Das literarische Thüringen, Bucha 2018 / Thüringer Literaturrat e.V.
Nach dem Heiligen Willibrord (um 658–739), der in der Gegend um Ohrdruf gegen Anfang des 8. Jahrhunderts missionierte, kam Bonifacius im Sommer 719 erstmals nach Thüringen, um »die wilden Völker Germaniens zu besuchen und zu erforschen, ob die unbebauten Gefilde ihrer Herzen von der Pflugschar des Evangeliums zu beackern seien und den Samen der Predigt aufnehmen wollten«. 724/25, nun mit einem Schutzbriefs des Frankenherrschers Karl Martell, war er während seiner zweiten Missionsreise in Ohrdruf, wo er in der Nähe eines heidnischen Quellheiligtums – vermutlich am heutigen Bonifatiusplatz – das erste thüringische Kloster gründete. Der Turm der 1945 zerstörten Kirche ist der Nachfolgebau der von ihm errichteten Kapelle. Der Überlieferung nach »umleuchtete himmlische Klarheit sein Lager, und er ward der Zusprache eines Engels gewürdigt«, weshalb er das Kloster dem Erzengel Michael weihte. Abt des Klosters war einige Zeit Bonifacius‹ Mitstreiter Wigbert (um 670–738). Auch Wunibald (701–61) könnte sich in Ohrdruf aufgehalten haben, da ihn Bonifacius 739 für die Missionsarbeit nach Thüringen verpflichtete. 777 weihte der Mainzer Erzbischof Lullus (um 710–86), ebenfalls ein Schüler von Bonifacius, in unmittelbarer Nachbarschaft des Klosters, beim späteren Gleichenschloss Ehrenstein, die Peterskirche, der 980 ein Chorherrenstift angeschlossen wurde. Otto der Große machte 961 auf seinem Weg zur Kaiserkrönung in Rom dort Station und urkundete hier. 1184 brannte das Stift ab und wurde nicht wieder aufgebaut. In der Sage, die den Stadtnamen herleitet, ist es Bonifatius, der sein Ohr auf die Erde legt und es rauschen hört, in der Sagenerzählung »Ohr druff« (1838) von Ludwig Bechstein dagegen ein einfacher Mönch. Im ersten Band von Gustav Freytags Romanzyklus »Die Ahnen« (1872–1880), dessen 2. Teil »Ingraban« im Jahr 724 in der Gegend von Ohrdruf spielt, ist Bonifatius eine literarische Figur.
Der aus dem nahe gelegenen Wölfis stammende Philosoph und Schriftsteller Wolfgang Heider (1558–1626) besuchte die Schule in Ohrdruf und Magdeburg, wo der Lehrdichter Georg Rollenhagen sein Lehrer war. Nach seinem Studium in Jena wurde Heider einer der wirksamsten philosophischen Lehrer seiner Zeit, der dem Naturrechtsdenken in Deutschland den Weg ebnete. Eine seiner Vorlesungen über politische Moral kündigte Heider mit im Gestus den Grundgedanken der Schillerschen Antrittsvorlesung von 1789 vorwegnehmenden Worten an: »Non tantum scholae, sed etiam vitae, et huic maxime quidem docibet.« (Nicht für die Schule, sondern in besonderem Maße für das Leben soll gelernt werden).
Aus der beim Michaeliskloster bestehenden Schule ging 1564 das Gymnasium Gleichense hervor, dessen berühmtester Schüler (1695–1700) Johann Sebastian Bach war, der nach dem Tod seiner Eltern zu seinem Bruder Johann Christoph Bach (1671–1721) übergesiedelt war. Ohrdrufer Superintendent war zu dieser Zeit der Pädagoge und wissenschaftliche Schriftsteller Johann Abraham Kromeyer (1665–1733), ein Enkel von Johann Kromeyer.
1610 wurde Georg Nikolaus Erasmus in Ohrdruf geboren. Nach einem Studium der Theologie wurde er 1641 Prediger in Laage bei Güstrow, wo er 1679 starb.
Der 1629 geborene Johann Matthäus Junker war nach seinem Studium in Jena und Leipzig zunächst Notar und Hofadvokat in Waltershausen und schließlich Kanzleisubstitut in Ohrdruf. Er starb um 1703 in Waltershausen.
1667 wurde Johann Georg Doehler in Ohrdruf als Sohn des damaligen Bürgermeisters der Stadt geboren. Er studierte von 1686–1690 Jura in Jena, Altdorf bei Nürnberg und Leipzig. 1692 wurde er Hofadvokat in Eisenach und nach seiner Promotion 1705 Vormundschaftskommissar. Von 1771–1776 war er Rat des Landgrafen von Hessen-Rotenburg, später Hof- und Justizrat in Meiningen; ab 1719 Gymnasialprofessor in Hildburghausen und nach einem Aufenthalt in Frankfurt am Main Konsistorialrat und Gymnasialinspektor in Gera.
