1797 Frankfurt am Main
1860 Jena
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Johann Heinrich Wilhelm Treunert im Autorenlexikon
Ulrich Kaufmann
Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
»Am 28sten August, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war günstig: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; …«
Als Wilhelm Treunert fast ein halbes Jahrhundert nach Johann Wolfgang Goethe, am 27. Januar 1797 in Jena das Licht der Welt erblickte, stand sein Leben unter keinem so »günstigen« Stern. Treunert, den man später mit August von Kotzebue einen »armen Poeten« nennen sollte, war das uneheliche Kind eines unbekannten Studenten und einer armen Studentenaufwärterin. Schon als Junge erfuhr er bittere Armut.
»Ein Knabe war so arm und bloß,
Daß seine Mutter ihn verschloß.
Zum Ausgeh’n fehlten ihm leider
Die allernöthigsten Kleider.«
Oft fühlte sich der Junge verlassen. Sein bester Freund soll ein zahmer Hamster gewesen sein, den er 1806 in einem Topf nach Ziegenhain mitnahm, um ihn vor den marodierenden französischen Truppen zu verstecken.
Erst die Ehe der Mutter mit dem wohlhabenden Buchdruckereibesitzer Joch verbesserte die Lage und ermöglichte dem Zehnjährigen eine Ausbildung, zunächst in einer Jenaer Bürgerschule. Später bekam der interessierte und aufgeweckte Knabe die Möglichkeit, sich an einer Privatschule mit »ordentlichem Unterricht« auch literarisch zu bilden und bald selbst Verse zu versuchen. Die Leihbibliothek des Stiefvaters nutzte Treunert intensiv. Nach einer nicht beendeten Ausbildung am angesehenen Gymnasium in Hildburghausen, wohin ihn sein Jenaer Lehrer Dr. Klein als Schüler und Diener mitnahm, kam er nach einem Jahr in seine Geburtsstadt zurück. In der Werkstatt des Stiefvaters nahm er eine Lehre als Buchdrucker auf. Eine systematische kulturelle Bildung erfuhr er nicht.
Im Jahre 1815, als der geschlagene Franzosenkaiser Napoleon von der Insel Elba floh, meldete sich der achtzehnjährige Treunert freiwillig. Er nahm im Weimarer Kontingent, im ersten Bataillon am Feldzug gegen Napoleon teil, wofür er vom Großherzog Carl August, den er außerordentlich verehrte, anschließend eine Verdienstmedaille erhielt. Vergebens versuchte man, Wilhelm Treunert beim Militär zu halten.
Nach dem Schlachtenruhm aber kehrte er in die kümmerlichen Verhältnisse seiner Heimatstadt zurück und setzte die Ausbildung zum Schriftsetzer fort. Von den Gelegenheitsversen zu Neujahr, zu Geburtstagen der Stadtväter, von Tisch-und Trinkliedern sowie von anderen Lobgesängen konnte er kaum leben.
In einem wenig bekannten Treunert-Porträt berichtet Fr. Helbig für das 16. Heft der »Gartenlaube« von 1875, dass der Poet stets zum Jahreswechsel in die Rolle des »Thürmers der Michaeliskirche«, des »Höchstgestellten« seines Ortes, schlüpfte, um seiner Stadt ein Neujahrsgedicht zu schenken. Wir werden uns noch mehrfach auf Helbig berufen, da er als Knabe das Stadtoriginal Treunert noch selbst erleben konnte.
Zu den wesentlichen Verdiensten des humorvollen Poeten gehörte, dass er 1828 einer der Mitbegründer des bürgerlichen Jenaer Männergesangsvereins war, dem er ein »Stiftungslied« schenkte. Viele Lieder hat er für »seinen« Verein geschrieben, auch wenn man diese heute kaum mehr kennt oder gar singt. Gelegentlich spielte er in einer bürgerlichen Theatergruppe mit. Besonders überzeugend soll er in Kotzebues »Der arme Poet« (1812) gewesen sein. Die Titelrolle schien ihm auf den Leib geschrieben zu sein.
