Henning Kreitel – »warten auf erneut. Lyrik und Photographie«

Personen

Dietmar Ebert

Henning Kreitel

Ort

Weimar

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Dietmar Ebert

Thüringer Literaturrat e.V. / Erstdruck in Palmbaum 1-2018.

Gele­sen von Diet­mar Ebert

 

Hen­ning Krei­tel hat mit war­ten auf erneut als Lyri­ker debü­tiert. Für die­sen schön gestal­te­ten Lyrik-Band hat er seine Erfah­run­gen als Pho­to­graph genutzt. Der 1982 in Wei­mar Gebo­rene hat an der Kunst­aka­de­mie in Stutt­gart Pho­to­gra­phie stu­diert. Er lebt heute in Ber­lin, hat euro­pa­weit aus­ge­stellt und war als Pho­to­graph an den Bän­den Uff’n Bier (2015) und Gespal­tene Welt (2016) im Mit­tel­deut­schen Ver­lag betei­ligt. In war­ten auf erneut offe­riert er seine Dop­pel­be­ga­bung als Pho­to­graph und Lyri­ker. Der schmale Band ist ein sehr gelun­ge­nes Debüt und ein Ver­spre­chen auf Künf­ti­ges. Er lebt von der Kor­re­spon­denz, die seine fili­gra­nen Gedichte mit den zar­ten, fein­sin­ni­gen Pho­to­gra­phien des Mor­gen-und des Abend­him­mels eingehen.

Hen­ning Krei­tel begibt sich mit sei­nem Lyrik-Debüt in drei­fa­cher Weise auf die Spu­ren der Roman­tik. Er führt kon­tras­tie­rend zwei Kunst­gat­tun­gen zu ein­an­der, er setzt durch poe­ti­sche Reduk­tion ganz auf das Frag­men­ta­ri­sche sei­ner Lyrik, und er beschrei­tet kon­se­quent den »Weg nach innen«. So ver­eint der Band 37 sehr schlanke, hai­kuar­tig anmu­tende lyri­sche Gebilde von hoher poe­ti­scher Sensibilität.

Es scheint, als sei zwi­schen den Ver­sen ein Schwei­gen ein­ge­schrie­ben, als sei der ein­zelne Vers an die Grenze des Sag­ba­ren gekom­men. Der nächste und der über­nächste Vers set­zen meist neu oder anders an, und sehr oft gelingt es Hen­ning Krei­tel Gegen­sätze ins Gedicht zu ban­nen. Diese aus einer Art »Innen­schau« gewon­nen Gegen­sätze wer­den nicht auf­ge­löst oder syn­the­ti­siert, sie sto­ßen sich hart im poe­ti­schen Raum, allen­falls spen­den die Photo-Frag­mente auf der Nach­bar­seite einen Abglanz von Schön­heit und Trost, der das Aus­hal­ten der Gegen­sätze ein wenig erleichtert.

Wer mag, kann dies als »innere Zer­ris­sen­heit« des lyri­schen Ich deu­ten, und im Grunde wohnt Hen­ning Krei­tels lyri­schen Gebil­den ein »Gedan­ken­krei­sel« inne, der die Dua­li­tät von Kör­per und Geist in immer neuen Bil­dern zu fas­sen sucht. Zugleich ist den frag­men­ta­ri­schen Gedich­ten das Spiel zwi­schen Offen­le­gen inne­rer Wirk­lich­keits­fa­sern und deren Ver­kap­se­lung oder Ein­ige­lung ein­ge­schrie­ben. In einem der schöns­ten Gedichte des Ban­des heißt es:

igel­stach­lich eingerollt
geschützt – ich
– mit ver­lo­re­nem schlüssel
unknack­bar.
gekringelt
ver­fliegt die zeit
wurzellos-ich
wird landen
irgendwo

Die­ses lyri­sche Frag­ment ver­an­schau­licht exem­pla­risch Hen­ning Krei­tels Methode der poe­ti­schen Reduk­tion. Nur die abso­lut not­wen­di­gen Worte wer­den behut­sam gesetzt und zu Bil­dern verdichtet.

Es ist den Lesern anheim gege­ben, das Schwei­gen zwi­schen den ein­zel­nen Frag­men­ten, viel­leicht sogar zwi­schen den ein­zel­nen Ver­sen mit Gedan­ken und Bil­dern zu fül­len, vor allem aber einen poe­ti­schen Raum auf­zu­span­nen, der zwi­schen den pho­to­gra­phi­schen und lyri­schen Frag­men­ten besteht. Der innere Kern von Hen­ning Krei­tels lyri­schen Frag­men­ten ist eine »Macht­un­fä­hig­keit« sei­nes lyri­schen Ich. Deren Kon­se­quenz lau­tet: war­ten auf erneut.

 

  • Hen­ning Krei­tel: war­ten auf erneut. Lyrik und Pho­to­gra­phie, Mit­tel­deut­scher Ver­lag Halle (Saale) 2017.
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