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Dichter und Literaturvermittler im Porträt
Nancy Hünger
Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte liegen bei der Autorin. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Wer ein Du anruft, sollte niemals mit ich beginnen. Aber was bleibt denn dem ich, als genau dies: Drei Buchstaben die sich auf einen Weg machen, Dir zu. Ich also, ich erinnere mich an einen Pubertierling, eine Fünfzehnjährige im Staubmantel, eine die verlegen durch den Weimarhallenpark schlich, zum Litertaurcafé (von Muttern abgestellt). Die Treppe hoch, schlich ich, weniger verlegen, denn ängstlich, in ein winziges Mansarden-Zimmer, da Männer, richtige Kerle über Literatur brüteten, sich stritten, rauchten und mich ansahen, anstarrten vielleicht: das Mädchen.
Erinnere ich mich richtig. Erinnert sich das Mädchen noch an zwei, die einander zugewandt, in Sesseln saßen. Es musste sich um Instanzen handeln. So wurde das von Muttern abgestellte Mädchen aufgefordert, auch etwas zu lesen. Und die Angst dünstete durch den Staubmantel. Aber ich, aber das Mädchen, las, was die Pubertät ihr offenherzig diktierte: Liebeskummer, Tod und Menschenhandel. Las es den Männern, den ganzen und den halben Kerlen und obendrein den Instanzen zum Besten. Las und wartete. Weiter weiß ich nichts. Wo das Mädchen aufhört sich zu erinnern, setzt das Du, setzt die Instanz an, die keine Instanz sondern Martin geheißen werden will, der neben Wolfgang Held saß, der vielleicht gerne eine Instanz geheißen werden wollte, der wiederum Martin ins Ohr flüsterte: »Mach die Fenster zu, nich dass die Kleene sich noch rausstürzt.«
So oder so ähnlich, die Geschichte variiert, aber das Wesentliche ist wahr. Wie das Ich einem Du begegnen lernt. Aber der Weg ist lang und schlingert bisweilen, doch er steuert beharrlich auf ein Du zu, dass Martin Straub heißt. Auf den Nebenwegen verloren wir uns kurz, verlor ich Martin und traf ihn wieder unverhofft in der »Goethe-Allergie«, ich hatte mich gerade mit allem gebotenen Größenwahn für Germanistik (und Philosophie und Kunstgeschichte und Psychologie immatrikuliert) und er fragte mich, auf der Rolltreppe ins Nirgendwo, was ich denn nun mache. Ich wolle Germanistin werden, sagte ich stolz, ich wolle ein Martin werden, verschwieg ich. »Um Gottes Willen«, lautete die Antwort, »exmatrikulier Dich«. Das war ein Witz, den ich verstand, ich exmatrikulierte mich. Ich studierte mich um, sattelte von Heine-Exegese zu Installationen und scheiterte erneut, irgendwie diffus, brach sich Sprache frei, kramten sich die Staben hervor, undeutlich zwar und ich schickte den Klumpatsch, der einzigen Instanz die ich kannte, der ich vertraute, ich schickte es an ein Du: Der Rest ist bekannt.
Seit unserer ersten Begegnung sind 25 Jahre vergangen. Und ich sitze in meiner Schreibstube und darf meine kleinen Flausen urbar machen, um einem außergewöhnlichen Menschen zu danken. Nicht für die Verdienste, die sind sattsam bekannt, so viele Schriftsteller*innen können sich auf seine aufrichtige Freundschaft und Zuneigung berufen, so viele junge Talente, dürfen, nun angealtert, liebevoll auf diese Begegnung zurückblicken und die eigenen Werke bewundern, die ohne dieses glückliche Ereignis vielleicht niemals entstanden wären.
