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Siegfried Nucke
»Dichters Wort an Dichters Ort« / Thüringer Literaturrat e.V.
Die kleinen Lampen rücken die Messer und Eisen auf den Arbeitstischen ins Licht, wie man es aus alten Erzählungen kennt. Im Halbdunkel überall Kisten und Kästen, gefüllt mit fantastisch geformtem Wurzelholz, mit Holzklötzen und Klötzchen, hier Pfeifenköpfe grob in Form gebracht, dort Mundstücke, noch ohne Glanz und Schmuck. Im Fenster blühen die Pelargonien des letzten Jahres. Der Wind pfeift durch die Fenster. Alte Drechselbänke, seit hundert Jahren im Betrieb, drunter frische Sägespäne. Es duftet nach Holz. Hier wird heute noch mit der Hand gearbeitet.
Vorn im Büro, auf grünem Samt, gerade mit dem goldenen »K« für Kallenberg geprägt, liegt ein Prachtstück, das nach vierzig Arbeitsgängen vollendet wurde.
Der schwere Pfeifenkopf honigfarben – glänzend, fein geschnitzt ein Mufflonkopf mit schwungvollen Schnecken. Nicht jedermanns Geschmack, aber für Jedermann gibt es hier nichts. Nur für den Liebhaber: Hier schlicht, da kantig, dort rund. Das möchte man in die Hand nehmen, aber: Erst die weißen Stoffhandschuhe überstreifen! Das gute Stück ist bestellt. Man spürt, wie gut die Tabakspfeife in der Hand liegt, man möchte immer wieder über das blankpolierte Bruyère-Holz streichen, die Maserung, das Schnitzwerk bewundern.
Als ich das Exemplar wieder zurücklege, scheint der Pfeifenmacher erleichtert: Frank Peter Filß, der die Traditionsfirma Kallenberg weiter führen darf. Und das »darf« wird er bei meinem Besuch immer wieder betonen, denn diese Traditionsfirma ist nichts für Hobbydrechsler oder Pfeifenschnelldreher. »Ich muss dem Chef unglaublich danken, dass er mir sein Lebenswerk anvertraut.« sagt Frank Peter Filß, der vor Jahren hier arbeitete, die Fabrikation genau kannte und die Pfeifenmacherei wieder zum Leben erweckte.
»Ich habe in den ersten Tagen enorm viel für die Tonne, für den Ofen gearbeitet.« erzählt er. Wenn man etwas erzwingen will, wird es garantiert nichts. »Ich wollte am Anfang alles gleich wieder können, so wie vor Jahren, jede Idee sofort umsetzen und gleich jedes Detail herausarbeiten. Aber mit Hauruck funktionierte es nicht.« Das Holz fordert in jedem Moment Feingefühl.
Geduld, Beherrschung und Ruhe die Selbstverständlichkeiten, die man im Handwerk braucht. Als ihm das klar geworden war, begann sich das Wurzelholz zu fügen.
Was soll heute für eine Tabakspfeife entstehen? Eine Stand-up Poker oder eine Bent Apple oder eine Lovat ? Vor ihm die Kisten mit Bruyère, der Baumheide, die nur wild gedeiht. Immer wieder nimmt Peter Filß das eine oder andere Holz in die Hand. »Du musst wissen, was du willst, dann kannst Du hoffen, das richtige Stück Holz dafür zu finden.« Es wird mit Bleistift grob angezeichnet, in unscheinbaren Kistchen nach Pappblättern gesucht, Formen und Ideen von Meister Kallenberg, die »Schätze vom Chef«. Inzwischen sind eine Reihe eigener Kreationen hinzugekommen, die sehr begehrt sind.
Holz, Pappe, Bleistift – damit beginnen die kleinen Meisterwerke. »Das wird eine Poker.« Ich nicke, ohne zu verstehen. Filß spannt das Holz in eine einfache Spannvorrichtung, wirft mit einer Handbewegung einen Riemen an, es surrt, ein Spindelstock dient als Auflage für ein scharfes Messer, das mit unmerklichen Bewegungen der Hand geführt wird. Allmählich wächst aus dem Klotz ein Pfeifenkopf. Immer wieder wird der in die Hand genommen, mit einem Bleistift gemessen, mit dem Auge verglichen, geschliffen und verglichen, Gleichmaß und Harmonie von jeder Seite mit der Hand aus dem Holz geholt.
