1931 Heerlen, Niederlande
1989 Gmunden, Österreich
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Annelie Morneweg
Literarische Gesellschaft Thüringen e.V.
Eine der bedeutsamsten Stationen im Leben des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard (1931–1989) befindet sich in Saalfeld in Thüringen. Im heutigen Bildungszentrum (Am Steiger 10) war in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs ein Heim für schwer erziehbare Kinder, in dem Bernhard untergebracht war.
Im fünften Band seiner Autobiographie, die als ein „Meisterwerk“ des 20. Jahrhunderts gilt, erinnert sich Bernhard an seine Leidenszeit dort im Kriegsjahr 1941, an die „Erziehungshölle“, wie er schreibt, und an die „Stätte seiner höchsten Verzweiflung“.
Ende der 1970er Jahre – als weltweit bekannter Autor – hatte er den Ort, der in vielen seiner Werke thematisiert wird, noch einmal aufgesucht und dabei die provokative Äußerung gemacht, es habe sich in der Zwischenzeit „nichts“ geändert. Natürlich meinte Bernhard nicht den Zustand der Gebäude, sondern zog wenig verklausuliert einen Vergleich zwischen dem totalitären System der Nationalsozialisten und dem damaligen DDR-Regime. Diese und ähnliche Äußerungen, die er in seinem Band „Ein Kind“ niederschrieb, mögen dazu beigetragen haben, dass seine Autobiographie in der DDR nicht vollständig erschien.
Anlässlich des 80. Geburtstages von Thomas Bernhard am 9. Februar 2011 und dem 70. Jahr seines unfreiwilligen Aufenthaltes an diesem Ort, wurde in einer Feierstunde des einstigen Heimzöglings gedacht. Auszubildende des BZ haben die seitdem so genannten Bernhard-Bänke konstruiert, gebaut und aufgestellt. Die Bänke werden anstelle von sonst üblichen Bankbeinen von den Buchstaben b (für Bernhard) und bz (für Bildungszentrum) getragen. Sie stehen sich bewusst sehr nah gegenüber, damit man sich gut mit einem Partner unterhalten kann – oder man entschließt sich, im Zwiegespräch mit sich selbst zu bleiben, d.h. dass ein imaginiertes Gegenüber schweigend zuhört, was durchaus dem Bernhardschen Dialogschema und der Erzählstruktur seiner Werke entspräche.
Die von Bernhard in seinem Band „Ein Kind“ eindrucksvoll geschilderten „Stationen“ im Kinderheim, wie z.B. der Appellplatz (auf dem jetzt die Bänke stehen), das Frühstückszimmer (ein besonders demütigender Ort für das Kind, weil ihm hier zur Strafe das Frühstück verweigert wurde) oder der Schlafsaal, in dem sich das vaterlose und von der Mutter ungeliebte Kind vor Heimweh in den Schlaf weinte, sind heute jungen Menschen ein Zuhause während ihrer Ausbildungszeit. Der Park und seine idyllischen Anlagen sind frei zugänglich.
Das Haus „Am Steiger 10“ ist ein eindrucksvoller Ort in Thüringen, der in die Literaturgeschichte eingegangen ist und an dem – wer Bernhards Bücher schätzt – leicht Grenzen zwischen Realität und Literatur verschwimmen können. Eine sichtbare Brücke zwischen beiden Welten bilden die beiden Bänke und die kleine Gedenktafel am Haus, die die Daten von Bernhards Leben und seinem Aufenthalt hier über die Zeiten hinweg festhalten.
Foto 1, 4: Annelie Morneweg / Foto 2, 3: Jens Kirsten
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