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Jens Kirsten
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»Die Dichter wohnen in den Jahrhunderten« – Zum Tod der Dichterin Elke Erb
Ein Nachruf von Jens Kirsten
Als Elke Erb mit Sascha Anderson die Lyrik-Anthologie »Berührung ist nur eine Randerscheinung« herausgab, die 1985 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschien, sorgte das für gehörigen Wirbel in der DDR. Für alle, die etwas über die unangepassten lyrischen Stimmen in der DDR erfahren wollten, die sich zu dieser Zeit erhoben, war (und ist) sie ein Muss. Mittelbar gab sie den Anstoß dazu, dass Gerhard Wolf im Aufbau-Verlag seine Editionsreihe »außer der Reihe« herausgeben durfte, in der einige in der Anthologie vorgestellten Dichter eigene Bände erhielten.
Die 1938 in der Eifel geborene Elke Erb kam 1949 in die DDR, wo ihr Vater, der Germanist und Literaturwissenschaftler Ewald Erb, an der Hallenser Universität arbeitete. Elke Erb studierte hier später Geschichte, Germanistik und Slawistik. Nach dem Studium war sie drei Jahre Lektorin im Mitteldeutschen Verlag, bevor sie freischaffende Schriftstellerin wurde. 1967 zog sie nach Berlin und heiratete den Dichter Adolf Endler, mit dem sie bis 1978 verheiratet war.
Erste Gedichte erschienen in der Zeitschrift »Alternative« (1968), in der Anthologie »Saison für Lyrik« (1968) und in der »Auswahl 68. Neue Lyrik – Neue Namen«. Dieser von Bernd Jentzsch im Verlag Neues Leben herausgegebene Auswahlband verweist auf eine Reihe Lyriker, die später zu den wichtigsten der DDR und auch im Westen gehörten: Günter Kunert, Karl Mickel, Volker Braun, Kurt Bartsch, Peter Gosse, Wulf Kirsten und Elke Erb.
Mit Adolf Endler kaufte sie zu Beginn der siebziger Jahre eine alte Mühle im sorbischen Wuischke, die zum sommerlichen Schreibrefugium wurde. Der Dichter Kito Lorenc kaufte einige Jahre später hier ein Haus – wenig später kam Heinz Czechowski hinzu und Wuischke wurde zu einem Ort des gedanklichen und künstlerischen Austauschs, an dem sich sommers zahlreiche Freunde einfanden.
Ab 1975 erschienen etwa 30 Lyrik- und Prosabände von Elke Erb. Dazu kamen zahlreiche Herausgaben sowie Nachdichtungen und Übersetzungen aus dem Russischen (Rosow, Jurjew, Zwetajewa, Martynowa). Spätestens mit der Veröffentlichung ihrer eigenen Gedichtbände wurde Elke Erb zunehmend auch im Westen Deutschlands wahrgenommen. Ihr Ausloten der Sprache – Jürgen Becker nennt das die »Grundschriften des Bewusstseins« –, ihre fortgesetzte Selbstbefragung in Prosa, Essay und Lyrik führten sie zu einer unverwechselbaren lyrischen Stimme jenseits bekannter Muster. Ihr Schreiben ist für den Leser mitunter weniger Genuss als Aufgabe, manchmal Herausforderung, sich mit dem Text intensiv auseinanderzusetzen. Das spiegelt sich in Erbs beständigem Vordringen ins Offene, ins Unbekannte, das sie sich weniger anzueignen bemüht war, als mit ihm in einen gedanklichen Austausch zu treten. All das mag dazu beigetragen haben, dass Elke Erb im sogenannten Literaturbetrieb eine Randgängerin blieb.
2007 schrieb der Dichter Wulf Kirsten in einem Essay auf Elke Erb: »Wenn unter den Bedingungen im Osten Deutschlands restriktive Vorgaben und Mangel den bescheidenen Spielraum für Lyriker einengten, gelten heute Marktgesetze, die Lyrik ins Abseits kleiner Verlage drängen, deren Werbe- und Vertriebsmöglichkeiten oft gegen Null tendieren. Die Zahl verkaufter Gedichtbände nimmt sich äußerst bescheiden aus, bleibt oft unter tausend Exemplaren. Und dennoch: die Gedichtschreiber stecken nicht auf. Es bleibt der Stachel, Weiterwirkendes, Überdauerndes, Wertbeständiges zu schaffen.«
Dass die Darmstädter Akademie sie 2020 schließlich mit dem Georg-Büchner-Preis auszeichnete, ehrte die Dichterin wie die Akademie gleichermaßen.
1803 schrieb Hölderlin in seinem Gedicht Andenken »Was aber bleibet, stiften die Dichter.« – die Dichterin Elke Erb wohnt nun in den Jahrhunderten.
Mit Elke Erb verlieren wir eine sprachmächtige Dichterin, die Zeit ihres Lebens nicht aufsteckte, die anschrieb gegen die Regeln des Buchmarktes, eine unverwechselbare lyrische Stimme, die nun im lyrischen Haus fehlen wird.
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