Johann Wolfgang von Goethe – »Winter«

Person

Johann Wolfgang von Goethe

Thema

Jede Woche ein Gedicht

Autor

Johann Wolfgang von Goethe:

Berliner Ausgabe. Poetische Werke, Band 1, Berlin 1960 ff, S. 267-271.

Was­ser ist Kör­per und Boden der Fluß. Das neuste Theater
Tut in der Sonne Glanz zwi­schen den Ufern sich auf.

Wahr­lich, es scheint nur ein Traum! Bedeu­tende Bil­der des Lebens
Schwe­ben, lieb­lich und ernst, über die Flä­che dahin.

Ein­ge­fro­ren sahen wir so Jahr­hun­derte starren,
Men­schen­ge­fühl und Ver­nunft schlich nur ver­bor­gen am Grund.

Nur die Flä­che bestimmt die krei­sen­den Bah­nen des Lebens;
Ist sie glatt, so ver­gißt jeder die nahe Gefahr.

Alle stre­ben und eilen und suchen und flie­hen einander;
Aber alle beschränkt freund­lich die glät­tere Bahn.

Durch­ein­an­der glei­ten sie her, die Schü­ler und Meister,
Und das gewöhn­li­che Volk, das in der Mitte sich hält.

Jeder zeigt hier, was er ver­mag; nicht Lob und nicht Tadel
Hielte die­sen zurück, för­derte jenen zum Ziel.

Euch, Prä­ko­nen des Pfu­schers, des Meis­ters Ver­klei­ne­rer, wünscht ich
Mit ohn­mäch­ti­ger Wut stumm hier am Ufer zu sehn.

Lehr­ling, du schwan­kest und zau­derst und scheu­est die glät­tere Fläche.
Nur gelas­sen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.

Willst du schon zier­lich erschei­nen und bist nicht sicher? Vergebens!
Nur aus voll­ende­ter Kraft bli­cket die Anmut hervor.

Fal­len ist der Sterb­li­chen Los. So fällt hier der Schüler
Wie der Meis­ter; doch stürzt die­ser gefähr­li­cher hin.

Stürzt der rüs­tigste Läu­fer der Bahn, so lacht man am Ufer,
Wie man bei Bier und Tabak über Besiegte sich hebt.

Gleite fröh­lich dahin, gib Rat dem wer­den­den Schüler,
Freue des Meis­ters dich, und so genieße des Tags.

Siehe, schon nahet der Früh­ling; das strö­mende Was­ser verzehret
Unten, der sanf­tere Blick oben der Sonne das Eis.

Die­ses Geschlecht ist hin­weg, zer­streut die bunte Gesellschaft;
Schif­fern und Fischern gehört wie­der die wal­lende Flut.

Schwimme, du mäch­tige Scholle, nur hin! und kommst du als Scholle
Nicht hin­un­ter, du kommst doch wohl als Trop­fen ins Meer.

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