Gino Hahnemann

1946      Jena

2006      Berlin

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Weimar

Artikel

Im Fluchtrausch oder: »Wei mer briefat« sind –Auf den Spuren von Gino Hahnemann

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Gino Hahnemann

Autor

Jens-Fietje Dwars

Literarische Gesellschaft Thüringen e.V.

Gino Hah­ne­mann (1946–2006) wurde in Jena als Karl-Heinz Tan­zyna gebo­ren. 1965 bis 1970 hat er an der Hoch­schule für Archi­tek­tur und Bau­we­sen in Wei­mar stu­diert, durch die  Ver­mitt­lung des DDR-Star­ar­chi­tek­ten Her­mann Hen­sel­mann Häu­ser für die Künst­ler-Elite in Ber­lin ent­wor­fen, doch dann den Brot­be­ruf mit sei­nen viel­fäl­ti­gen Kom­pro­mis­sen auf­ge­ge­ben und den Schritt in die Kunst gewagt.

Seit 1973 ver­diente als frei­be­ruf­li­ches Man­ne­quin für das DDR-Mode­insti­tut das Vier­fa­che des Hono­rars in einem Bruch­teil der auf­ge­wen­de­ten Zeit, wäh­rend er die andere, seine Lebens­zeit dazu nutze, für Unter­grund­zeit­schrif­ten im Prenz­lauer Berg zu schrei­ben, Kurz-Filme mit Super‑8 zu dre­hen und Per­for­man­ces in Hin­ter­hö­fen zu orga­ni­sie­ren, kurz: ein selbst­be­stimm­tes Leben als Künst­ler zu führen.

Als beken­nen­der Schwu­ler, der wie ein Bohe­mien lebte, war er in der offi­zi­el­len DDR-Kunst­szene ein dop­pelt aus­ge­blen­de­ter Außen­sei­ter. Doch zugleich als hoch dotier­tes Model ein mate­ri­ell abge­si­cher­ter Bür­ger, dem der Staat keine Aso­zia­li­tät vor­wer­fen konnte, der viel­mehr in den Krei­sen der Oppo­si­tion selbst als ein Ange­pass­ter erschien. Einer, der die Schi­zo­phre­nie der Ver­hält­nisse gelebt und bestehende Frei­räume für seine eigene Krea­ti­vi­tät genutzt hat.

Sein sechs­bän­di­ges Tage­buch »Die Schleif­spur des Geschwin­dig­keits­mes­sers im Fluch­t­rausch«, an dem er die letz­ten acht Jahre sei­nes Lebens schrieb, spricht von der fort­ge­setz­ten Absur­di­tät der Ver­hält­nisse auch nach der »Wende«: Jetzt konn­ten zwar seine Gedichte bei Gal­rev und in Ger­hard Wolfs Janus Press erschei­nen, doch gin­gen sie sogleich in den Wogen der markt­kon­for­men Lite­ra­tur unter, die nun auch den Osten beglückte. Er erhielt ein Rom-Sti­pen­dium, wollte aber kein Staats­dich­ter sein. Und das Bit­terste: die einst gelebte Kul­tur der Hin­ter­höfe zer­fällt, indem sie schick wird, die Szene, die einst den eige­nen Wor­ten ein leben­di­ges Echo gab, zer­bricht, weil nun jeder sei­nen Markt­wert zu erhö­hen trach­tet, trach­ten muss.

Sar­kas­tisch, sprach­ex­pe­ri­men­tell regis­triert Hah­ne­mann, was ihm (und ande­ren) geschieht, beglei­tet sei­nen Lebens­ge­fähr­ten, der an der neuen Bau­haus­uni­ver­si­tät Kom­mu­ni­ka­tion stu­diert (»man kom­mu­ni­ziert nicht mehr, man stu­diert es«) nach Wei­mar, schreibt einen gro­tes­ken Sti­pen­di­en­an­trag an das Thü­rin­ger Kul­tus­mi­nis­te­rium, der natür­lich abge­lehnt wird, und bit­tet zuletzt einen Wei­ma­rer Freund, sich sei­nes Nach­las­ses anzunehmen.

Der Freund ermög­licht Ginos Beer­di­gung auf dem Doro­the­en­städ­ti­schen Fried­hof, gewinnt Wal­ter Sachs für einen Grab­stein und erreicht, dass 2008 ein Archiv der Aka­de­mie der Künste für den Nach­lass des Lebens­künst­lers ein­ge­rich­tet wird.

Heft 2/2008 der Thü­rin­ger Lite­ra­tur­zeit­schrift »Palm­baum« hat seine Texte an den Ort zurück gebracht, an dem er gebo­ren wurde.

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