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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2014.
Die Kreisstadt des »Weimarer Landes«, die aufgrund einer über 250-jährigen Tradition des Glockengießens den Beinamen »Glockenstadt« trägt, bildet mit Weimar und Jena ein Städtedreieck. Die am Rande des Thüringer Beckens gelegene Stadt, die heute 22.000 Einwohner zählt, wurde 1119 erstmals als Siedlung mit zwei Kirchen urkundlich erwähnt. Die dabei erwähnte Martinskirche birgt Reste romanischen Mauerwerks und ein Altarfundament aus dieser Architekturepoche.
Um 1123 war eine Burg Sitz eines Ministerialengeschlechts des Mainzer Erzbischofs, die zum Zentrum einer Burgsiedlung wurde. Diese Siedlung erhielt 1289 das Stadtrecht. Die erste Gemeindeverfassung von 1440 ist im sogenannten »Roten Buch« überliefert. Erst 1666 gab das Erzbistum Mainz seine Ansprüche auf die Oberlehnsherrschaft auf, obwohl in der Stadt bereits 1528 die Reformation eingeführt wurde. Das heutige Rathaus wurde unter Christof von Vitzthum 1558/1559 angelegt. Nach dem Aussterben der Apoldaer Vitzthume 1631 zogen die Ernestiner in die Stadt ein und übergaben sie der Universität Jena als Gut.
Für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt war die Entstehung einer Strumpfmanufaktur bestimmend. Um 1690 gab es 30 Strumpfwirkerstühlen in der Stadt, deren Zahl bis 1780 auf über 800 anwuchs. Vom wirtschaftlichen Aufstieg dieses Gewerbes zeugen heute zahlreiche Jungendstilvillen und die monumentale neugotische Lutherkirche (1890–1894). Für die Glockengießertradition, die sich parallel entwickelte, stehen die Namen Rose, Schilling und Ulrich. Die Firma der Gebrüder Ulrich goss mit der St.-Peters-Glocke für den Kölner Dom 1923 eine der größten freischwingenden Glocken der Welt. In der Bahnhofstraße 41 dokumentiert das Glocken- und Stadtmuseum die Geschichte des Glockengießerstandortes Apolda.
In unmittelbarer Nachbarschaft findet sich mit dem Kunsthaus Apolda Avantgarde ein Ausstellungshaus für moderne Kunst, dessen Ausstellungen weit über die Region ausstrahlen. In der Stadt geboren wurden der Hundezüchter Karl Louis Dobermann (1834–1894), der Wegbereiter der Philatelie Hugo Michel (1872–1944) und der Bob-Olympiasieger Wolfgang Hoppe (*1957).
Dietrich von Apolda (um 1225/1228-nach 1301/1302), Dominikanermönch und Spross des Geschlechtes Vitzthum, war nicht nur ein bedeutender Autor geistlicher Schriften, sondern machte sich auch als Hagiograph einen Namen. Besonders bekannt ist eine lateinische Vita der Heiligen Elisabeth.
Johann Friedrich Hirt (1719–1783), in Altenburg geboren und Amtsvorgänger Herders in der Superintendentur in Weimar, gab ab 1772 die »Orientalisch-exegetische Bibliothek« in acht Bänden heraus. Goethe hielt sich in den Jahren 1776 bis 1786 als Leiter der Kriegs- und Wegebaukommission oft in der Stadt auf. Besonders angetan war er von ihrem Klima allerdings nicht. In einem Brief an Charlotte von Stein schrieb er am 6. März 1779:
Hier ist ein bös Nest und lärmig, und ich bin aus aller Stimmung. Kinder und Hunde, alles lärmt durcheinander. […] Hier will das Drama gar nicht fort, es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwürker in Apolde hungerte.
Der Historiker Friedrich Förster (1791–1868), der Gründer des Wissenschaftlichen Kunstvereines in Berlin und enger Freund Hegels, verfasste eine Reihe von militärhistorisch orientierten Werken, von denen »Preußens Helden in Krieg und Frieden«, 7 Bde, (1849–1860) stellvertretend für andere steht. Allerdings erschöpfte sich sein Werk nicht in wissenschaftlichen Betrachtungen. Förster trat auch als Dichter hervor, schrieb unter anderem 1831 das Drama »Gustav Adolph« und 1841 das Festspiel »Die Perle auf Lindahaida«.
Ein wichtiger Förderer der deutsch-russischen Kulturbeziehungen wurde mit Christian Gottlob Tröbst in Apolda geboren (1811–1888). In der Zeit von 1839–1846 war er Hauslehrer in Moskau, wo er auf den jungen Lew Tolstoi traf. Er übersetzte als erster Alexander Puschkins Novellen ins Deutsche. Den Posten des Bürgerschuldirektors in der Glockenstadt hatte ab 1850 Julius Constatin Kronfeld (1827–1888) bis zu seinem Tod inne. Er beschäftigte sich eingehend mit der Historie der Stadt. Seine »Heimathskunde von Thüringen« (1861), beleuchtete erstmals die Industrialisierung und ihre Auswirkungen in einem größeren Zusammenhang. 1871 folgte seine »Geschichte und Beschreibung der Fabrik- und Handelsstadt Apolda und deren nächste Umgebung«.
Elisabeth Blochmann (1892–1972), Pädagogin und Geliebte Martin Heideggers, beschäftigte sich umfassend mit Studien zu Friedrich Fröbel. Ihr Hauptwerk »Das ›Frauenzimmer‹ und die ›Gelehrsamkeit‹. Eine Studie über die Anfänge des Mädchenschulwesens in Deutschland« erschien 1966. Der Briefwechsel mit Heidegger ist in einer 1989 durch Joachim W. Storck besorgten Ausgabe dokumentiert.
Der 1952 in Jena geborene Schriftsteller Lutz Rathenow lässt in seinem Kinderbuch »Ein Eisbär in Apolda« von 2006 einen Eisbären am Bahnhof Apolda um eine Fahrkarte nach »Obervolta« bitten. Da er allerdings furchtbar nuschelt, erhält er die Auskunft, er sei bereits da, nämlich in Apolda. Er verlässt den Bahnhof und freut sich, schon am Ziel zu sein. Die gegenwärtige, entindustrialisierte Situation Apoldas thematisiert die Lyrikerin Ilka Lohmann (*1976) in ihrem Lyrikband »Der Seele Pflastersteine« von 2006.
Abb. 1: Ansichtskarte, um 1900 / Abb. 2: Ansichtskarte, um 1911 / Abb. 3: Ansichtskarte, 1922.
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