Mühlhausen

Personen

Georg Neumark

Friedrich Hebbel

Georg Bötticher

Siegfried Pitschmann

Ort

Mühlhausen

Thema

Ortsporträts

Autor

Detlef Ignasiak

Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2018.

Einem in Mühl­hau­sen ansäs­si­gen Reichs­mi­nis­te­ri­alen­ge­schlecht ent­stammt der Deutsch­or­dens­pries­ter und erste Bischof des Sam­lan­des (Königs­berg) Kris­tan von Mühl­hau­sen (+ 1295). In Mühl­hau­sen wur­den die Kom­po­nis­ten Johann Eccard (1553–1611) und Johann Rudolf Ahle (1651–1706) gebo­ren. Johann Sebas­tian Bach war 1707–1708 Orga­nist an der Divi-Bla­sii-Kir­che. Fer­ner stam­men aus Mühl­hau­sen der Phy­si­ker und Arzt Gott­fried Chris­toph Bei­reis (1730–1809), den Goe­the 1805 in Helm­stedt besuchte, der bedeu­tende preu­ßi­sche Archi­tekt Fried­rich August Stü­ler (1800–65, des­sen Geburts­haus sich in der Her­ren­straße 1 befin­det, und der in den USA bekannte Brü­cken­bauer Johann August Röb­ling (1806–69, an des­sen Wir­ken ein Denk­mal auf dem Unter­markt erin­nert. Von hier stam­men auch der His­to­rien- und Kir­chen­ma­ler Carl Gott­fried Pfann­schmidt (1819–87) und der Bau­haus­ar­chi­tekt (Ber­li­ner Luft­brü­cken­denk­mal) Edu­ard Lud­wig (1906–60).

Die Viel­tür­mig­keit, die gut erhal­tene Innere Stadt­mauer und die immer wie­der von Frem­den geprie­sene Geschlos­sen­heit der Dach­land­schaft erin­nern an die große Ver­gan­gen­heit Mühl­hau­sens als Freier Reichs­stadt, zu der ein beträcht­li­ches Land­ge­biet gehörte. Nach­dem die Stadt aber 1802 an Preu­ßen gefal­len war, wurde der schon begon­nene Abstieg in die Pro­vin­zia­li­tät noch beschleu­nigt. Zudem fand Mühl­hau­sen kaum Anschluss an die moder­nen Ver­kehrs­wege und wurde wenig indus­tria­li­siert. Da an der Stadt auch der Bom­ben­krieg vor­über­ge­gan­gen ist und in der DDR-Zeit wenig abge­bro­chen wurde, ver­fügt sie heute über eine der am bes­ten erhal­te­nen Alt­städte Thüringens.

Walt­her von der Vogel­weide nahm ver­mut­lich am 6. 3. 1198 in Mühl­hau­sen an der Hul­di­gung Phil­ipps von Schwa­ben zum deut­schen König durch die Reichs­fürs­ten teil, womit der ver­häng­nis­volle Thron­streit zwi­schen Stau­fern und Wel­fen begann und Thü­rin­gen zum Kampf­platz wurde. Im Zusam­men­hang mit die­sem Ereig­nis steht Walt­hers zwei­ter »Reichs­ton­spruch«, den er in Mühl­hau­sen gedich­tet haben könnte:

Ich hört ein Was­ser rauschen;
den Fisch­lein konnt ich lauschen;
ich schaute, was erfüllt die Welt;

Sie wäh­len Kön’ge, ord­nen Recht,
sie set­zen Her­ren ein und Knecht,
Wie steht im deut­schen Lande die Ord­nung! Wel­che Schande,
dass selbst die Mücke wird regiert,
doch deine Ehre sich verliert!