Einige Quellen erwähnen eine kurze, unglückliche und kinderlose Ehe. Ein Gedicht auf »Meine Liebste« existiert. Treunert, die echte Poetennatur, lebte meist allein Auch eine Weimarer Episode soll es für Wilhelm Treunert gegeben haben, ohne dass wir die Jahreszahlen kennen.
Um die ständigen Geldnöte des armen Stadtpoeten abzuwenden, verschaffte ihm der einflussreiche Verleger Friedrich Johannes Frommann (der Junior) 1845 die freigewordene Stelle des Ratswachtmeisters. Nunmehr war er so etwas wie ein Polizeidiener. Wie er über die wenig geliebte Arbeitsstelle dachte, ist in seinen Gedichten zu spüren:
»Die Marktpreistafel in der Zeise
Hängt hoch und ist auch ziemlich schwer.
Ach wenn sie – denk ich manchmal leise –
Herab und auch hinauf gehoben wär!
Auf dem Markt muß ich Butter wiegen,
Bin der Schrecken aller Bauernfraun’n;
Und es macht den Leuten viel Vergnügen,
Wenn sie mich in diesem Amte schaun.
Drollig muß das Butterwiegen stehen
Dem Poeten, das ist wohl gewiß.«
Zu seinen Pflichten gehörte es, in den Gaststätten den Feierabend auszurufen. Seine Arbeit als Marktmeister bot ihm andererseits Gelegenheit, einige seiner billig gedruckten, wohl selbst gesetzten Lyrikhefte zum Kauf anzubieten. Mehrfach dachte er über die Rolle nach, die er in der Gesellschaft spielt:
»Wasser soll ich bringen, wird mir anbefohlen!
Nun, du armer Dichter, das besorg‘ in Ruh!
Denn in deinen Versen, sag‘ es unverhohlen,
Trägst du ja den Leuten längst schon Wasser zu.«
Schon schwer krank, quittierte der Heimatdichter 1859 seinen Dienst als Ratswachtmeister.
Das lyrische Werk des heute fast vergessenen Dichters ist zerstreut veröffentlicht worden, vieles in den »Jenaer Wochenblättern« und den »Blättern an der Saale«. Große Teile blieben unpubliziert. Etliche seiner Gedichte waren Auftragswerke, Gelegenheitsgedichte oft zu privaten Zwecken verfasst. Helbig merkt an, dass es die Universität »schon aus chronikalischem Interesse nicht für unwerth gehalten habe, die zwei starken Foliobände und einen Quartband bildende Sammlung dieser Gelegenheitsgedichte ihren Regalen einzuverleiben.« Die Jenaer Universitätsbibliothek besitzt 19 Treunert-Titel, darunter »Zum Kriegerfest in Kahla am 22.Juni 1845«, »Festgesang zum Stiftungstage des Bürgervereins« (Jena 1841) sowie in einem nicht ermittelten Verlag »Drey Volkslieder zum Carl-Auguststage 1825: Nach bekannten Melodien.«
1832, im Sterbejahr Goethes, erschien bei Schreiber ein opulenter Band seiner Gedichte unter dem Titel »Rundgemälde von Jenas Umgebung oder die Aussicht vom Michaeliskirchturme: ein poetischer Versuch in 4 Abteilungen.«. (Dieser Band gilt in der Thüringer Universitätsbibliothek als vermisst.)
Die »lyrische Ernte«, gewissermaßen Treunerts Hauptwerk, kam zwischen 1836 und 1862 in Jena heraus. Diesem dreiteiligen Werk gab der Dichter den biederrmeierisch daherkommenden Titel »Mein Gärtchen an der Saale«. Auf acht Seiten des Eröffnungsbandes werden die Subskribenten, heute Sponsoren geheißen, genannt. Muss man mehr über die materielle Situation des Jenaer »Gelegenheitsdichters« (wie er sich selbst nannte) sagen? Den zweiten Band hatten Freunde initiiert, da das Gerücht die Runde machte, der Stadtpoet sei nicht mehr unter den Lebenden. Der dritte Teil, dem ein biografischer Abriss vorangestellt ist, erschien tatsächlich postum. Der Pedell der Universität, Heinrich August Grönert, hat den abschließenden Band eingeleitet und Manuskripte hinzugegeben, die er von seinem Schwiegervater erhalten hatte. Grönerts Edition hat den Vorzug, dass er aus den wenigen erhaltenen Briefen zitiert, die Treunert seiner Mutter aus Hildburghausen und 1815 aus dem Kriege sandte. Hervorzuheben bleibt, dass es Treunerts Gönner, der Verleger Friedrich Johannes Frommann war, der die Bände 2 und 3 seiner Trilogie »Mein Gärtchen an der Saale« drucken ließ.
