Thema
Thomas Liebe
Alle Rechte liegen beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Thomas Liebe
Ein bitterböser Bericht
Das schmale Bändchen beginnt mit der Erfindung eines Erzählanlasses: Die Ich-Erzählerin habe, so liest man, Tagebuchaufzeichnungen einer Freundin erhalten. Ein Wunsch dieser Frau sei es gewesen, das Geschilderte zu „verfremden“, indem man es in ein „abgelegenes Fachgebiet“ verlagert. Das Ganze solle an einer beliebigen deutschen Universität verortet werden, verrät uns die Ich-Erzählerin. Später im Text erscheint – wohl versehentlich – der Ortsname „Jena“. Auch ohne diese Angabe hätte der Ortskundige dieses Rätsel gelöst.
Unschwer ist jedoch erkennbar, dass die Verfasserin über Jahre Selbstdurchlebtes zu Papier gebracht hat. Die Jenaer Autorin Verena Paul- Zinserling ist eine ausgewiesene Klassische Archäologin und Kustodin. Seit Jahren publiziert sie im quartus-Verlag, auch im Palmbaum. Cover ihrer Bücher, versehen mit biographischen Fakten, belegen dies. Die Gleichsetzung von Autorin und Erzählerin vermeidet der Literaturwissenschaftler gewöhnlich – hier ist sie angebracht: So nuanciert, genau und plastisch kann nur berichten, wer selbst Tagebuch geführt hat.
Erzählt wird die Geschichte einer Privatdozentin in der Nachwendezeit, die mühsam und geduldig, begleitet von täglichen Schikanen, kämpft, um bis zu ihrer Verrentung an der Universität bleiben zu können. „Wir befanden uns damals gerade in der Phase der Evaluierung. Das heißt der moralischen und fachlichen Überprüfung, wobei die Kommission – ausschließlich ‚Wessis‘ – nach persönlichem Urteil oder Vorurteil und mitunter sehr subjektiv zu einer Bewertung kam, die für den Betreffenden Freispruch oder Verurteilung bedeuten konnte, das hieß im schlimmsten Fall Entlassung.“ Das Schicksal der Ich-Erzählerin hängt mit den brutalen strukturellen Veränderungen an den Universtäten in den neuen Bundesländern nach 1989 zusammen. Es ging um den Austausch wissenschaftlicher Eliten – namentlich in den Geisteswissenschaften. Im geschilderten Fall kam hinzu, dass die Autorin 1992 eine Professorin aus dem Westen vorgesetzt bekam, die im Buch den sprechenden Namen „Habicht“ erhält. Eine Chefin war sie, die man niemandem wünscht: Eine Frau ohne Manieren, machtgierig und intrigant. Nichts ließ Frau Professor Habicht aus, um die seit Jahrzehnten in Jena arbeitende Altertumswissenschaftlerin zu erniedrigen und zu beschädigen. Seite für Seite wird geschildert, welche Demütigungen die Ich-Erzählerin über Jahre zu erdulden hatte. Diese wollen wir nicht alle auflisten.
Das Buch „Mobbing auf akademisch“ bietet Anlass, das geschilderte Einzelschicksal in einen größeren Kontext zu stellen. Den oben apostrophierten „schlimmsten Fall Entlassung“ gab es massenweise in größeren Instituten an der Jenaer Universität. Die in Deutschland gültige Regelung, dass man im öffentlichen Dienst Arbeitende nach 15 Jahren nicht kündigen darf, galt für Ostdeutschland nicht. (Wo war dies gesetzlich verankert?) Habilitierte aus dem Osten durften oft keine Vorlesungen mehr halten. Kaum ein Student verstand das. Hiesige Privatdozenten hatten so gut wie keine Chance auf eine Professur. Bei 30 Neuberufungen in Jena wurde eine von einer / einem Ostdeutschen besetzt. Zahlreiche Privatdozenten wurden in die Arbeitslosigkeit verbannt. Das Perfide war, dass ihnen nicht einmal Arbeitslosengeld zustand… Ein Jenaer Historiker zeigte sich damals verwundert, dass in einer Gelehrten-Runde zum Thema „Geschichte der DDR“ nicht ein einziger ostdeutscher Forscher zugegen war.
Verena Paul-Zinserling nennt ihren Text mehrfach bescheiden einen „Bericht“. Es ist ein spannendes, lesenswertes und hoch wichtiges Buch mit überzeugenden erzählerischen Passagen. Es steht – über drei Jahrzehnte nach dem Umbruch – in einer Reihe etwa mit den Bestseller-Büchern des vormaligen Jenaer Studenten Dirk Oschmann „Der Osten – eine Erfindung der Westdeutschen“ (2023) und Steffen Maul „Ungleich vereint“ (2024). Diese Bände zeigen auf, was – trotz aller Errungenschaften – über Jahrzehnte im Osten Deutschlands schiefgelaufen ist. Die Wunden sind vernarbt, geheilt sind sie nicht.
Auf dem Cover des Bändchens sind etliche Giftpilze zu sehen. Warum – dies werden die Leserinnen und Leser herausfinden…
Verena Paul-Zinserling: Mobbing auf akademisch, quartus-Verlag, Jena-Bucha 2024, 91 Seiten, 10,00 Euro.
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