Jens-Fietje Dwars – »Erfolg ist ein Irrtum. Reden, Essays und andere Randbemerkungen«

Personen

Jens-Fietje Dwars

Hans-Dieter Schütt

Ort

Jena

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Hans-Dieter Schütt

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2025.

Hans-Die­ter Schütt

Anstöße und Kopfstöße

 

Dwars’ Aus­dau­er­werk über die Jahre hin: sorg­sam edierte Bücher und Rei­hen. Schöne Zwang­haf­tig­keit auch in eige­nen Tex­ten: Er möchte Anstoß sein, des­halb auch der fort­wäh­rende Vor­stoß mit Geist.

Was natur­ge­mäß vor Köpfe stößt. Im vor­lie­gen­den Band legt er herz- und kopf­hor­chende Auf­sätze vor: in über 30 Tex­ten der Roman eines phi­lo­so­phi­schen Den­kens wider die Plap­pe­rei der gelös­ten Zun­gen. Gibt es ein »Hal­te­seil der Ver­nunft durch die Laby­rin­the all­ge­gen­wär­ti­gen Wahns«? Das ist die Dwars-Frage, wach gehal­ten in Essays für Leute, die sich ange­spro­chen füh­len, wenn man ihnen, zum Bei­spiel, mit Nietz­sche käme. Der schrieb: »Übri­gens ist mir alles ver­haßt, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätig­keit … unmit­tel­bar zu beleben.«
Nietz­sche: Aus­dau­ernd, anre­gend wird er von Dwars bemüht, etwa die Geburt der moder­nen Künste aus dem Geist die­ses Phi­lo­so­phen. Und ande­rer. Wie gelangt man, ganz ohne Aus­flucht in höhere Mächte, zur Selbst-Schöp­fung? »Viel­leicht müs­sen wir doch noch ein­mal durch den Feu­er­bach hin­durch.« Und dann der Ort Jena – den erzählt Dwars über einen beson­de­ren »Staf­fel­stab des Den­kens«: die gro­ßen­teils unbe­kann­ten Kan­tia­ner Schütz und Schmid. Häup­ter in der »Alche­mis­ten­kü­che« Thü­rin­gens, wo einst die Anre­gends­ten ihrer Zeit nach Weis­heit gesucht hat­ten. Auch Schil­ler und Nova­lis tre­ten auf – Leh­rer in der »Grund­schule einer Frei­heit, die man spä­ter Revo­lu­tion nen­nen wird«. Die war – deut­sche Erfah­rung – kein Irr­tum, also auch kein Erfolg.

Betrach­tun­gen zu Chris­toph Hein, Stra­walde, Moritz Götze, und manch­mal nur das Kleinod eines Sat­zes: »Gibt es Gott, wenn die Ord­nung das Chaos schafft?« Du liest das wie unter einem Regen, der dich rein­wäscht vom fal­schen Wich­tig­keits­ge­fühl, vom Zei­tungs­geist, vom Kleb­stoff Tages-Ord­nung. Du ver­nimmst Töne eines Uto­pis­ten im rück­wär­ti­gen Dienst. Nicht restau­ra­tive geschicht­li­che Beschwö­rung ist das, son­dern Auf­ruf des­sen, was wir als for­dern­den, rei­chen Haus­halt der Gestimmt­heit und der Erin­ne­rungs­würde in uns tra­gen. Loh­nen­der Auf­trag: lie­ber behut­sam alt­gie­rig sein als nur immer forsch neugierig.
Der Autor arbei­tet gleich­sam, im unent­weg­ten Wech­sel, mit Fern­rohr und Mikro­skop. Hei­ßes­tes Bemühn mit kal­tem Blick, auch auf sich gerich­tet. Zu den auf­re­gends­ten Essays gehört Das Leben der ande­ren Ande­ren: ein Brief über Dwars‘ eige­nes Schick­sal zwi­schen DDR und Wes­ten; ein wahr­haf­tig nach­ge­zeich­ne­tes Laby­rinth aus Cou­rage und Vor­sicht, aus Träu­men und Tak­tik, aus wis­sen­schaft­li­cher Lei­den­schaft und poli­ti­schen Kon­se­quen­zen. Ein Text, gestrickt aus Über­zeu­gung und Ver­stri­ckung, das Fluch­wort heißt »Stasi«. Was bleibt, nach 1990? »Unsäg­li­che Trauer um die Ver­geb­lich­keit aller Mühen, sich ver­ständ­lich zu machen.«

Der Autor ist hell­sich­tig, ohne zu tri­um­phie­ren; er steht auf­recht in stör­ri­schem Eigen­sinn. Der Ton ist mit­un­ter gezielt scharf, schroff. Etwa gegen »Stot­te­rer der Geschichts­schrei­bung«, die in Jah­res­ta­gen den­ken, nicht in Pro­ble­men, also Wie­der- und Übergängen.
Was hilft einem, der im ver­hal­len­den Wort lebt? Das Geschrie­bene? Nein. Es hilft nur: schrei­ben. »Wer­den Bücher nicht gele­sen, möchte man ver­stum­men vor Schmerz und sollte den­noch wei­ter­re­den, immer genauer, kon­zen­trier­ter, bis an die Grenze zum Schweigen.«
Denn: Erfolg mag ein Irr­tum sein, das stre­bende Wei­ter­schrei­ben nicht.

 

  • Jens-Fietje Dwars: Erfolg ist ein Irr­tum. Reden, Essays und andere Rand­be­mer­kun­gen. Edi­tion Orna­ment im quar­tus-Ver­lag Bucha bei Jena, geb., 272 S., 22 Euro
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