Bei den drei Lyrikbänden seines Hauptwerks – mit 120, 90 und 145 Seiten – handelt es sich wahrlich nicht um »Hefte«, wie man gelegentlich liest Diese schmalen Bände sprachen seinerzeit vornehmlich eher plebejische Schichten an. Heute sind sie auf dem Buchmarkt Raritäten. Für einen Band muss man gegenwärtig etwa 200 Euro berappen.
Zwei seiner bekanntesten Gedichte »Die Saalnixe« (1845), das spätromantische Motive aufnimmt, und »Mein Jena« (1845) findet man auch im zweiten Band der genannten Sammlung. Das berühmteste seiner Jena-Gedichte hat der Weimarer Dichter und Herausgeber Wulf Kirsten 2004 in seine Anthologie »UMKRÄNZT VON GRÜNEN HÜGELN – Thüringen im Gedicht« aufgenommen. Eines seiner letzten Gedichte entstand 1859 bereits im Krankenbett: »Gruß zu Schiller-Feier«.
Viele seiner lyrischen Texte beziehen sich auf Orte und Persönlichkeiten in Jena bzw. auf die bezaubernde Umgebung der Stadt. Sie waren und sind dem kulturinteressierten Einheimischen natürlich bekannt: Der Napoleon- Stein am Windknollen zu Cospeda oder die Stehle für den Goethe-Freund Carl August im Jenaer Mühltal zum Beispiel. Sie seien hier stellvertretend zitiert, auch weil sie einen Bezug zu Lebensstationen des Dichters haben.
»Da oben auf dem Berge,
Da steht ein grauer Stein.
Er schaut mit ernsten Blicken
Ins deutsche Land hinein.«
Die zweite Textprobe schrieb Treunert am 3. September, dem Geburtstag des 1828 verstorbenen Großherzogs. In der zweiten Strophe heißt es:
»Bei Carl Augusts Denkmale im Mühlthale
Am Morgen des 3. September 1843…
Ich aber leg im frommen Sinn
An seinem Fuß ein Blümchen hin:
Es blüte ihm zur Seite auf,
und eine Träne fiel darauf.«
Sein Lieblingsort, so ist es überliefert, soll Ziegenhain gewesen sein. Den Fuchsturm auf dem Hausberg nennt unser Dichter in der folgenden Textprobe nicht, aber den Wanderweg zu ihm, zu einem Ort, an dem eine lustige Stimmung herrscht.
»In Knebels Anlagen am Hausberge
Die Hacke schalt, das Beil erklingt
Hoch an des Hausbergs Wand,
Und Stein und Baum gar lustig springt
Vom wilden Felsenrand. //…//
Da eb‘ nen heitere Pfade sich
Durch Steingeröll und Wald,
Und wo das Reh sonst leise schlich,
Jetzt lauter Jubel schallt.«
Bei aller zeitgenössischen Hochschätzung, nicht zuletzt im »Athen an der Saale«, am »Musensitz Jena« war Wilhelm Treunert keine Erscheinung von nationaler literaturgeschichtlicher Bedeutung gewesen, wie etwa Johann Christian Günther oder Carl Friedrich Ernst Frommann , die ebenfalls auf dem Friedhof vor dem Johannistor begraben liegen. Dies bestätigt die Betrachtung der Treunert-Texte selbst (etwa die zitierten Verse auf Carl August) oder ein Blick in Lexika oder Literaturgeschichten. In Jena aber hat man ihn geliebt und geschätzt. Die Stadt, seine »Gönner und Freunde« würdigten ihren Sohn superlativisch mit folgendem Epitaph:
»Jenas edelster Sohn
Dess goldnem Munde entströmte
Treu im Frieden und Krieg
Manches unsterbliche Lied.«
Diese Gravur, berichtete Helbig, sei 1875 in goldenen Lettern sichtbar gewesen. Im unteren Teil des aus der Ratsschatulle bezahlten Sandstein – Grabkreuzes kann man, obzwar die Schrift fast verblichen ist, noch lesen: »Gewidmet von der Bürgerschaft Jenas.« Viele Einwohner, darunter die Stadtoberen, gaben ihrem Dichter das letzte Geleit. An den Folgen einer Operation war Wilhelm Treunert am 1. Juli 1860 in einem Jenaer Hospital gestorben.
