>Die Künstler< von Friedrich Schiller – aus aktuellem Anlass wiedergelesen von Hansjörg Rothe

Person

Friedrich von Schiller

Thema

Aktuelles

Autor

Hansjörg Rothe

Hansjörg Rothe / Thüringer Literaturrat e.V.

Zwölf Jahre nach­dem ihm der Nobel­preis für Lite­ra­tur ver­lie­hen wor­den war, trat Gün­ter Grass mit einem Text an die Öffent­lich­keit, in dem er vor einem Krieg der Atom­macht Israel gegen den Iran warnte. Den Pro­sa­text »Was gesagt wer­den muss« bezeich­nete er als Gedicht und rekla­mierte die künst­le­ri­sche Frei­heit für sei­nen Inhalt. Obwohl er sich nicht auf Schil­ler berief, hätte des­sen Gedicht »Die Künst­ler« von 1789 gera­dezu als Kom­men­tar für diese Stra­te­gie gele­sen wer­den kön­nen, in dem es heißt:

 

Von ihrer Zeit ver­sto­ßen flüchte
Die ernste Wahr­heit zum Gedichte,
Und finde Schutz in der Kamö­nen Chor.

 

Das Bei­spiel machte Schule. Die »ernste Wahr­heit« des Gün­ter Grass sollte schon bald Gesell­schaft bekom­men unter den Fit­ti­chen der ita­li­schen Quell­nym­phen. Pro­sa­texte mit ent­spre­chen­dem Zei­len­um­bruch waren immer­hin schon seit Jahr­zehn­ten als Gedichte akzep­tiert wor­den, man denke nur an Erich Fried, doch der Anspruch künst­le­ri­scher Frei­heit zog in nur weni­gen Jah­ren immer wei­tere Kreise. Schil­lers erstaun­li­che Weit­sicht macht »Die Künst­ler« heute zu einem hoch­ak­tu­el­len Text, wie die Ereig­nisse der letz­ten Tage ein­drucks­voll bele­gen. Das »Jüdi­sche Forum für Demo­kra­tie und gegen Anti­se­mi­tis­mus« ver­laut­barte, man habe die Unter­schrift unter eine Unter­las­sungs­er­klä­rung von einem Ber­li­ner Kol­lek­tiv namens »Zen­trum für poli­ti­sche Schön­heit« erwirkt – damit wurde die öffent­li­che Auf­merk­sam­keit auf eine Gruppe von Leu­ten gelenkt, die sich selbst als »Künst­ler« bezeich­nen, den gleich­na­mi­gen Text von 1789 aber in ganz neuem Licht erschei­nen lassen.

Dabei hat es Schil­lers Gedicht natür­lich nie an Bezug­nah­men gefehlt. Hel­mut Qualtin­ger, der große Wie­ner Schau­spie­ler, Autor und Kaba­ret­tist wählte 1965 »Der Mensch­heit Würde ist in eure Hand gege­ben« als Titel eines Solo­pro­gramms in dem er zwei alte Mimen über ihre Jugend­jahre an diver­sen Pro­vinz­büh­nen schwär­men lässt. Das völ­lige Auf­ge­hen in der eige­nen Wahr­heit und Igno­rie­ren des gro­ßen Welt­gan­zen (»Ich habe alle meine Pre­mie­ren im Kopf – als Ollen­dorf im Bet­tel­stu­dent, 20. Juli 1944 in Teplitz-Schö­nau!«) wird unge­schminkt dar­ge­stellt, ohne die Cha­rak­tere bloß­zu­stel­len. Einige Jahre zuvor hatte sein »Herr Karl«, ein wie­ne­risch-char­man­ter Mit­läu­fer der Nazi­zeit, ihm noch Mord­dro­hun­gen ein­ge­bracht. In Chem­nitz habe er ein­mal den sie­ben­ten Zwerg in »Schnee­witt­chen« gespielt, lässt Qualtin­ger den einen Mimen berich­ten (»Wie hast du ihn ange­legt?« »Hin­ter­grün­dig …!«), das Publi­kum kann mit den Alten lachen, nicht über sie.

Inzwi­schen haben sich die Zei­ten geän­dert. Die Fort­set­zung des Zitats lau­tet wie folgt:

 

Der Mensch­heit Würde ist in eure Hand gegeben.
Bewah­ret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird sie sich heben.

 

Die haupt­städ­ti­schen Akti­vis­ten des »Zen­trums für poli­ti­sche Schön­heit« sehen die Pro­vinz-Akteure nicht mehr als Adres­sa­ten ihrer »Kunst«, son­dern als deren Objekte. Da schließt sich der Kreis von Schil­ler zum Grund­ge­setz – die Würde des Men­schen ist unan­tast­bar, auch in Chem­nitz darf man kein »Recher­che­büro Ost« eröff­nen und Pho­tos von Mit­bür­gern aus­hän­gen unter der Über­schrift »Gesucht: Wo arbei­ten diese Idio­ten?« um 100-Euro-Scheine für Denun­zia­tio­nen auszuloben.

Die gerechte Empö­rung sollte uns jedoch nicht dazu ver­lei­ten, wie Qualtin­gers Mimen den eige­nen Lebens­kreis men­tal abzu­schot­ten und nicht wahr­ha­ben zu wol­len, dass am 20. Juli 1944 viel­leicht noch ande­res bemer­kens­wert war als die Ope­ret­ten­pre­miere in Teplice-Šanov. Und damit zurück zu Schil­lers Gedicht, das die Künst­ler­ge­nera­tio­nen zur Renais­sance-Zeit mit den Zei­len preist:

 

Ver­trie­ben von Barbarenheeren,
Ent­ris­set ihr den letz­ten Opferbrand
Des Ori­ents ent­hei­lig­ten Altären
Und brach­tet ihn dem Abendland.
Da stieg der schöne Flücht­ling aus dem Osten,
Der junge Tag, im Wes­ten neu empor,
Und auf Hespe­ri­ens Gefil­den sproßten
Ver­jüngte Blüt­hen Ioni­ens hervor.
Die schö­nere Natur warf in die Seelen
Sanft spie­gelnd einen schö­nen Wiederschein,
Und pran­gend zog in die geschmück­ten Seelen
Des Lich­tes große Göt­tin ein.
Da sah man Mil­lio­nen Ket­ten fallen,
Und über Skla­ven sprach jetzt Menschenrecht;
Wie Brü­der fried­lich mit ein­an­der wallen,
Wo mild erwuchs das jün­gere Geschlecht.
Mit inn­rer hoher Freudenfülle
Genießt ihr das gegebne Glück
Und tre­tet in der Demuth Hülle
Mit schwei­gen­dem Ver­dienst zurück.

 

Heute sind es die ori­en­ta­li­schen Chris­ten selbst, die, ver­trie­ben von Bar­ba­ren­hee­ren, als Flücht­linge zu uns kom­men. Wenn zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts in Libyen und dem Irak wie­der Skla­ven­märkte abge­hal­ten wer­den darf uns das nicht kalt las­sen. Der Mensch­heit Würde in und für uns selbst zu ver­tei­di­gen, ist die eine Sache, über der wir aber das große Ganze nicht aus den Augen ver­lie­ren dürfen.

Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/die-kuenstler-von-friedrich-schiller-aus-aktuellem-anlass-wiedergelesen-von-hansjoerg-rothe/]