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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2018.
Im Tal der Weißen Elster liegt die »Perle des Vogtlandes«. Bis 1918 war Greiz Residenzstadt der Fürsten Reuß älterer Linie. Bis heute prägen das Obere Schloß, das Untere Schloss und der Park mit dem Sommerpalais das Bild der Stadt.
Im 19. Jahrhundert erlebte Greiz einen Aufstieg zu einem wichtigen Standort der Tuchindustrie. Heute ist von dieser durch die Baumwollweberei ausgelösten Stellung, die sich über eine großen Teil des Vogtlandes erstreckte, kaum etwas übrig geblieben. Da, wo einst Produkte von Weltruf entstanden, läßt sich die Geschichte nur noch im Museum nachvollziehen; im Unteren Schloß ist heute eine Textilschauwerkstatt eingerichtet. Als Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises mit etwa 22.000 Einwohnern ist Greiz ein Mittelzentrum.
Die Residenztradition begann bereits 1306 mit den Grafen von Reuß, die 1449 die Stadt in Unter- und Obergreiz teilten, weswegen es auch zwei Residenzschlösser gibt. Mehrfach wurden große Teile der Stadt von Bränden zerstört, so 1802, 1902 und 1908. Beim Wiederaufbau entstanden um die Thomasstraße repräsentative Straßenzüge in den unterschiedlichsten Spielarten des Jugendstils. Eine dunkle Episode in der Stadtgeschichte waren die Jahres des Nationalsozialismus, in denen über 800 Menschen einer Zwangssterilisierung im damaligen Landeskrankenhaus in der Wichmannstraße unterzogen wurden.
Zum 800. Jubiläum der Ersterwähnung 1209 war die Stadt Austräger des 12. Thüringentages und konnte unter dem Motto »Greiz hat Reiz« 210.000 Besucher zu den Feierlichkeiten anlocken.
Die Zersplitterung des Fürstentums in sehr kleine Herrschaften trug Greiz einigen literarischen Spott ein. Heinrich Heine (1797–1856) sprach in diesem Zusammenhang von »Greiz-Schleiz-Hinterpommern«. Das im 19. Jahrhundert vielgespielte Theaterstück »Zopf und Schwert« von Karl Gutzkow (1811–1878) lässt eine preußische Prinzessin ausrufen:
Wilhelmine: Und uns lieber wünschen, Prinzessin von Reuß –
Sonnsfeld: Schleiz –
Wilhelmine: Greiz und Lobenstein zu sein!
– statt einen ungeliebten Mann zur ehelichen. Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) beantwortet 1845 eine amtliche Verlautbarung eines Reußenfürsten sarkastisch: »O wär ich doch so auch einer,/Ein Greiz-Schleiz-Lobensteiner!«. Ein unbekannter Satiriker aus derselben Zeit wird in einer Liedzeile noch deutlicher: »Reuß-Greiz-Schleiz-Lobenstein/jagt in ein Mausloch rein.«.
Aber natürlich war das Fürstentum nicht nur Opfer satirischer Literatur, sondern brauchte auch eigene Autoren hervor. Manfred Wittich (1851–1902) wurde in Greiz geboren. Vorrangig Verfasser von Festspielen, war er auch Lyriker (»Gelegenheitsgedichte und Prologe für Arbeiterfeste«, 1891). Der Mundartautor und Heimatschriftsteller Gotthold Roth (1866–1955) lehrte in Greiz als Gymnasiallehrer von 1892–1928. Von seinen Werken sind zu nennen: »Je lenger je liewer« (1902), »Rure Reesle« (1925), »Letzte Blimmle« (1934). Kultstatus erlangte mit seiner Arbeit in der DDR-Satirezeitschrift »Eulenspiegel« Hansgeorg Stengel (1922–2003), der in Greiz geboren wurde. Seine satirischen Werke »Mit Stengenszungen« von 1967 oder »Stenglisch for you« von 1970 brachte er auch als Solokabarettist auf die Bühne. Sein Geburtshaus liegt an der Brauhausgasse, Ecke Schlossbergstraße.
In den 1960er und 1970er Jahren entwickelte sich in Greiz eine sehr lebendige literarische Szene um den »Greizer Kreis«. Reiner Kunze (*1933) kam 1962 nach Greiz und lebte hier 15 Jahre, bis zu seiner unfreiwilligen Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. Der Band »Die wunderbaren Jahre« von 1976 ist ein Buch über Anpassung und sanfte Rebellion im autokratischen DDR-System. Den Weg in die Öffentlichkeit bereitete den Schriftstellern jener Jahre der undurchsichtige Manfred Böhme (1944–1995), der von 1968 bis 1980 Kulturbundsekretär in Greiz war und in dieser Eigenschaft einerseits ein Motor des Greizer Literaturlebens wurde, andererseits unter dem Decknamen »IM Paul Bonkarz« Berichte an die Staatssicherheit lieferte. Besonders auffällig wurde die Janusköpfigkeit Böhmes im Verhalten gegenüber Jürgen Fuchs (1950–1999), dem er in Greiz noch eine Bühne bot, als er im restlichen Land bereits mit einem Leseverbot belegt war. Natürlich wurde auch diese Angelegenheit mit einem schriftlichen Brevier an die Staatssicherheit dokumentiert. Zu dem Kreis von 10 bis 15 jungen Leuten gehörte auch Günter Ullmann (*1946–2009), der ab 1971 die Leitung des Lyrikzirkels übernahm. Ullmann war Schlagzeuger der Jazzformation »media nox« und Lyriker (»erdlicht. Gedichte und Prosa aus 30 Jahren«, 1999). Ein literarisches Denkmal für dem Kreis verfasste Volker Müller mit »Prominente Pilzvergiftungen. Portraits« von 2002.
Einen eindrucksvollen Ehrentitel erwarb sich der Feuilletonist und Satiriker Michael Rudolf (1961–2007): »Deutschlands gefürchtetster Biertrinker«. Mit seinem Hintergrund als Ingenieur für Brauereitechnik und seiner bissigen Art analysierte er in »Bier! Das Lexikon« von 1997 und »2000 Biere. Der endgültige Atlas für die ganze Bierwelt« von 2002 die Gerstensaftlandschaft derart, dass er schon bald von deutschen Brauereibesitzern weithin gefürchtet war. Darüber hinaus war er für das Satiremagazin »Titanic« tätig und schrieb Bücher über Greiz, Rockmusik und Pilze.
Abb. 1, 2: Ansichtskarten, um 1898, 1930 / Abb. 3: Foto Udo Scheer.
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