Heidelore Kneffel – »Elke Erb in Limlingerode«

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Dichterstätte Sarah Kirsch

Limlingerode

Thema

Aktuelles

Autor

Heidelore Kneffel

Förderverein Dichterstätte Sarah Kirsch e.V. / Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin

Die Dich­te­rin Elke Erb schrieb am 27. Juni 2003 in das 1. Gäs­te­buch des För­der­ver­eins »Dich­ter­stätte Sarah Kirsch« in Lim­lin­ge­rode die Verse: »Wie ich Spie­geln ver­ei­teln kann // Ich halte am Hang die­ses Hügels stand / zur Betrach­tung sei­ner tro­cke­nen Welle / unter der Luft. Setze Flie­der an / den lot­rech­ten Eigen­sinn, ende in Duft.«

Mit Freude erfuh­ren die Mit­glie­der im Som­mer die­ses unge­wöhn­li­chen Jah­res, dass die Dich­te­rin Elke Erb am 31. Okto­ber 2020 von der Aka­de­mie für Spra­che und Dich­tung in Darm­stadt den Georg-Büch­ner-Preis erhal­ten wird. End­lich! den­ken, sagen und schrei­ben Lyrik­freunde. Für uns, die wir der Lei­den­schaft für Gedich­te­tes seit 1997 auf unter­schied­li­che Weise in Lim­lin­ge­rode, im Geburts­ort der Dich­te­rin Sarah Kirsch frö­nen, ist Elke Erb natür­lich keine Unbe­kannte. Sie und die Kirsch waren ins­be­son­dere in Ost­ber­lin meh­rere Jahre sehr mit­ein­an­der ver­bun­den, sie sind für die deutsch­spra­chige Lyrik zwei außer­ge­wöhn­li­che Größen.

1975 erscheint Elke Erbs Debüt »Gut­ach­ten, Lyrik und Prosa, mit einer Nach­be­mer­kung von Sarah Kirsch; 1977 bei Reclam in Leip­zig der Sarah-Kisch-Band »Musik auf dem Was­ser«, her­aus­ge­ge­ben von Elke Erb, die zur Aus­wahl ein kennt­nis­rei­ches Nach­wort über ihre Freun­din geschrie­ben hat. 1989 gibt Reclams Uni­ver­sal-Biblio­thek eine 2., berich­tigte und erwei­terte Auf­lage mit dem Erb-Text »Zwölf Jahre spä­ter« her­aus. Die­ser beginnt mit dem Nach­den­ken über Kirschs häu­fige Ver­wen­dung des Wor­tes »schön«, dem sie auch in den Bän­den, die in der Bun­des­re­pu­blik ent­stan­den, treu geblie­ben ist, was sich bei unse­ren per­sön­li­chen Begeg­nun­gen in Lim­lin­ge­rode und Tie­len­hemme immer aufs Neue bestä­tigte. Die Texte der Erb im Band zei­gen, wie genau sie das Leben und Dich­ten ihrer Freun­din dar­zu­stel­len ver­mag. Die Deut­sche Ver­lags-Anstalt in Stutt­gart ver­öf­fent­lichte 1982 den Erb-Band »Trost. Gedichte und Prosa« in der Aus­wahl der Kirsch, die sie mit weni­gen prä­gen­den Sät­zen ein­lei­tete. Beide Dich­te­rin­nen tra­fen sich auch in Tie­len­hemme. Von dort brach dann die Ver­bin­dung in den 1990 Jah­ren ab. Das ist ein Kapi­tel für sich.

Da wir in Lim­lin­ge­rode gern Autoren vor­stel­len, die Sarah Kirsch gut ken­nen, luden wir zu den 5. »Lim­lin­ge­röder Dis­kur­sen« im Juni 2002 Elke Erb aus Ber­lin und Wulf Kirs­ten aus Wei­mar ein. Von letz­te­rem kann­ten wir die Adresse der Erb aus der Haupt­stadt, auch die von Wuischke bei Baut­zen. Beide wür­den sich gegen­sei­tig vor­stel­len. Kurz vor den Dis­kur­s­e­ta­gen erreichte uns aus dem länd­li­chen Domi­zil die Nach­richt, dass vier Rip­pen gebro­chen wur­den. So trug ich den Text »Die Fähre« vor, den sie über den Kirs­ten-Text ver­fasst hatte und uns nun zuschickte, denn der gedruckte Text, den uns Wulf Kirs­ten ver­spro­chen hatte, kam dann erst 2003 beim Ver­lag Ulrich Kei­cher in blauem Gewand her­aus. Die­ses biblio­phile Bänd­chen steht in unse­rer Biblio­thek. Ent­stan­den war der Erb-Text 2001 für die Vor­trags­reihe »Dich­ter erklä­ren Dich­ter«, die die Badi­sche Zei­tung in Frei­burg ver­an­stal­tet hatte.