Wachs­mut von Mühl­hau­sen, 1267 wird der Sohn eines »Vast­mude de Mul­hu­sen« genannt, die­ses Indiz und seine Reim­spra­che ver­wei­sen den Min­ne­sän­ger nach Nord­t­hü­rin­gen. So wird er wohl in der Mitte des 13. Jahr­hun­derts in Mühl­hau­sen gelebt und gedich­tet haben. Wachs­mut stand als Minis­te­riale ver­mut­lich dem Laza­rus­or­den nahe,was sein Sohn bezeugt, der in Brei­ten­bich nörd­lich von Mühl­hau­sen ein Ordens­haus besaß. Die »Große Hei­del­ber­ger Lie­der­hand­schrift« kennt von Wachs­mut fünf Lie­der. Auf eines bezieht sich sein Bild:

Deine hell strah­len­den Augen
haben einen Pfeil
in mein Herz geschossen,
dass ich gar nicht anders mehr kann,
als mit Ver­gnü­gen dein eif­ri­ger Die­ner zu sein.

Dar­auf zielt die Dame auf den ihr erge­be­nen Rit­ter mit einem gol­de­nen Pfeil.

Diet­rich Schern­berg, auch Theo­do­ri­cus Schern­bergk, bezeugt 1483–1502 als Notar und Vikar an der Johan­nes­ka­pelle auf dem Blo­bach, ist der erste nament­lich fass­bare Thea­ter­dich­ter Thü­rin­gens, als sol­cher Ver­fas­ser des effekt­rei­chen Teu­fels­bünd­ner­spiels »Von Frau Jut­ten«, wel­ches 1480 erst­mals auf­ge­führt wurde. Dabei stützte sich Schern­berg auf die seit dem 13. Jahr­hun­dert ver­brei­tete Legende von der »Päps­tin Johanna«, die erst durch Schwan­ger­schaft »ent­tarnt« wurde. Am Ende des Stü­ckes wird Jutta von einem von Chris­tus gesand­ten Erz­engel dem Teu­fel ent­ris­sen. Das Stück ent­hält Angriffe auf das Papst­tum und ist mit Recht in die Nähe der Refor­ma­tion gerückt wor­den. So sah der erste Edi­tor (1565) des Stü­ckes, der Mühl­hau­se­ner Super­in­ten­dent Hie­ro­ny­mus Tile­sius (1529–66), in ihm »ein will­kom­me­nes Pam­phlet, um gegen die Reka­tho­li­sie­rung der Freien Reichs­stadt auf­zu­tre­ten und auf die gra­vie­ren­den Fol­gen pries­ter­li­cher Ehe­lo­sig­keit hinzuweisen«.

Tho­mas Münt­zer, um 1490 in Stol­berg am Harz gebo­ren, wurde am 27. 5. 1525 vor Mühl­hau­sen hin­ge­rich­tet. Münt­zer, erst Par­tei­gän­ger, dann schärfs­ter Wider­sa­cher Mar­tin Luthers, ent­stammt ver­mut­lich einer begü­ter­ten Fami­lie, doch ist über sei­nen Lebens­weg bis 1523 kaum Siche­res bekannt. Sein mög­li­ches Geburts­jahr wurde aus der 1506 in Leip­zig erfolg­ten Imma­tri­ku­la­tion erschlos­sen. Zeit­ge­nös­si­sche Bild­nisse exis­tie­ren nicht.

Münt­zer ist für Mühl­hau­sen die zen­trale his­to­ri­sche Bezugs­fi­gur, wenn­gleich sein Bild all­ge­mein und seine Rolle in Mühl­hau­sen nach 1989 zurecht­ge­rückt wurde. Er kam Mitte August 1524 nach Mühl­hau­sen, gewis­ser­ma­ßen auf der Flucht, und wurde bereits am 27. 9. aus­ge­wie­sen. Ebenso wie der ehe­ma­lige Zis­ter­zi­en­ser­mönch Hein­rich Pfeif­fer, der sich seit 1523 in der Stadt auf­hielt und mit dem sich Münt­zer ver­band. Mit ihren »Elf Arti­keln« ver­such­ten beide, den Stadt­rat zu radi­ka­li­sie­ren. Erst Ende Februar 1525 kehrte Münt­zer nach Mühl­hau­sen zurück und wurde Pfar­rer an der Mari­en­kir­che. Am 27. 4. ver­ließ er sein Amt und schloss sich einem Bau­ern­hau­fen an.