Glückliches Ereignis und schon sind wir angelangt, nicht bei der Instanz, der so viel und umfangreich zu danken wäre, sondern bei Martin, dem Schelm, der über Schillers Laura herzlich zu spötteln weiß und dem akadämelnden Ton zutiefst misstraut, dem ein misslungener Schüttelreim lieber, als eine gelehrte Abhandlung ist. Ein guter Pop-Song ist ebenso gut wie ein Gedicht. Schiller lässt sich hervorragend rappen und Bach kann man ohne Keith Jarrett kaum vertragen. Alles gehört zusammen. Das Schwere und das Leichte. Das Erhabene und das Profane. Hauptsache, dass es uns zu berühren weiß bzw. wichtiger ist, dass wir überhaupt berührungsfähig sind und es auch bleiben. Das ist, was Martin Straub erwartet, woran er uns und unsere Literaturen misst: Berührungen muss man nicht verstehen, nur fühlen. Vielleicht ist er doch eine Instanz, wenn auch wider Willen, der uns Dichter*innen streng – wenn auch liebevoll – in Augenschein nimmt, dass uns die Synapsen im Äther der Diskurse nicht verglühen, wir die Fühlung nicht an Rationalität, Logik oder schnöden Ästhetizismus verlieren. Einer der zumindest mich immer wieder in Bescheidenheit unterrichtet, dabei aber niemals Lehrer ist, sondern Freund.
Einer, der die Vergessenen oder die Verstorbenen in Erinnerung ruft, darauf achtet, dass wir nicht achtlos unter DDR subsumieren, was Literatur geheißen werden sollte, gesamtdeutsch, weil der Sprache mächtig. Der uns den Weg nach Oobliadooh weist und auch die Zeit in Rechnung stellt, damit wir in unseren Elfenbeintürmen friedlicher Unversehrtheit, nicht zu hart mit jenen ins Gericht gehen, die uns diese Existenz, ob willentlich oder nicht, mit erstritten. Auch dies. »Moralisch zu sein, in einer unmoralischen Welt, ist auch unmoralisch.« Schreibt Imre Kertész, hätte Martin schreiben können, zitiere ich. Oobliadooh. Einer also, der sein Verdienstkreuz als Tand verbucht, den man viel eher in der Raniser »Schmiede« beim Gastwirt Hubert oder im Jenaer »Café Central« mit seinen Freunden trifft: Ein anständiges Bier, das ist auch ein Gedicht, wenn der Abend aufgeladen, wenn man beieinander ist.
25 Jahre und ich habe dieses Du, in so vielen Kümmernissen, abgründelnd und wankend erlebt, zwischen den außersprachlichen, den furchtbarsten Katastrophen, was immer dem Menschen zumutbar, hat ihn ereilt, als hätte er eine Wette mit Gott zu Lebzeiten verloren. Das schreibt eine, die am 13. Februar geboren wurde, ein Tag der die Erinnerung an die Katastrophe immer wieder beschwört. Was die Zeit uns nicht alles in Rechnung stellt. Und doch kenne ich nur einen Martin, einen der immer weiter läuft, die Hausberge hoch und wieder hinab, Verse aufsagend, lachend, mehr Liebe und Freundschaft hinterm Ohrläppchen, als wir im ganzen Körper ansammeln können. Da ist also einer der sich verdient machte für und um die Literatur, dieses kleinen Bundeslandes, und die zu beherbergenden Schriftsteller*innen, für die jungen und alten, die vergessenen und verstorbenen; das Kreuz aber nicht tragen will, das dürfen sich andere ans Revers stecken oder aufbuckeln, s’ ist einem Wurscht, der weiß, dass Geburtstage kein Verdienst, aber wie Kreuze, machmal eine Bürde sind.
Alles wahr und dokumentiert. Den großen Rest, der das Eigentliche wäre, müssten andere erzählen. Uta Utzelmann zum Beispiel, Andreas Berner oder der Gastwirt Hubert, oi, die wüssten auch Geschichten: von Martin, Harry und der Pferdewurst zum Beispiel. Aber das darf gern Geheimnis bleiben. Da ist also einer, der Martin heißt und mit uns den Mantel teilt, der uns ein Freund geworden ist, mit dem wir unser Leben – so wir Glück haben – teilen dürfen. Ich hatte Glück, sagt das Mädchen. Ich habe Glück, sagt die Frau. Ich darf Du sagen.
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