Johann Christoph Fröbing wurde 1746 in Ohrdruf geboren, studierte Theologie in Göttingen, war Hauslehrer, ab 1776 Konrektor der Neustädter Stadtschule in Hannover, ab 1795 Pfarrer in Lehrte und ab 1799 Diakon in Mark-Oldendorf, wo er 1805 starb.
Der 1738 in Gotha geborene Johann Friedrich Krügelstein starb 1813 in Ohrdruf. Nach seinem Medizinstudium war er ab 1761 Landphysicus in Ohrdruf und wurde 1766 durch Fürst Heinrich August Wilhelm von Hohenlohe zum Hofmedikus ernannt. Er war Bürgermeister von Ohrdruf, der zwischen 1788–1792 für die Systematisierung des Ohrdrufer Stadtarchivs Sorge trug und sich als Chronist der Stadt verdient machte. 1810 wurde er zum Herzoglichen Rat ernannt.
1860 wurde hier Richard Muther geboren. Nach einem Studium der Philologie, Geschichte und Kunstgeschichte in Berlin und Leipzig war er Assistent am Königlichen Kupferstichkabinett der Hofbibliothek München. Ab 1895 wirkte er als Professor in Bresalau. Er starb 1909 im niederschlesischen Wölfelsgrund, Niederschlesien (heute: Międzygórze, Polen).
Aus Ohrdruf stammt der 1892 geborene Karl Theodor Weigel, der als Jugendlicher Mitglied des Wandervogels war, sich 1915 als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg meldete und nach Kriegsende 1918 Lehre als Buchhändler im Verlag Erich Matthes in Hartenstein absolvierte. 1921 gründete er einen Verlag und eine Buch- und Kunsthandlung in Bad Harzburg, die 1928 in Konkurs ging. Ab 1930 war Weigel Redakteur der »Bad Harzburger Zeitung«. Weigel wurde 1931 Mitglied der NSDAP, 1934 Gaupresseamtsleiter im Gau Südhannover-Braunschweig und 1936 Leiter »Hauptstelle für Sinnbildforschung«. 1937 trat er in das SS-Forschungsamt »Ahnenerbe« ein. Nach Kriegsende wurde er bis 1947 von den alliierten Truppen interniert, lebte dann bis zu seinem Tod 1953 als Vertreter in Detmold.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf dem Muschelkalkplateau hinter der Stadt ein Truppenübungsplatz eingerichtet, auf Reinhard Buchwald und Heinrich Weinel im Ersten Weltkrieg Dienst taten. Der baltendeutsche Schriftsteller Werner Bergengruen (1892–1964), der 1933 Ohrdruf besuchte, schrieb in seinem noch heute lesenswerten Buch »Deutsche Reise« von 1934 über Ohrdruf sarkastisch: »Die Stadt … ist nicht groß, aber von jener unverhältnismäßigen Geräumigkeit, die Truppenübungsplätze eigen zu sein pflegt.«
Seit Ende 1944 bestand in Ohrdruf eine Außenstelle des KZ Buchenwald mit zum Schluss 11.000 Häftlingen. Am 7.3.1945 wurde Fred Wander nach Ohrdruf überstellt. Über den sich anschließenden Todesmarsch gibt er in »Der siebente Brunnen« (1971) Auskunft. Am 5.4.1945 wurde das Lager S III, dessen Insassen kurz zuvor auf einen weiteren Todesmarsch geschickt wurden, von General Dwight D. Eisenhower (1890–1969) befreit. Für den späteren amerikanischen Präsidenten (1953–1961) war es die erste Konfrontation mit den Schrecken des NS-KZ-Systems: »Ich habe diesen Besuch in der Absicht gemacht, um als Augenzeuge dienen zu können, wenn es in der Zukunft einen Versuch geben sollte, diese Dinge als Propaganda abzutun.« General George S. Patton (1885–1945) bekräftigte in seinem Erinnerungsbuch »Krieg, wie ich ihn erlebte« (1950): »Es war das Fürchterlichste, was man sich vorstellen kann.«
Ebenfalls aus Ohrdruf stammt die 1923 geborene Ursula Enderle, die für den Rundfunk und als Auslandskorrespondentin der DDR arbeitete. Sie veröffentlichte vorwiegend Reisebücher.
Der 1953 in der sowjetischen Gulag-Stadt Workuta geborene Sergej Lochthofen, der mit als Fünfjähriger mit seiner Familie in die DDR übersiedelte, besuchte die Schule der russichen Garnison in Ohrdruf. Über diese Zeit gibt er in seinen Büchern »Schwarzes Eis« (2012) und »Grau« (2014) Auskunft.
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