Jus­tus Menius kam 1542 als Visi­ta­tor nach Mühl­hau­sen und setzte die Refor­ma­tion prak­tisch gewalt­sam durch. Er wirkte zwei Jahre als Pfar­rer an der Divii-Bla­sii-Kir­che. Lud­wig Helm­bold, der 1532 in Mühl­hau­sen gebo­ren wurde und 1598 hier starb, war Dich­ter und Theo­loge, des­sen Lie­der (»Von Gott will ich nicht las­sen«, 1563; »Nun lasst uns Gott dem Her­ren Dank sagen«, 1575) von J. von Burgk und J. S. Bach ver­tont wur­den. Der aus West­fa­len stam­mende Lie­der­dich­ter Phil­ipp Nico­lai (1556–1608) war sein Schüler.

Der Dra­ma­ti­ker und Recht­schreib­re­for­mer Johan­nes Gir­bert, der um 1597 in Jena gebo­ren wurde, starb 1671  in Mühl­hau­sen. Er ließ in Mühl­hau­sen Schul­dra­men auf­füh­ren und ver­fasste sein lin­gu­is­ti­sches Haupt­werk »Die deut­sche Gram­ma­tica oder Sprach­kunst« im Jahr 1653, in dem die Groß­schrei­bung von Sub­stan­ti­ven, Satz­an­fän­gen und Eigen­na­men gefor­dert wird, was die Dru­cker dank­bar annah­men, um die Majus­keln bes­ser nut­zen zu können.

Der Dich­ter Georg Neu­mark wuchs von 1624 bis 1632 in Mühl­hau­sen auf, wo sein Onkel Gott­fried Plath­ner das höchste poli­ti­sche Amt beklei­dete, wäh­rend der Vater eine Tuch­ma­che­rei und einen Gast­hof betrieb. Warum die­ser mit sei­ner Fami­lie nach Mühl­hau­sen umzog, ist nicht bekannt.

Veit Lud­wig von Secken­dorff besuchte in Mühl­hau­sen die Schule, nach­dem man sei­nen aus alt­frän­ki­schem Adel stam­men­den Vater wegen Kon­spi­ra­ti­ons­ver­dachts hin­ge­rich­tet hatte. Dadurch wurde Ernst der Fromme auf den begab­ten Kna­ben auf­merk­sam und holte ihn nach Gotha.

Fried­rich Gott­lieb Klopstock hatte ver­wandt­schaft­li­che Bezie­hun­gen zur Mühl­hau­se­ner Kauf­manns-Fami­lie Lut­teroth, deren Haus, Felch­taer Straße 10, erhal­ten ist. Die aus Lan­gen­salza stam­mende Chris­tiane Schmidt, die Schwes­ter von Klopstocks Mut­ter Anna Schmidt, war mit dem Mühl­hau­se­ner Rats­herrn Chris­tian Lut­teroth ver­hei­ra­tet. Es ist zu ver­mu­ten, dass der junge K. in sei­ner Lan­gen­sal­zaer Zeit seine Mühl­hau­se­ner Ver­wand­ten besuchte und diese sogar mit dem Eis­lau­fen bekannt machte.

Gott­fried Demme, der spä­ter unter dem Pseud­onym Karl Stille schrieb, wurde 1760 in Mühl­hau­sen gebo­ren. Nach sei­nem Phi­lo­so­phie­stu­dium in Jena wirkte er ab 1785 als Sub­rek­tor am Gym­na­sium in Mühl­hau­sen. Zwi­schen 1796 und 1801 war er Pfar­rer und Super­in­ten­dent. Er führte neue Gesang­bü­cher ein und schrieb zahl­rei­che Lie­der, unter sei­nem Pseud­onym auch Romane.

Wil­helm Gott­lieb Tile­sius von Tilenau wurde 1769 in Mühl­hau­sen gebo­ren, wo er 1857 starb. Er lehrte an der Uni­ver­si­tät Leip­zig und nahm als Arzt und Zeich­ner an der Welt­um­seg­lung des Rus­sen Adam Johann von Kru­sens­tern teil. Dar­über schrieb er eine mehr­bän­dige »Reise um die Welt in den Jah­ren 1803–06«, die zwi­schen 1808 und 1813 erschien.

