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Achim Wünsche
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 1/2024.
Achim Wünsche
Poetische Heimatkunde
Er war Der arme Poet von Jena, wie dem gleichnamigen Gemälde Spitzwegs entstiegen, so lebte er in zwei Dachkammern der Oberlauengasse. 1797 als unehelicher Sohn eines unbekannten Studenten geboren, starb er 1860 als Ratswachtmeister, ein Hilfspolizist, der als Verseschmied zum Original geworden war.
Mein Gärtchen an der Saale hieß seine erste Gedichtsammlung von 1836, an deren Anfang ein Subskribentenverzeichnis mit über 300 Namen stand, von der Großherzogin Maria Pawlowna bis zur »Frau Wollzogen«, Schillers Schwägerin.
Nun ist im Verlag der Jenaer Bücherstube ein Bändchen erschienen, das von 1832 stammt: Rundgemälde von Jena’s Umgegend nannte es Treunert, der sich als Heimatdichter par excellence erweist. Ein Türmer, der wie in Goethes Faust II die ganze Welt überschaut. Vom Turm der Jenaer Stadtkirche aus blickt er ringsum und hält fest, was er im doppelten Wortsinn von morgens bis in die Nacht gewahrt, denn die Tageszeiten entsprachen den Himmelsrichtungen. Im Osten geht die Sonne auf, dort erblickt er Jenzig und Hausberg. Mittags reicht sein Blick gen Süden bis nach Kahla, abends in den Westen, nachts gen Nord. Was er sieht, sind v.a. Ausflugsorte. Wie in Goethes Die Lustigen von Weimar, die aufs Land ziehen: nach »Zwätzen, Burgau, Schneidemühlen«.
Das alles in bravstem Goethe-Ton, doch ohne die Abgründigkeit des Klassikers. Nicht einmal beim Galgenberg hält er inne, gedenkt weder der Hingerichteten noch der Kanonen, die Napoleon dort 1806 aufstellen ließ, um die Stadt beim geringsten Widerstand einzuäschern.
Leider fehlt es auch an Anmerkungen der Herausgeber. Sie hätten die biederen Verse als Material für die Stadtgeschichte erschließen können. So spricht Treunert vom »Luftschiff«, einer Lichtung bei Jena. Ich dachte bislang, hier seien Zeppeline gelandet. Woher der Name 1832?
Wichtig auch die Erwähnung des Goethe-Denkmals im Griesbach-Garten. Unlängst hatten Historiker das Alter dieser ersten Dichter-Ehrung bezweifelt. Treunert liefert den Beweis, nimmt man ihn als Dokument. Der Band ist ansprechend mit Landschaftsstichen von Ludwig Heß aus jener Zeit gestaltet. Aber es genügt nicht, Texte nur zu präsentieren, man muss mit ihnen arbeiten. Dann wird das Heute in seinem Gewordensein kenntlich.
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