Jens Henkel – »Gesund und lebensreformiert. Wilhelm Hotz, das Sanatorium Finkenmühle und der Verlag ›Gesundes Leben‹ Mellenbach-Rudolstadt 1911–1941«

Personen

Jens Henkel

Karl Dietz

Ort

Rudolstadt

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Jens Kirsten

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Jens Kirs­ten

Im Natur­schutz­park des deut­schen Geistes

 

Der Rudol­städ­ter Autor, Ver­le­ger und Buch­ge­stal­ter Jens Hen­kel hat mit dem vier­ten Band der Rudol­städ­ter Schrif­ten »Gesund und lebens­re­for­miert. Wil­helm Hotz, das Sana­to­rium Fin­ken­mühle und der Ver­lag ›Gesun­des Leben‹ Mel­len­bach-Rudol­stadt 1911–1941« ein ein­drucks­vol­les Buch über die lebens­re­for­me­ri­sche Bewe­gung zur Jahr­hun­dert­wende vor­ge­legt. Die von Alex­an­der Bern­hardt gestal­tete, durch­weg sehr lesens­werte Reihe »Rudol­städ­ter Schrif­ten« ist bei­spiel­ge­bend für Regio­nal- und Stadt­schrif­ten­rei­hen in Deutsch­land. Die Wahl des Papiers, das For­mat, Schrif­ten, Satz und Illus­tra­tio­nen, alles fügt sich mit her­vor­ra­gend recher­chier­ten Inhal­ten und wech­seln­den Autoren jeweils zu einem Band, den man gern in die Hand nimmt.

Mit sei­ner Publi­ka­tion über Wil­helm Hotz, der in Thü­rin­gen und Deutsch­land heute nahezu ver­ges­sen ist, behebt Jens Hen­kel ein Desi­de­rat der For­schung. Über Hotz’ Leben und die von ihm 1899 bei Mel­len­bach im obe­ren Schwarz­a­tal gegrün­dete Pri­vat-Kran­ken-Heil­an­stalt Fin­ken­mühle ist kaum Mate­rial über­lie­fert. Den­noch hat Hen­kel die über­aus lesens­werte Geschichte eines Kapi­tels der Lebens­re­form­be­we­gung in Thü­rin­gen geschrie­ben, die sich eng mit den ver­le­ge­ri­schen Aktiv­tä­ten von Wil­helm Hotz, Karl Dietz und ande­ren ver­knüpft, die auf ein lebens­re­for­me­ri­sches Ideal setzten.

Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Zivi­li­sa­ti­ons­krank­hei­ten, der Öko­lo­gie­be­we­gung, sexu­el­ler Befrei­ung, alter­na­ti­ver Medi­zin, Vega­nis­mus und Vege­ta­ris­mus, Fit­ness, dem Ruf »zurück zur Natur«, die heute gesell­schaft­li­che Dis­kurse prä­gen, spiel­ten bereits für die Lebens­re­for­mer vor über 100 Jah­ren eine zen­trale Rolle. Die Lek­türe von Hen­kels bril­lan­ter Unter­su­chung lohnt nicht nur aus die­sem Grund – und viel­leicht aus einem lan­des­kund­li­chen Inter­esse her­aus. Sie zeigt am Bei­spiel von Hotz’ uto­pi­schem Gesell­schafts­mo­dell, das nicht über einen Anfang hin­aus­kam, wie die­ses spä­ter in eine nega­tive Uto­pie umschlug. Inner­halb der lebens­re­for­me­ri­schen Strö­mun­gen gegen Ende des 19. Jahr­hun­derts spielte Thü­rin­gen eine maß­geb­li­che Rolle, wie vor allem die reform­päd­ago­gi­schen Grün­dun­gen in Thü­rin­gen zeigen.

Hotz’ Pro­pa­gie­ren des gesun­den Lebens, das nicht nur auf gesunde Ernäh­rung zielte und sich gegen den Genuss von Alko­hol, Tabak und ande­ren Genuss­gif­ten wandte, wurde von den Natio­nal­so­zia­lis­ten auf­ge­grif­fen und in eine Aus­son­de­rung und Ver­nich­tung der Kran­ken per­ver­tiert. Ein­drucks­voll zeigt Hen­kel die Sinn­su­che der Refor­mer nach einem freien und gesun­den Leben um die Jahr­hun­dert­wende einer­seits und die strenge Askese und das Ver­lan­gen nach einem neuen und gesun­den Men­schen­typ ande­rer­seits. Hotz’ Traum vom idea­len Men­schen trug bereits faschis­to­ide Züge in sich. So erscheint es nur fol­ge­rich­tig, dass Hotz spä­ter ins völ­ki­sche Lager wechselte.

