Frank Quilitzsch – »Auf der Suche nach Wang Wei«

Personen

Frank Quilitzsch

Martin Straub

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Martin Straub

Erstdruck in Palmbaum Heft 1/2017 / Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Gele­sen von Mar­tin Straub

Eine Reise zwi­schen damals und heute

 

Frank Qui­litzschs Bericht über eine Reise durch China im Jahr 2015 mit dem Titel »Auf der Suche nach Wang Wei« ist ein bemer­kens­wer­tes Rei­se­buch. Schon ein­mal weilte der Autor im »Reich der Mitte«. Ein Vier­tel Jahr­hun­dert zuvor arbei­tete er im Auf­trag der DDR als Lek­tor für deut­sche Spra­che und Lite­ra­tur  an der Uni­ver­si­tät in Nan­jing. Der Zeit­punkt war unge­wöhn­lich. Nur drei Monate nach der blu­ti­gen Nie­der­schla­gung des Stu­den­ten­auf­stan­des auf dem »Platz des himm­li­chen Frie­dens« und fern von den umwäl­zen­den Ereig­nis­sen in der DDR trat er seine Arbeit an.

Sein China-Buch lebt wie seine frü­he­ren Viet­nam-Bücher von einem genauen Blick auf Atmo­sphä­ri­sches, ihn reizt das Detail.

Der Rück­keh­rer ist über­wäl­tigt von den Ver­än­de­run­gen in sei­nem ehe­ma­li­gen Gast­land. Die vier Kapi­tel des Ban­des sind mit den Städ­te­zie­len über­schrie­ben. So beginnt die Reise in Bei­jing, führt über Nan­jing und Suzhou, bis hin nach Shang­hai.  Es gibt noch einen Epi­log in Stutt­gart. Dort trifft er end­lich die in China gesuchte Wang Wei, die im Begriff ist, mit ihrer Fami­lie nach China zurück zu reisen.

Der Reiz des reich bebil­der­ten Ban­des liegt an den drei Ebe­nen, in denen Qui­litzsch seine Geschichte ent­fal­tet. Da ist das Einst vor 25 Jah­ren, das zu dem Jetzt der Reise ins  Span­nungs­feld gesetzt wird. Natür­lich inter­es­siert den Leh­rer, was aus sei­nen Stu­den­ten in den letz­ten 25 Jah­ren gewor­den ist. Qui­litzsch ist kein Allein-Rei­sen­der. Er kann von Glück reden, dass ihn seine ehe­ma­lige Stu­den­tin Xing­guo auf er Reise beglei­tet. Nun lei­tet sie die Nie­der­las­sung der de Gruy­ter-Nie­der­las­sung in Bei­jing.  Zudem durch­zie­hen in fünf Kapi­teln die »gehei­men Auf­zeich­nun­gen des Herrn Ye« den Band. Er war der frü­here Insti­tuts­di­rek­tor des Autors. Seine Berichte über die Kul­tur­re­vo­lu­tion, die er als Intel­lek­tu­el­ler zu durch­lei­den hatte, liest man nicht ohne Erschüt­te­rung.  Qui­litzsch hatte die ihm anver­trau­ten Erzäh­lun­gen unter dem Sie­gel der Ver­schwie­gen­heit auf­ge­nom­men, spä­ter zu Papier gebracht und wie­der auf die Reise mit­ge­nom­men. Herrn Ye hat der Autor sein Buch gewidmet.

