Thema
Maren Baumann
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Maren Baumann
Wie rezensiert man die reine Existenz?
Direkt zu Beginn lädt bereits das Cover zu einem intensiven Leseerlebnis ein, verziert mit einem schwarz-weißen Gesicht in Collagetechnik. Auch die Seiten zwischen den einzelnen Kapiteln haben eine solche Aufmachung, die Bilder erinnern dabei stark an surrealistisches Kino der 1920er Jahre á la Das Kabinett des Dr. Caligari oder Die Einladung zur Reise. Ziemlich raffiniert also, das Motiv des Films auch grafisch zu verpacken.
Die zugrunde liegende Struktur ist quasi fast genial. Ein Mann erklärt sich das Leben in Filmen – er denkt in Filmen, sieht Sinnzusammenhänge durch Filmreferenzen, sieht kitschige Szenen vorher, weil er das Drehbuch schon tausendmal zuvor gesehen hat. Er kann komplexe Handlungsstränge im Film verstehen, aber nicht das eigene Leben. Der Filmkritiker ist zum Zuschauer seiner eigenen Existenz geworden, er sieht wie eine Fliege an der Wand dem Geschehen um sich herum beim Vorbeirauschen zu. Zu Beginn der Handlung wird der Eindruck von einem kleinen, etwas hilflosen Mann erweckt – und dann wird ganz schnell mit diesem Bild gebrochen. Der Filmkritiker entlarvt sich als Mann, der keine Ahnung vom Leben hat, und welcher mehr durch das Leben stolpert als geht. Durch den gesamten Roman hinweg bleibt er ungreifbar, unnahbar, zu sehr in seiner Filmwelt befangen. Auch den anderen Charakteren des Buches geht es so, allen voran seiner Ehefrau Claire, die sich aufgrund dessen auch von ihm trennt.
Diesem Menschen fällt es so unglaublich schwer, ehrlich zu sein – zu sich selbst und zu allen anderen. Bei ihm gibt es keine echten Gefühle, weil sie als übertriebenes Klischee abgestempelt werden. Und wenn, dann erklärt er sich durch Filme, welche er ebenso als Argumente in Streitgesprächen verwendet. All dies ist jedoch nicht echt, nicht greifbar oder verständlich, sondern nur illusorisch, eine Fassade, die die ganze Zeit aufrechterhalten wird. Keinerlei Intimität, keinerlei Nahbarkeit oder Verletzlichkeit, die ihn als Erzähler besonders auszeichnen würde. Also redet er einfach nicht über Dinge, was sich als Motiv wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung zieht. Er gibt keine Antworten, sondern obskure cineastische Referenzen, Hintergrundwissen zu Schauspieler*innen, Drehbuchautor*innen oder Regisseur*innen. Der Protagonist ist vielschichtig, ein wahnsinnig faszinierender Charakter, und dennoch ist er leer. Eine Hülle, auf die er stetig unterschiedliche Versionen projiziert – einen Filmkritiker, einen Ehemann, einen Geschiedenen, und schließlich einen gefeierten Autor. Der Protagonist selbst hat so wenig Substanz, dass sogar seine Erfolgsromane vom Leben anderer handeln.
Hier werden ständig bewusst die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verwischt. Sind das gerade nur Gedanken, die der Protagonist uns mitteilt, oder sagt er das gerade wirklich? Hat er wirklich Tinnitus oder was genau bildet er sich gerade ein? Dieses Spiel zwischen Wirklichkeit und Film charakterisiert den Roman, den Erzähler und alles dazwischen.
Gleichzeitig enthüllt es den Filmkritiker dabei selbst als schlechten Schauspieler. Er lässt Leute kaum ausreden, seine Stimme ist distanziert, wenn auch bruchstückhaft empathisch. Aber was am deutlichsten zu Tage tritt, ist seine zynische Selbstbezogenheit. Der Tod seines besten Freundes scheint ihn kaum mitzunehmen, er bekommt noch nicht mal einen Namen. Ein Umstand, unter welchem viele Figuren, selbst die Hauptfigur selbst, leiden, weshalb sie schnell als wabernder Nebel wieder verblassen.
Das Einzige, was wahrhaft greifbar ist, ist sein eindringlicher Wunsch nach Anerkennung. Der Filmkritiker hat so einen immensen Drang danach, seinen Bruder, der Schriftsteller ist, zu übertrumpfen, dass er seine cineastische Komfortzone verlässt und sich in die Welt der Literatur begibt, wenn auch unter einem Pseudonym. Der Filmkritiker enthüllt sich als schlechter Schauspieler, als befangener Erzähler, als Fremdkörper in der Welt der Emotionen, in der Literatur, und er hat es ja ach so schwer. Selbst am Ende, als er alles erreicht hat, was er wollte, schafft es der Protagonist immer noch nicht, ehrlich zu sein. Auch Claire gegenüber spielt er immer noch eine Rolle. Filmlieber bleibt Filmliebhaber. Und genau diese raffinierte Technik des langsamen Entlarvens, des Schälens von Bedeutungsschicht um Schicht, dem vorsichtigen Pellen der äußeren Hüllen bis man am Kern angelangt ist, macht dieses Buch so mitreißend. Kritisch anzumerken ist, dass der Autor sein Konzept sprachlich leider nicht immer adäquat untersetzt. Die gewählte Sprache kommt mitunter so salopp und alltäglich daher, dass sie es nicht schafft, den Lesenden in ihren Bann zu ziehen.
Das fällt auf, weil Ronny Thon stellenweise, wie im Kapitel »Übergewicht an Sein«, unter Beweis stellt, dass es auch anders geht: Hier wechselt die Fokalisation, geht über von einem homodiegetischen Erzähler hin zu einem heterodiegetischen und illustriert sprachlich geschickt die innere Leere des Filmkritikers. Hier wird dynamisch ausgestellt, wie der Protagonist in eine neue Rolle schlüpft, eine neue Vision auf seine äußere Hülle projiziert, und bereitet ein wahres Vergnügen, dieses Kapitel zu lesen. Doch dann springt er mehr schlecht als recht zwischen einzelnen Szenen hin- und her und das erscheint technisch plump. Der Roman zeigt auf technisch versierte, aber etwas holpriger Weise, dass Dinge manchmal auch einfach nur Dinge sind. Dass das Leben nicht aus schwerwiegenden Metaphern oder kryptischen Chiffren besteht – und das vielleicht auch gar nicht kann. Dass genau diese Art und Weise, die eigene Verletzlichkeit zu verschlüsseln, einen schlussendlich doch davon abhält, am eigenen Leben teilzunehmen und man sich so selbst zum Zuschauer degradiert, der wie eine Fliege an der Wand das Geschehen an sich vorbeiziehen sieht. Eine wunderbar gelungene Idee, die sprachlich jedoch dem gesteckten Ziel nicht immer gerecht wird.
Drei von fünf Daumen hoch für diesen Debütroman.
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