Thema
Christine Hansmann / Martin Straub
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 09.02.2017.
für Thomas Rosenlöcher
Und jetzt:
vollkommene Gebärden,
schwanfederweiß und schwere-
los, ein Blüten-
blätterfall, in dessen Kreis
ich stehe, angelehnt, die Rinden-
risse tief im Rücken –
es ist der Überfluss
an Licht, der mich so trunken
macht, das Überfließen
jenes Weißes
vor dem falben Weiß
des Himmels, ein Vorhang,
der sich öffnet
jenseits
meines Blicks.
(Erstdruck)
Christine Hansmann, 25 Jahre Opern-Sängerin am Deutschen Nationaltheater Weimar, schreibt vor allem Lyrik und lyrische Prosa und ist zudem als Sprecherin und Rezitatorin tätig. Demnächst bringt sie zusammen mit Dr. Sonja Price im Rudolstädter Schillerhaus Shakespeares Sonette zu Gehör. Ihr Gedicht »Kirschbaum« ist dem sächsischen Dichter Thomas Rosenlöcher gewidmet. In mehreren Gedichten bewundert auch er, genau beschreibend, die Pracht der Kirschblüten. Beide berufen sich dabei auf einen Ahnen, der ganz wesentlich die deutsche Naturlyrik geprägt hat: Barthold Hinrich Brockes (1680–1747). Er überschrieb ein Gedicht »Kirschblüte bei der Nacht«. »Es ist kein Schwan so weiß…«, heißt es bei ihm voller Bewunderung für diese Schönheit der Natur. Bei unserer Autorin ist von »schwanfederweiß« die Rede. Aber während Brockes mit »betrachtenden Gemüte« im »Schatten dieses Baumes« geht, steht bei unserer Dichterin das lyrische Ich des Gedichts inmitten des »Blütenblätterfalls«, »die Rinden-risse« des Baums »tief im Rücken«. Christine Hansmann beschreibt nicht. Dieses Ich, das ihr sicher sehr nahe ist, scheint versunken und bewegt zugleich, ja, »trunken« von dem »Überfluss an Licht«. Die Brüche am Zeilenenden und ihr Übergang in einen doch fließenden Rhythmus belegen es. Und in dieser Stimmung, versucht sie dieses Weiß genauer zu fassen. Man kennt das ja, dieses: mir fehlen die Worte, wenn man etwas mitteilen will, was einen besonders beeindruckt. Bei Christine Hansmann weitet sich schließlich am Ende des Gedichts himmelwärts der Raum.
Es ist eine schöne Welt, die sie da malt, fern von allen scharfen Konflikten oder trotz alledem. Es ist ein Plädoyer für einen Gang in die Natur, die es noch immer gibt. Vielleicht wehrt sich die Verfasserin dagegen, dass ein solch inniges Betrachten der schönen Natur nicht zeitgemäß sei. Und natürlich weiß sie, dass der Blick aufs Smartphon weit häufiger als auf fallende Blütenblätter fällt. Um so wichtiger ist dieser intime Moment, den sie im Gedicht fest hält.
Biographische Angaben
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/thueringer-anthologie-nr-152-martin-straub-ueber-christine-hansmann/]