Tatsächlich – ein eleganter Pfeifenkopf! Ich staune, allerdings: Filß knurrt wenig Druckreifes. Im Holz ist ein Einschluss sichtbar geworden, ein Riss, der sich ins Innere zieht. In den Ofen mit dem Holzabfall, ran an die Kisten, ein neues Stück Bruyère suchen und das Ganze von vorn.
Das wird dauern. Ich schaue mich um. Ich bin in der einzigen, original eingerichteten, voll funktionstüchtigen Pfeifenfabrik, nein, nicht Deutschlands, nicht Europas, sondern der Welt. Die hohen Räume mit der Patina von fast hundert Jahren Produktion. Überall Schränkchen, Kästen, Regale und uralte Maschinen – funktionstüchtig bis ins Detail, aber nur etwas wert, wenn der Mann vom Fach mit ihnen umgeht.
Kallenberg-Pfeifen kennt man nicht nur in Thüringen, Kallenberg-Pfeifen werden in Amerika, Kanada und vielen europäischen Ländern geraucht, gepflegt, als besonders wertvolle Exemplare in Vitrinen ausgestellt. Die Fachliteratur weltweit verweist ganz selbstverständlich auf die Firma Kallenberg, den ältesten deutschen Pfeifenmacher.
In Tabarz läuft auch heute noch der Drehfeldmotor von 1921, werden die Arbeitsplätze über freilaufende Transmissionsriemen angetrieben, braucht jedes Maschinenteil die tägliche Ölung.
Als Horn- und Beinwarenfabrik 1919 von Heinrich Kallenberg gegründet, stellte man Zigarren- und Zigarettenspitzen sowie Pfeifenmundstücke her. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Pfeifenproduktion. »In unseren besten Zeiten haben wir 30.000 Stück im Jahr gemacht, mit im Schnitt acht bis zehn Beschäftigten.« erzählte Hans Kallenberg, der Enkel des Firmengründers, in einem Interview. In den neunziger Jahren haben seine Tochter und er das Unternehmen fortgeführt, aber mit handwerklicher Perfektion konnte man nicht gegen die wenigen Marktführer im Vertrieb konkurrieren. Die Kallenbergsche Pfeifenfabrik schloss.
Frank Peter Filß hat ein neues Stück Bruyère eingespannt, diesmal kein Fehler im Holz, Raspel, Messer und verschiedenste Schleifteller geben dem Pfeifenkopf eine Form. Es sieht ganz einfach aus: Filß hält ein Stück Holz an das Werkzeug, dreht ein bissl hin und her, die Rauchkammer ist zu bohren, freihändig, versteht sich, gemessen wieder mit Bleistift und Auge, der Rand absolut gleichmäßig, die Tiefe so, dass das Zugloch exakt auf die Kammer trifft. Und immer wieder prüfen, drehen, schleifen, vergleichen, noch einmal mit dem Schleifpapier drüber.
»Straight Grain«, werfe ich mein angelesenes Wissen ein. Filß ist nachsichtig und erinnert daran, dass eine absolut gleichmäßige, senkrechte Maserung ganz, ganz selten ist. Die hier sei aber annehmbar. Jetzt wird das Zugloch gebohrt, anvisiert mit dem Auge, frei Hand und punktgenau den Bohrer angesetzt, später die Filterkammer angepasst. Der Holm wird vorbereitet, eine Verzierung aus Bein aufzunehmen, eine Spezialität der Firma, die jeder Pfeife zusätzlich noch ein Schmuckelement hinzufügt – zurückhaltend und elegant. Und wieder schleifen, prüfen, schleifen, prüfen, bis Mundstück und Pfeife nahtlos verbunden sind – zu einem Stück gewachsen.
Fertig? Beileibe nicht! Wichtige Stationen sind das Beizen mit Naturfarben, das Polieren mit Marmormehl, Bimsstein, Carnaubawachs. Immer feiner, immer markanter wird der Charakter des Holzes. Unikate entstehen selbst dann, wenn die Formen sich ähneln – jedes Stück Bruyère zeigt andere Linien.
Pfeifenmacher Frank Peter Filß nickt zufrieden und sucht nach dem nächsten Stück Wurzelholz.
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