Schade, dass Treunerts Grabstätte in den beiden verdienstvollen Friedhofsführern aus der Feder Ilse Trägers (von 1984 und 2015) nicht abgebildet wurde. Dies ist insofern schmerzlich, als wir bis heute kein Bildnis des Poeten kennen. Nochmals greifen wir auf Helbig zurück. Er erinnerte sich an die großen Brillengläser, die gutmütig lächelnden Augen und an die untersetzt kräftige Statur Wilhelm Treunerts. Er habe durch sein vorgebeugtes Haupt eine gewisse Würde ausgestrahlt und sich durch eine Wohlgesetztheit seiner Rede ausgezeichnet. Am Rock habe er eine Medaille getragen und in der Hand einen dicken beknopften Rohrstock gehalten. »Dies alles ließ in ihm weit eher den Herrn Bürgermeister selbst vermuthen als einen Diener.«
Hinter Treunerts Jenaer Grab, welches man an der Ostseite des Johannisfriedhofes sofort findet, ist an der Kirchenmauer eine Tafel mit der Inschrift »Treunert Familie« angebracht.
An der Schwelle zum 20. Jahrhunderts, 1892, hat Ernst Böhme in Jena einen Band mit Treunert-Gedichten herausgebracht. Dieser hat den Titel »Gedichte eines schlichten Mannes«. Vorausgegangen war 1891 ein Vortrag Böhmes zu Treunert, der auf außerordentliches Interesse stieß. Böhme war Pfarrer in Kunitz und spielte in der kirchlichen Friedensbewegung eine herausragende Rolle in Deutschland.
Im Kernbergviertel, einer heutigen Nobelgegend, erinnert die kleine »Treunertstraße« an den fast vergessenen Dichter. Er selbst wohnte in zwei Dachkammern in der Oberlauengasse 12. Dieses Haus wurde 1986 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Dort fehlt heute eine Treunert-Gedenktafel. Im Jahre 1934 hat man eine solche erstmals angebracht.
Die besten Texte Treunerts übertreffen das Niveau anderer Jenaer Heimatpoeten wie etwa Leo Sachse oder Otto Engau, nach denen in der Saalestadt (in Nachbarschaft zur Treunertstraße) gleichfalls Straßen benannt wurden.
Könnte man den Stadtpoeten, der auch die Natur um Jena immer wieder besang, nicht am besten dadurch ehren, dass man ein Bändchen mit Wilhelm Treunerts schönsten Jena-Gedichten vorlegt? Dort wären Texte wie »Schillers Garten«, »An der Oken-Büste«, »Der Kirchhof zu Jena – mit zwei Kirchen unterschiedlicher Konfession«, »Hanfried«, »Der Landgrafen Berg«, »Lobdeburg und Leuchtenburg«, »Der Fuchsturm spricht«, »Auf dem Kirchhofe zu Drackendorf« »Unsere Berge« und gar »Die Mordthat auf dem Lichtenhainer Weg« und manches mehr lesen.
Lektüreempfehlung:
Abb.: Zeichnung von Gerlinde Böhnisch-Metzmacher. Der Abdruck erfolgt mit der freundlichen Genehmigung der Künstlerin.
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