Wulf Kirs­tens Verse begin­nen: »unter­wegs über den fluß / … diri­giert von zwei sta­ken­den män­nern …« erfährt der Lesende kurz danach. Die Fähre ist dann im »eis­gang« mit den Pend­lern an Bord auf und davon. Die Erb nennt ihren Text nach der ers­ten Vers­zeile und beginnt: »Mit mei­nen Augen gele­sen ist unter­wegs, unter­wegs sein: nicht hier und nicht dort.« Die­sen Faden spinnt sie mit meh­re­ren Ver­flech­tun­gen span­nend wei­ter. Wir druck­ten mit ihrer Geneh­mi­gung einen Text­aus­zug in der »Lim­lin­ge­röder Reihe, Heft 5«.

Die Rip­pen waren längst gut ver­heilt, da kam die Erb am 25. Juni 2003 ins Dorf an der Sete zu den »6. Dis­kur­sen«. Sie war in Beglei­tung des Dich­ters Nor­bert Hum­melt, der Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin und Mode­ra­to­rin Cor­ne­lia Jent­zsch, die sie vor­stellte, des Lite­ra­tur­ex­per­ten Tho­mas Böhm, der sich kennt­nis­reich dem Autor Nor­bert Hum­melt wid­mete, und der Foto­gra­fin Helga Paris, der Freun­din der Dich­te­rin. Diese wollte erkun­den, ob sie im Geburts­haus der Ingrid, Hella, Irme­linde, Bern­stein, das am 29. Novem­ber 2002 rekon­stru­iert zum »Kul­tur­haus«, wie es Sarah Kirsch bei der Eröff­nung genannt hatte, ihre Schwarz-Weiß-Foto­gra­fien aus­stel­len könnte. Das geschah 2004 mit der berühm­ten Serie »Diva in Grau – Häu­ser und Gesich­ter in Halle« und mit den Foto­gra­fien von Christa Wolf, Sarah Kirsch und Elke Erb, die­sen gelun­ge­nen Porträts.

Zurück zum Juni 2003! In der »Lim­lin­ge­röder Reihe KALEIDOSKOP I« wer­den diese Juni­tage so vor­ge­stellt: »Der Him­mel konnte nicht blauer sei, die Sonne nicht ange­neh­mer schei­nen, die Luft nicht som­mer­li­cher schmei­cheln an die­sem grü­nen, grü­nen Wochen­ende. Im Haus am Hang, das im sanf­ten Gold­ton strahlte und mit der edlen Frei­treppe lockte …« kamen die drei genann­ten Frauen zu ihrer Freude in dem Geburts­zim­mer der Ingrid Bern­stein im erste Stock unter, dort wohnte noch kein Unter­mie­ter. Früh­mor­gens und abends wur­den der große höl­zerne Küchen­tisch und einige Sam­mel­stühle in den Hof mit der schö­nen Mauer gestellt. Die Her­ren, die im Dorf über­nach­te­ten, kamen hinzu, eine rede­freu­dige Runde.

Im »Salong Musen­bundt« mit den schim­mern­den Ster­nen auf dem lan­gen Bal­ken, wurde an den zwei Tagen gele­sen und vor­ge­tra­gen, Musik erklang. Elke Erbs rotes Kleid und die Kirsch­zweige in den Vasen brach­ten den Som­mer ins Haus.

