Thema
Udo Degener / Thomas Spaniel
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 19.11.2016.
hier knüpfte großvater
fliegen aus federn perlen & draht
es ist ihre gier ihre ungeduld
für einen moment
bitterschön sieht die sehne aus
ein kurvenlineal
bevor taumelnd
das wasser
den köder berührt
aus: Schattenplätze der Erinnerung, Berlin 2008.
Ein Dinggedicht – Kurt Oppert verwendete 1926 diesen Begriff – versucht, den Gegenstand der Betrachtung sprechen zu lassen, ohne das Subjekt des Betrachters oder des Autors als Akteur zuzulassen. Rilke und Mörike gelten als Virtuosen. Der in Nordhausen geborene Udo Degener, Lyriker, Großmeister für Schachkomposition, Verleger, Kulturwissenschaftler, ein Multitalent, führt eine raffinierte Variante vor. Das vermeintliche „Ding“ bleibt im gesamten Gedicht unauffindbar. Die Forelle selbst gibt sich nicht die Ehre. Lediglich ihre Gier wird eingeführt, kurz erwähnt, als ein sparsamer Wegweiser. Die schimmernden Augen, die glänzenden Schuppen und Flossen bleiben dagegen verborgen. Davor beginnt es idyllisch. Der Großvater baut aus Federn, Perlen und Draht, puristischen Materialien: Fliegen. Artefakte aus der Kunst des Angelns. Dieser Großvater hat sich für das Angeln von Forellen, die Jagd auf sie, entschieden; andere Großväter entwerfen und bauen Drachen aus Zeitungspapier und Holzleisten (die vielleicht nie fliegen – oder doch). Es liest sich vorerst wie der Beginn eines Manifestes über unbeschwerte Biografien. Angelzubehör als Kunstwerk, die handwerkliche Realisierung, der Prozess der Erschaffung als Anlass, den Großvater zu erinnern – so wird man elegant fehlgeleitet, wenn man nicht achtgegeben hat. Dann kommt es knüppeldick. Das Kunstobjekt des Großvaters hängt an einer „bitterschönen“ Sehne. Das wunderbare Wort, einen Millimeter neben „bitteschön“, jedoch um Abgründe entfernt, bedarf keiner Erläuterung. Das Kurvenlineal, Sinnbild eleganter Bewegung, vielleicht einer Meereswoge, hält her für den Schwung des Wurfes, die Schönheit des Jagens – die Ästhetik des heran schwirrenden Todes. Wer so verfolgt wird, dem scheint nichts anderes übrig zu bleiben, als dem eigenen Verfolger begeistert zuzusehen. Und die Gier stellt das Geschehen auf den Kopf – nicht nur der Fisch, auch das Wasser steigt der Gefahr entgegen. Lauthals ruft das Bild: Aufgepasst, die Welt ist voller Köder!
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