Erwäh­nen läßt sich der 1828 hier gebo­rene Mund­art­dich­ter Georg Wolff, der 1919 auch hier starb. Der 1820 in Bretsch in der Alt­mark gebo­rene Lyri­ker und wis­sen­schaft­li­cher Schrift­stel­ler Karl Wil­helm Oster­wald starb 1887 in Mühlhausen,

Fried­rich Heb­bel kam auf sei­ner »Hun­ger­wan­de­rung« von Mün­chen nach Ham­burg im März 1839 nach Mühl­hau­sen In dem hier geschrie­be­nen Gedicht »Win­ter­reise«

Wie durch so man­chen Ort
bin ich nun schon gekommen,
Und hab’ aus kei­nem fort
Ein freund­lich Bild genommen.
Man prüft am frem­den Gast
Den Man­tel und den Kragen
Mit Bli­cken, wel­che fast
Die Liebe untersagen,

reflek­tiert Heb­bel seine bit­tere Not. Ernst von Wolzo­gen, der 1868 bis 1870 das Gym­na­sium »in dem net­ten alten Städt­chen mit der anmu­ti­gen Umge­bung« besuchte, weil er sei­nem nach Mühl­hau­sen ver­setz­ten Leh­rer folgte, wohnte Am Blo­bach 4.

Georg Böt­ti­cher, des­sen Vor­fah­ren väter­li­cher­seits aus Mühl­hau­sen stam­men, kam im August 1870 bei sei­nem Onkel Stadt­rat Carl Gus­tav Schotte, Ehe­mann der Schwes­ter sei­nes Vaters, unter, nach­dem er Paris wegen des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges hatte ver­las­sen müs­sen. Er ver­suchte in Mühl­hau­sen, seine Tätig­keit als Mus­ter­zeich­ner fort­zu­set­zen und Fach­ar­ti­kel zu plat­zie­ren, die ihn schließ­lich mit der Firma Engel­hard in Mann­heim in Ver­bin­dung brach­ten, wohin er Anfang 1871 zog.

Paul Schre­cken­bach kannte Mühl­hau­sen gut. Sein Stu­di­en­freund Ama­deus Palme war seit 1890 Dia­kon an der Mari­en­kir­che, 1920–1932 Mühl­hau­se­ner  Super­in­ten­dent. In des­sen Woh­nung am Unter­markt 4 betrieb Schre­cken­bach Stu­dien für sei­nen Münt­zer-Roman »Die Mühl­häu­ser Schwarm­geis­ter«, der 1924 erschien, den bei­der Freund P. Burg voll­endete. Mühl­hau­se­ner war der spä­ter in Ber­lin lebende Jugend­buch­au­tor Hans-Joa­chim Har­tung (1923–77). Wich­tigs­ter Chro­nist des lite­ra­ri­schen Mühl­hau­sen ist der 1936 in Nie­der­schle­sien gebo­rene und seit 1945 in Mühl­hau­sen behei­ma­tete Die­ter Fechner.

Sieg­fried Pitsch­mann, der 1930 in Grünberg/Niederschlesien gebo­ren wurde und 2002 in Suhl starb, gehörte zu den »lei­sen« Autoren der DDR und ist im 20. Jahr­hun­dert der bedeu­tends­ten Schrift­stel­ler, des­sen Name sich mit Mühl­hau­sen ver­bin­det. Er kam im Februar 1945 als Ver­trie­be­ner nach Mühl­hau­sen, wo er bis 1957 blieb. Er absol­vierte eine Lehre beim Uhr­ma­cher­meis­ter Arthur Rost (1880–1962) in der Lin­sen­straße 13, wo sich bis heute ein Uhren­ge­schäft befin­det. Von 1951 bis 1958 war er mit Elfriede Stölcker ver­hei­ra­tet, von der er sich nach sei­ner Bekannt­schaft mit Bri­gitte Rei­mann schei­den ließ. Pitsch­mann wohnte in Mühl­hau­sen in der August-Bebel-Straße 53 in einer Dach­ge­schoss­woh­nung. Sein Grab befin­det sich auf dem Neuen Fried­hof an der Eisen­acher Landstraße.

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