Heidemarie Hecht – »An alle Lebendigen. Friedrich Muck-Lamberty – ein völkischer Freigeist. Mit Erinnerungen von Ingo Lamberty«

Person

Christoph Schmitz-Scholemann

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Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Christoph Schmitz-Scholemann

Thüringer Literaturrat e.V.

»Muck passt nicht« – Friedrich Muck-Lamberty 

und seine Schar

von Christoph Schmitz-Scholemann

 

 

Welch ein Plot! Welch gro­ßes Kino! Und alles reine leben­dige Wahr­heit! Das war es, was ich dachte, als ich das 172 Sei­ten starke Buch von Hei­de­ma­rie Hecht über das Leben des Fried­rich Muck-Lam­berty aus den Hän­den legte.

Schon die ers­ten 30 Jahre in Muck-Lam­ber­tys Leben waren ein veri­ta­bles Road­mo­vie: Gebo­ren wurde er am 14. Juli 1891 im äußers­ten Wes­ten des dama­li­gen deut­schen Kai­ser­reichs, in Straß­burg. Der Vater scheint ein win­di­ger Typ gewe­sen zu sein; jeden­falls zog die katho­li­sche Fami­lie häu­fig um, wurde in den Nie­der­lan­den vor­über­ge­hend sess­haft, da war Fried­rich noch ein Kind. Mit 14 riss der Knabe, der sich wegen sei­ner gerin­gen Kör­per­größe (1,62 m) in Anleh­nung an das bekannte Hauff-Mär­chen den Bei­na­men »Muck« gab, von zu Hause aus und begann ein Noma­den­le­ben. Er heu­ert in Stutt­gart bei einem Reform­haus (heute wir wür­den wir ver­mut­lich »Bio-Laden« sagen) an, geht nach Brünn in Mäh­ren und zieht dann fast ein Jahr­zehnt als völ­kisch-frei­geis­ti­ger Wan­der­vo­gel umher. Im ers­ten Welt­krieg war er auf Hel­go­land Sol­dat in einer Vege­ta­rier-Kom­pa­nie, nach dem Krieg wie­der Wan­der­pre­di­ger und Volks­tanz­meis­ter, vor allem in Thü­rin­gen, wo er seine »Neue Schar« mit einem Horn zusam­men­blies und Tau­sende ihm zuju­bel­ten; in sei­nen von Gefüh­len über­quel­len­den Anspra­chen ver­dammte er den Alko­hol, die Anony­mi­sie­rung der gro­ßen Städte und die Aus­beu­tung: vor allem der Frau durch den Mann. Bis sich her­aus­stellte, dass er selbst ein umtrie­bi­ger Mäd­chen­be­glü­cker war, angeb­lich, um einen »deut­schen Kris­tus« zu zeu­gen und gleich­zei­tig »die geschlecht­li­che Not der Frauen« nach dem Krieg zu beheben.

Ab 1921 wird Muck-Lam­berty sess­haft, als Kunst­hand­wer­ker in Naum­burg lei­tet er eine »Werk­schar«, die nach Kib­buz-ähn­li­chen Prin­zi­pien pro­du­zie­ren und zusam­men­le­ben soll. Man drech­selt Ker­zen­stän­der und Kron­leuch­ter. Geschmacks­rich­tung: Länd­lich­deutsch. Und ein­träg­lich. Vor allem für den mitt­ler­weile glück­lich ver­hei­ra­te­ten Lam­berty. Ein cle­ve­rer Self­made­man ist er, Villa und Mer­ce­des inbe­grif­fen. Vom Sozia­lis­mus des deut­schen Her­zens, den er in Zei­tungs­ar­ti­keln und Reden pre­digt, lässt er seine Arbei­ter nicht all­zu­viel pro­fi­tie­ren. Über Hit­ler hat er meist keine allzu gute Mei­nung (ein »syphi­li­ti­scher Typ«, sagt er spä­ter). Er legt sich mit den Nazis an, kommt in Haft und wie­der frei, nach dem Krieg bezich­ti­gen ihn die Kom­mu­nis­ten der Sabo­tage, 1951 flieht er in den Wes­ter­wald, wie­der befasst er sich mit Kunst­hand­werk, dies­mal mit Strom aus selbst­er­zeug­ter Was­ser­kraft. Zwei Jahr­zehnte spä­ter gilt er als Land­kom­mu­narde der ers­ten Stunde und fin­det Bewun­de­rer aus der west­deut­schen 68er-Szene. Mit 80 Jah­ren soll er nackt und bekifft im Gar­ten getanzt haben, seine eben­falls unbe­klei­dete Part­ne­rin war ein hal­bes Jahr­hun­dert jün­ger. »Die Gedan­ken sind frei!« schmet­terte seine Fami­lie bei sei­ner Beer­di­gung im Januar 1984 auf den Höhen des Wes­ter­walds, wo der Wind so kalt pfeift, und auch ein altes katho­li­sches Mari­en­lied erklang: »Meer­stern, ich dich grüße!«

