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Linn Penelope Rieger im Autorenlexikon des Thüringer Literaturrates
Marie Annett Moser
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Marie Annett Moser
Eine poetische Reise
In ihrem Band Abraum, schilfern geht die Autorin Linn Penelope Micklitz auf eine Reise durch die Bergbaulandschaft ihrer thüringischen Heimat. In kurzen thematisch verknüpften Prosastücken wird vor allem eines spürbar: das Verhältnis von Mensch und Natur, das zu einem wechselseitigen Spiel des Bezwingens wird. Ein zeitlicher Rückblick ins Jahr 1273 veranschaulicht lebendig, wie eine Waldrodung zur Ursache für eine Flut sorgte. Mit derartigen Passagen stellt Micklitz die Vergänglichkeit des Menschen der Absolutheit der Natur gegenüber: Die Natur bietet uns Schutz und bedroht uns zugleich.
Zwei Naturaspekte sind es, die sich präsent durch die Schilderungen ziehen – das Wasser und das Gestein. Die Erzählerin beschreibt am Beispiel der Ilm, wie Flüsse von Menschen zurückgedrängt werden, stellt aber auch fest, wie sie sich anpassen, ihre Richtung nicht verlieren und sich ihren Weg bahnen. Sie sieht im Wasser eine »gewaltige kraft, die nährt und vernichtet.« (S. 143) Dem gegenüber stellt sie die Erfahrungen ihres Großvaters, den Gesteine faszinierten und der sein Wissen mit ihr teilte. Er wird zum zentralen Charakter in Abraum, schilfern; das Buch ist ihm, Leo Micklitz, gewidmet. In einer Passage aus seiner Perspektive, erzählt er seine Geschichte. Wie er zum Bergbau kam, welchen Gefahren er dabei ausgesetzt war und wie schwer es für ihn war, sich von diesem Leben zu verabschieden, als mit der Wende seine Beschäftigung endete. Der Text zeichnet ein klar vorstellbares Bild seines Charakters und seiner Liebe zum Mineralienbergbau. Seine Perspektive intensiviert das für das Werk charakteristische Naturbild: »Der Berg ist eben schlauer als wir. Wer das nicht begreift, sollte nicht runter steigen.« (S. 131)
Stilistisch haben die kurzen Passagen einen fetzenartigen Charakter. Sie ähneln Gedanken, die auftauchen und dann wieder verschwinden – das teilweise unvollendet. Die Stimmung bleibt dabei schwermütig. Man wird auf Distanz gehalten, aber zugleich nah an die Schilderungen herangezogen. Auch die Kindheitserinnerungen fügen sich in diese Stimmung ein. Es wird nicht viel verraten, manches nur angedeutet. Thematisiert wird neben dem Großvater auch die Mutter der Erzählerin, die mit sehr schwierigen Erinnerungen verbunden zu sein scheint. So heißt es einmal: »Mutter hatte eine eigene Sprache erfinden müssen, um an der Hässlichkeit der Dinge nicht zu zerbrechen.« (S. 110) An wenigen Stellen klingt trotzdem ein kleiner Funken Kindheitsmagie durch, aus der Zeit, in der es noch Mysteriöses und Magisches gab.
Micklitz geht der Geschichte dieser Bergbaulandschaft auf den Grund und führt ihre Leser:innen in den Erzähletappen durch mehrere Jahrhunderte. Wie intensiv sie dafür recherchiert hat, wird immer wieder zwischen den Zeilen erkennbar. Neben dem Blick auf das 13. Jahrhundert findet sich ein Abschnitt, der im 17. Jahrhundert spielt, nach dem 30jährigen Krieg und zu einer Hochphase der Hexenverfolgung. Menschliche Grausamkeit verbindet Micklitz mit den Gewalten der Natur. So entsteht, ohne dass es bemüht wirkt, eine poetische Reise durch die Erinnerungen dieser Bergbaulandschaft.
In den literarischen Texten mit experimentellem Charakter gelingt es Linn Penelope Micklitz, selbst unbelebte Dinge wie Steine emotional greifbar zu machen. Ihren Großvater lässt sie die Narben der Kieselsteine erklären, die zeigen, wie alt diese eigentlich sind. So eröffnen sich immer wieder andere Blickwinkel auf die kleinen Details in der Natur. An anderer Stelle baut die Erzählerin literarisch eine emotionale Nähe zu einer alten Bergulme auf, die nach über 300 Lebensjahren fällt, wie eine offene Wunde im Wald klafft und in diesem eine Narbe hinterlässt. Die Natur, die Thüringer Bergbaulandschaft und die Menschen, die mit und von diesen Elementen leben, gestaltet die Autorin zu einem respekteinflößenden Faszinosum, das erzählerisch überzeugt.
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