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Thüringen im Nationalsozialismus
Katrin Lemke
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Über den Heinrichsberg, vorbei am Pulverturm, kommt man durch das Johannistor die Johannisstraße entlang zum Markt. In dessen Nordostecke sieht man ein besonders geschichtsträchtiges Gebäude: das heutige Stadtmuseum, die Göhre, so genannt nach dem Besitzer des Hauses um 1900, Paul Göhre. »Göhres Weinstuben« war eine der Lokalitäten, in denen Ricarda Huch ihren Jour fixe abhielt. »Ich habe eine nette Einrichtung getroffen«, schrieb die Dichterin am 9.12.1939 an ihre Freundin Marie Baum, » damit wir in unserer entlegenen Wohnung nicht ganz vereinsamen. In jeder Woche an einem Nachmittag ist in einem Café im Zentrum der Stadt ein Stammtisch, wo sich alle Bekannte, die Lust haben, einfinden können …«
Zu diesem Kreis um die Dichterin gehörten nebst ihren Ehefrauen Doktoren und Professoren der Jenaer Universität, vor allem aus dem Umfeld des Schwiegersohnes: die Juristen Heinrich Gerland und Hermann Schulze von Lasaulx, der Soziologe Franz Jerusalem, der Theologe Gerhard von Rad, der Altphilologe Friedrich Zucker (erster Rektor der Universität nach der Wiedereröffnung im Oktober 1945), der Betriebswirtschaftler Ernst Pape und der Leiter der Universitätsbibliothek, Theodor Lockemann, der bei dem großen Bombenangriff auf Jena im Februar 1945 in den Trümmern der Bibliothek ums Leben kam.
Gerhard von Rad erinnerte sich später: »Wenn ich heute an diese Zusammenkünfte zurückdenke, dann kommt es mir vor, als seien wir meist gedrückt und mutlos zusammengesessen. Aber das stimmt wohl nicht ganz; es gab auch viel zu lachen, und einmal wurde auf Anregung von Frau Ricarda der Zeit zum Trotz sogar ein richtiges Fest gefeiert. Immerhin, der Druck der Jahre lag doch schwer auf uns allen.«
Ricarda Huch suchte in diesen Treffen, die sie »Verschwörergesellschaften« nannte, vor allem die Ermutigung und Zusammengehörigkeit Andersdenkender in der Hitlerzeit, die die Schwere der Situation erträglich machten, denn: »Ich sehe nichts als Morast und empfinde nichts als Grauen und Ekel.« Am meisten bedrückte sie – mit Blick auf Kriegführung und Verfolgungen –, »daß unserem Volk das Rechtsgefühl zu fehlen scheint.«
Der Markt wurde im Übrigen von der unprätentiösen Dichterin allwöchentlich zu Gemüseeinkäufen genutzt, bei denen sie sich durch ihre freundliche und verbindliche Art auch die Achtung der Jenaer Marktfrauen erwarb
Abb. 1: Ansichtskarte, um 1930 / Abb. 2: Foto: Jens-Fietje Dwars / Abb. 3: Ansichtskarte, 1937 / Abb. 4: Ansichtskarte, um 1900 / Abb. 5: Foto: Jens-Fietje Dwars.
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