Das alles und noch viel mehr erfährt der gebannte Leser in dem Buch von Hei­de­ma­rie Hecht. Die Bio­gra­fie eines Man­nes, der das Leben und die Jugend fei­erte. Und sich den Tie­fen­strö­mun­gen der Volks­seele ver­bun­den fühlte, was manch­mal lus­tig, manch­mal aber auch gefähr­lich war. Unter regio­na­len Gesichts­punk­ten beson­ders inter­es­sant sind natür­lich die mit bun­ten Details gespick­ten Kapi­tel über die damals sen­sa­tio­nelle Thü­rin­gen-Tour­nee des Muck-Lam­berty, die in Coburg begann und auf der Leuch­ten­burg endete, wo der Skan­dal um Mucks Frau­en­be­zie­hun­gen zum Ein­schrei­ten der Ord­nungs­be­hör­den führte. Die Stadt Kahla wid­mete ihm 1921 sogar ihr Not­geld: Den 75-Pfen­nig-Schein von 1921 ziert ein Bild von Muck-Lam­berty nebst spöt­ti­schem Vierzeiler:

Was ist vom guten Vor­satz nun,
mein lie­ber Muck, geblieben?
Zähl nur die Häup­ter Dei­ner Schar,
es sind statt sechse – sieben!

Ein lesens­wer­tes Buch, schön gestal­tet, mit vie­len zeit­ge­nös­si­schen Pho­to­gra­phien aus­ge­stat­tet. Nicht nur, dass Hei­de­ma­rie Hecht die Geschichte des Fried­rich Muck-Lam­berty in anzie­hen­der und geist­rei­cher Spra­che erzählt. Das Buch lädt auch zu fra­gen­der Ver­wun­de­rung ein: Zum Bei­spiel dar­über, wie es ein ein­zel­ner Mensch mit lau­ter Stimme, wehen­dem Haar, hei­ßem Her­zen, san­ges­fro­hem Gemüt und ohne jeden Anflug von her­kömm­li­cher Bil­dung schaf­fen kann, Men­schen für ein voll­kom­men vages und undurch­dach­tes Ziel einzunehmen.

Abge­run­det wird das Buch durch zwei Kurz­bei­träge: Jens-Fietje Dwars zeigt in sei­nem Essay den geis­tes­ge­schicht­li­chen Zusam­men­hang, in dem Muck-Lam­berty steht. Er zieht auch eine Linie zu der Strö­mung, die heute den Begriff »völ­kisch« für sich in Anspruch nimmt. Sie sei – wie Mucks Schar – mehr­heit­lich weder mit den Nazis gleich­zu­set­zen noch biete sie eine poli­ti­sche Alter­na­tive, habe aber, wie Muck-Lam­berty und die Sei­nen, »ein seis­mo­gra­phi­sches Gespür für echte Pro­bleme, Ver­wer­fun­gen und Ver­luste«. Einen humor­vol­len und sehr per­sön­lich gehal­te­nen Blick wirft schließ­lich Ingo Lam­berty, Redak­teur beim WDR in Köln und Enkel unse­res Hel­den, auf sei­nen Groß­va­ter, der in allen Sys­te­men aneckte. Ein­drucks­voll die Schil­de­rung der Beer­di­gung: »…Als die Lie­der gesun­gen sind, wol­len wir den Sarg in die Grube las­sen. Aber – der schöne Fich­ten­sarg klemmt….Es ist wie immer: Muck passt nicht.«

 

  • Hei­de­ma­rie Hecht: »An alle Leben­di­gen« Fried­rich Muck-Lam­berty – Ein völ­ki­scher Frei­geist. Mit Erin­ne­run­gen von Ingo Lam­berty, her­aus­ge­ge­ben und mit einem Nach­wort ver­se­hen von Jens-Fietje Dwars, 172 Sei­ten, Taschen­buch, 16,90 Euro, quar­tus-Ver­lag, Bucha bei Jena 2020.
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