Thema
David Gray
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum - literarisches Journal aus Thüringen. Heft 1/2024.
David Gray
Schneepfützentango
Der Inhalt, kurz: »Schriftsteller bekommt überraschend ein Stipendium und fliegt nach Tampere in Finnland, um es wahrzunehmen. Wobei er darüber reflektiert, wie er zum Schriftsteller wurde und sein Drei-Gänge-Romanmenü zusätzlich mit Anekdoten und Porträts aus dem Alltag in der Fremde garniert.« Freundlicher Applaus. Aber haben wir das nicht schon x‑mal ganz ähnlich gelesen? Das holt niemand mehr hinter der (veganen) Wursttheke ab. Oder eben doch.
Denn, wo andere den Literaturtrope der Kreativalltagsbeschau in der Fremde mit ein paar Touristeninfos und vorsorglich eingebackenem Künstlerwehleid aufhübschen, aber ihre Restpersönlichkeit ansonsten hinter schal gelutschter Ironie verbergen, hat M. Kruppe seinen Roman für eine schonungslose Lebensbestandsaufnahme genutzt. Die fällt deswegen so interessant aus, weil er aus einer stolzen Malocherdynastie stammt, in deren Geschichte er sowohl seine Werte wie seine Themen verankert. Mit Autorität, Sarkasmus und ehrlichem Zorn erzählt er davon, was diese Werte sind und wie frau/man es in der Berliner Republik zwischen Ämtergängelung, Dreifachjob, Depression, purem Klassentrotz, fahlen Urlaubsglanzpunkten und Künsterdaseinsstress eben doch hinkriegt, an schalen Bierpfützen vorbei ab und zu auch wundersam schillernde Sterne zu sehen.
Zwar strahlen die bei Kruppe oft immer noch eher dunkel als golden. Aber auch bei ihm ist keine Düsternis so umfassend, dass sie nicht stets jenen winzigen Riss enthielte, durch den ein wenig Licht fällt. Bei Kruppe leuchtet es entweder aus den Erinnerungen an seine ungewöhnliche Kleinstadtjugend als Punk in der ostdeutschen Provinz auf, oder strahlt in den unterhaltsamen Anekdoten über seine Bühnenerlebnisse, die er hin und wieder mit den Erzählungen über seine spröde Gastheimatstadt Tampere mischt. Zum Glück sind beide Stränge in Wendepunkte nicht nur stilistisch stärker und informativer als bereits tausend Mal zuvor gelesene Schriftstellerarbeitsberichte, sondern auch unterhaltsamer. Man kann Kruppe eine gewisse Naivität bei der Herangehensweise an seinen Roman vorwerfen oder sie auch als notwendiges Rüstzeug dafür verstehen, die Porträts, die er von den Menschen in Tampere zeichnet, so treffend zu halten, dass sie nicht zu Abziehbildern geraten.
Solche Literatur ist nur bedingt feuilletontauglich, aber will das auch gar nicht sein. Die umtriebigen Journalist:innen mit zu aufgeregten Tippfingern, publikationsgeilen Promis und zuweilen sogar talentierten Brancheninsider, die den Hauptteil der kritischen Masse des deutschen Literaturbetriebs ausmachen, halten sowieso schon länger keine passenden Kategorien mehr für Stimmen aus dem Malochermilieu vor. Womöglich riecht es auch dreißig Jahre nach der Wende für den bundesdeutschen Literaturbetrieb schlicht immer noch zu sehr nach »Bitterfelder Weg«.
Kruppe findet zwar seine Leserschaft auch ohne das Placet von Feuilleton und Branchentorwächtern, aber für den sich zunehmend nur auf akademische Mittelklassebefindlichkeiten beschränkenden kulturellen Diskurs im Lande ist es ein Verlust, dass Texte wie Wendepunkte nicht in die Literaturhäuser und Feuilletons kommen. Zumal er auf den Bühnen, die er regelmäßig bespielt, weit über Ostdeutschland hinaus als einer der besten Rezitationskünstler überhaupt gilt.
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