Diese Struk­tur ist für den Ver­fas­ser eine Her­aus­for­de­rung. Die fort­lau­fende Erzäh­lung wird stän­dig durch Rück­blen­den unter­bro­chen. Und so erscheint die Gegen­wart in neuem Licht. Da sind die ehe­ma­li­gen Stu­den­ten, mit denen er zusam­men trifft, im Jetzt und in der Erin­ne­rung. Da erscheint der »Platz des himm­li­schen Frie­dens« und das Mao-Mau­so­leum und die gro­teske Göt­zen­ver­eh­rung, mit der man zudem sei­nen Rei­bach machen will, in einem gotes­ken Zwie­spalt. Natür­lich kommt mit dem  Pen­del­schlag zwi­schen einst und jetzt die urbane, bunte Gegen­wart nicht zu kurz. Die Wol­ken­krat­zer, der flu­ten­den Ver­kehr, der Smog und dann die Sei­ten­gas­sen mit den reiz­vol­len Loka­len, den exo­ti­schen Spei­sen. Da ist Qui­litzschs Neu­gier auf Leute, seine Lust am Detail, an den Rand­be­ge­ben­hei­ten. So beob­ach­tet er eine »junge Frau in Mini­rock mit extrem hoch­ha­cki­gen Schu­hen«, die sich einen Spaß dar­aus macht in die Hocke zu gehen und mit ihrem Feu­er­zeug Pap­pel­sa­men anzu­zün­den. Vor 25 Jah­ren wäre eine sol­che Szene wohl nicht mög­lich gewesen.

Aber Qui­litzsch ist auch ande­rem auf der Spur. Ihn inter­es­siert der Umgang mit der Ver­gan­gen­heit. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit der soge­nann­ten Kul­tur­re­vo­lu­tion und den Ereig­nis­sen auf dem »Platz des himm­li­schen Frie­dens« durch­zieht wie ein Leit­mo­tiv das Buch. Und er stößt auf ein Phä­no­men, was der Deut­sche nur all zu gut kennt. Das des Ver­drän­gens und Ver­ges­sens. Für seine Rei­se­be­glei­te­rin ist  die Demo­kra­tie­be­we­gung ledig­lich ein »geschei­ter­tes Expe­ri­ment«. Frei­lich sieht sie auch die Fol­gen: »Alle haben Angst. Vor allem Angst zu sagen, was sie den­ken.«  Und sie fügt hinzu, »dass sich über­haupt nur noch wenige Lands­leute für Chi­nas Ver­gan­gen­heit inter­es­sie­ren wür­den.« Sie leben ganz in der Gegen­wart. Das  ist um so bedenk­li­cher, als die offi­zi­elle Pro­pa­ganda ver­sucht, diese Ver­gan­gen­heit zu ver­klä­ren. Als Qui­litzsch sei­nem ehe­ma­li­gen Abtei­lungs­lei­ter, Pro­fes­sor Hua, die »gehei­men Auf­zeich­nun­gen« zu lesen gibt, ist der tief bewegt, fragt aber zuerst ein­mal, ob denn die Zei­chen­set­zung an man­chen Stel­len kor­rekt ist,  Und er sagt: »Herr Ye und ich, wir waren über so viele Jahre Kol­le­gen, gute Kol­le­gen, doch über diese Zeit haben wir nie gespro­chen. Wir durf­ten doch nicht. Aber Herr Ye war wohl ein biss­chen muti­ger als ich.«

Qui­litzsch blickt nicht von außen auf das Land, son­dern die Authen­ti­zi­tät sei­ner Ein­drü­cke rührt vor allem aus den leben­di­gen Dia­lo­gen, die den Band prä­gen. Sein Blick auf  die Geschichte geht über die 25 Jahre hin­aus. So macht ihn Herr Ye auf die Schrift­stel­le­rin Klara Blum und ihr wech­sel­vol­les Emi­gran­ten-Schick­sal auf­merk­sam. Qui­litzsch folgt ihren Spu­ren stößt auf ihre bit­tere Lie­bes­ge­schichte. Wie er auch andere Lebens­spu­ren weit in das extreme 20. Jahr­hun­dert hin­ein verfolgt.

Dass der Thü­rin­ger Autor sich gegen Ende der Reise in Anting am Fuße einer etwas klei­ne­ren Kopie des Wei­ma­rer Goe­the-Schil­ler-Denk­mals wie­der fin­det, steht nun wie­der auf einem ande­ren Blatt.

  • Frank Qui­litzsch: Auf der Suche nach Wang Wei. Eine Reise durch China zwi­schen Damals und Heute. Dra­chen Ver­lag 2016, 250 S., 16,95 €.
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