Thema
Thomas Spaniel / Michael Hametner
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 12.09.2015.
beliebiges blut langläufer
ohne hang zum höheren
früh zu den akten gelegt
zwischen warnstreiks und moden
kaum einmal aufgefallen
mit dieser beharrlichkeit
löcher in die luft zu starren
auf einen ausweg zu hoffen
aus dem landkreis den staus
im regen den ausschußsitzungen
wo man vergessen wird
nach jahren des wartens
auf die eine gelegenheit
die sich niemals ergibt
trotz klopfender herzen
aus: harte kinder. Gedichte, Dresden 2006.
Ein tabellarischer Lebenslauf ist das Gedicht nicht. Geht ja als Gedicht vermutlich auch gar nicht. Dann stünden links nackt Jahreszahlen. Beispiel: 1987 bis 1991 und rechts: Jurastudium in Jena und gleich darunter die Jahreszahl 1988 und rechts: SPIEGELGÄRTEN, erster Gedichtband, erschienen im Mitteldeutschen Verlag. – So sähe der Tabellarische Lebenslauf des Verfassers des hier abgedruckten Gedichts aus. Also ist gar nicht Thomas Spaniels höchst eigener tabellarischer Lebenslauf wiedergegeben – es handelt sich um ein dreistrophiges, reimloses Gedicht in klarer, nüchterner Sprache. Für mich ist es ein sehr schönes Gedicht – schön, weil es so tapfer illusionslos ist.
Wer von sich sagt: ohne hang zum höheren, hatte mal einen. Vermutlich wurde er nicht früh zu den akten gelegt. Der lyrische Sprecher lebt, wo man vergessen wird. Und gesteht uns am Schluß, dass das Warten darauf, entdeckt und die große Gelegenheit zugeschoben zu bekommen, immer noch klopfende herzen macht.
Aber im Ganzen – trotz hörbarer Schwankungen des Sprechers im Gedicht – sind die Gelegenheiten abgeschrieben, die Illusionen geplatzt. Für mich ist das eine traurige Selbsterkenntnis und eine wichtige zugleich. Illusionen halten auf Dauer nur auf. Wenn ich weiß, wer ich bin und was nicht mehr kommt, weiß ich, WORAN ich bin – mit mir und meiner Umgebung.
Thomas Spaniel – 1963 in Nordhausen geboren, dort heute auch Rechtsanwalt, als Lyriker mit bisher sechs Gedichtbänden – macht das oft in seinen Gedichten: Lagebeschreibungen. Nüchtern im Ton. Und weil er das Gedicht wunderschön Zeile für Zeile aufbaut, aber nicht linear, sondern in Sprüngen, bietet er uns Überraschungen und Pointen, die etwas gegen den traurigen Ton setzen: Witz! In diesem Fall: eine schöne Portion Selbstironie. In seinem Gedicht Tabellarischer Lebenslauf steckt noch etwas mehr als Selbstmitleid, denn es gibt in den Versen Anzeichen, die fragen lassen, ob die Person wirklich berechtigt war, auf die großen Gelegenheiten zu hoffen. Denn sie wollte nicht auffallen: zwischen warnstreiks und moden/ kaum einmal aufgefallen.
Wer nicht auffallen will, muss sich auch nicht beschweren, oder?! Auch deshalb ist es für mich ein schönes Gedicht, weil es bei Thomas Spaniel eine Bedeutung der Worte gibt und eine zweite hinter den Worten.
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