Hotz hatte 1897 in den USA einen Dok­tor­ti­tel als Dr. of med. & surg. erwor­ben und rang in Deutsch­land immer wie­der um seine Aner­ken­nung als Arzt. Nach anfäng­li­chem Zuspruch und Erfolg grün­dete Hotz eine Genos­sen­schaft, die bereits 1912 auf­grund von Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten liqui­diert wurde. Im Ers­ten Welt­krieg wurde er mit 44 Jah­ren in Rudol­stadt zum Mili­tär­dienst ein­ge­zo­gen, jedoch nicht an die Front ver­setzt. Seine Abwe­sen­heit in Fin­ken­mühle setzte dem Sana­to­rium so zu, dass er sich 1919 ent­schloss, es zu ver­kau­fen. Hotz zog mit sei­nem Ver­lag nach Rudol­stadt, wo er sich ver­stärkt völ­ki­schen The­men wid­mete. Dane­ben mel­dete er ein Gewerbe als Arzt der Natur­heil­kunde und eine Ver­lags­buch­hand­lung an. 1921 ver­kaufte er sei­nen Ver­lag »Gesun­des Leben« und den 1920 erwor­be­nen »Mel­chior Kup­fer­schmid Ver­lag« an den Ver­le­ger Karl Dietz, der beide Ver­lage neben dem »Grei­fen­ver­lag« wei­ter­führte. Jens Hen­kel wid­met Karl Dietz aus die­sem Grund einen wich­ti­gen Exkurs in sei­nem Buch.

Hotz und Dietz ver­misch­ten sozi­al­kri­tisch-jugend­be­wegte The­men mit völ­kisch-anti­se­mi­ti­schen und berei­te­ten neben vie­len ande­ren lange vor 1933 wenigs­tens zu einem Teil den Weg für die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Ideo­lo­gie, wenn­gleich beide nach 1933 mit die­ser in Kon­flikt gerie­ten. Dietz ver­wi­ckelte sich vor 1933 auf­grund der von ihm ver­leg­ten Sexu­al­auf­klä­rungs­schrif­ten Max Hodanns in meh­rere Pro­zesse, ebenso stand er auf­grund der Publi­ka­tion »kom­mu­nis­ti­scher Zer­set­zungs­schrif­ten« in der Kri­tik. Ins­be­son­dere nach 1933, als er das »wis­sen­schaft­li­che« Pen­deln pro­pa­gierte, wurde er als Schar­la­tan gebrand­markt und seine ver­le­ge­ri­sche Exis­tenz infrage gestellt. Wenig half da, dass er sich wie­der­holt bei den Natio­nal­so­zia­lis­ten andiente.

Nach dem Ver­kauf sei­ner Ver­lage grün­dete Hotz 1922 erneut einen Ver­lag, in dem er reformm­edi­zi­ni­sche Schrif­ten ver­legte. Vor allem setzte er auf Natur­heil­prä­pa­rate wie »Sanolax«, »Ni-No-Fluid«, »Ner­vo­sana« und andere mehr, mit deren Ver­kauf er sich mehr schlecht als recht über Was­ser hielt. Die Geschichte der Firma »Dr. W. Hotz & Co«, die ab 1937 zwangs­weise in »Dr. of med. & surg. W. Hotz & Co. Rudol­stadt« umbe­nannt wer­den musste, liest sich ebenso aben­teu­er­lich wie unter­halt­sam. Die Firma, von der Hotz eine Zweig­firma in sei­ner Geburts­stadt Wert­heim grün­dete, ging spä­ter in ande­ren Fir­men auf. Einige sei­ner Prä­pa­rate über­dau­er­ten bis heute. Bei Erkäl­tungs­sym­pto­men seien allen vor­sich­ti­gen Lesern Dr. Hotz Hus­ten­stil­ler-Tablet­ten, allen wage­mu­ti­gen Dr. Hotz Schne­cken­si­rup emp­foh­len, den die Che­plapharm Arz­nei­mit­tel GmbH mit Sitz in Greifs­wald vertreibt.

 

  • Jens Hen­kel: »Gesund und lebens­re­for­miert. Wil­helm Hotz, das Sana­to­rium Fin­ken­mühle und der Ver­lag ›Gesun­des Leben‹ Mel­len­bach-Rudol­stadt 1911–1941«, Rudol­städ­ter Schrif­ten, Bd. 4, 122 S., Rudol­stadt 2022.
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