Die Poe­tin wurde 1938 in Scher­bach (Eifel) gebo­ren, hatte zwei Schwes­tern. Man über­sie­delte 1949 nach Halle an der Saale, wo der Vater seit 1947 an der Uni­ver­si­tät als Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler lehrte. Elke Erb stu­dierte Ger­ma­nis­tik, Sla­wis­tik, Geschichte und Päd­ago­gik, war zwei Jahre Lek­to­rin, blieb bis 1965, zog nach Ost­ber­lin, war von 1969 bis 1978 mit dem groß­ar­ti­gen Lite­ra­ten Adolf End­ler ver­hei­ra­tet, 1971 wurde der Sohn Kon­rad gebo­ren. Sie macht sich als Lyri­ke­rin, Pro­sais­tin, Essay­is­tin und Nach­dich­te­rin einen Namen. Als Aus­zeich­nun­gen seien der Peter-Huchel-Preis, der Hein­rich-Mann-Preis, der Ros­wi­tha-Preis, der Georg-Trakl-Preis, die Ehren­gabe der Schil­ler­stif­tung genannt.

In Lim­lin­ge­rode las die Erb auch aus ihrem 1994 bei Steidl in Göt­tin­gen erschie­ne­nen Lyrik­band »Unschuld, das Licht mei­ner Augen«. Ein Rezen­sent schrieb dar­über: »Immer blei­ben Elke Erbs Gedichte an inter­es­sante Wort­fü­gun­gen gebun­den, an beson­dere Bil­der, die kon­kret anset­zen, in sur­reale über­ge­hen und wie­der zur Aus­gangs­ebene zurück­keh­ren. Die Lust der Autorin an der Spra­che fängt auch den Leser ein.«

Von Cor­ne­lia Jent­zsch, die nach der Lyrik­le­sung ihren Bei­trag »Ich höre nicht auf, mich zu wun­dern« vor­trug, erfuh­ren wir, das die Dich­te­rin auf die Unschuld anspiele, die jeder Dich­ter der Spra­che gegen­über besit­zen müsse, damit ihm die Worte auch in all ihrer Beweg­lich­keit, Frei­heit und Voll­kom­men­heit über­las­sen wür­den. Sie erzählte auch von einem 1978 statt­ge­fun­de­nen Gespräch Christa Wolfs mit der Erb: »Da ist vor Jah­ren die Ent­schei­dung gefal­len. Ich habe mir gesagt: Ich kann mich in den Beru­fen, die es gibt, nicht bewe­gen. So kann ich diese For­men, die die Mensch­heit hat, nicht rich­tig nach­voll­zie­hen. Ich bin außer­halb der Form. Und das ist eine Chance und ein Risiko. Die Mensch­heit geht mit mir ein Risiko ein, ich diene als Risiko. So unge­fähr. Und in die­ser Situa­tion ergibt sich das Äußerste, was man als krea­ti­ver Mensch machen kann.« Am Nach­mit­tag wan­der­ten die Gekom­me­nen auf dem Dich­ter­weg »Grü­ner Junipfad«. Das Schauen, Hören und Spre­chen fand seine Wege.

Am zwei­ten Tag stand nach einem abwechs­lungs­rei­chen Text- und Musik­pro­gramm über die rus­si­sche Dich­te­rin Marina Zweta­jewa von Ulrike Mül­ler, Pia­nis­tin und Kom­po­nis­ten, und Antje Fin­ken­wirth, Sopra­nis­tin, der Vor­trag über die Zweta­jewa im Mit­tel­punkt: »DUBIST DABEI NICHTS«. Und den hielt Elke Erb. Von ihr erfuh­ren wir, dass sie von dem hoch­ge­schätz­ten Sla­wis­ten Fritz Mierau, der 2018 ver­starb, die Inter­li­neare zu Zweta­jewa-Gedich­ten geschickt bekam. Die Nach­dich­tun­gen soll­ten 1974 im Poe­sie­al­bum Nr. 81 ver­öf­fent­licht wer­den. Die Inten­si­tät und Strenge in den Ver­sen die­ser Rus­sin führ­ten die Erb dazu, sich »… erst durch die Kno­chen­mühle der Revo­lu­tion« zu bege­ben. Das gelang und so »fand ich den Ton«: «Not, die einen das Leben auf tro­ckene Brot­rinde haut. / Wie­der einen Som­mer wie tro­ckene Rinde gekaut. / Unser Ozean ist – ein ver­eis­ter. / Unser Som­mer – ein von ande­ren ver­speis­ter.« Das Ver­hält­nis Elke Erbs zu der Zweta­jewa, die 1892 in Mos­kau gebo­ren wurde und ihr stür­mi­sches Leben 1941 in Jel­a­buga mit dem Frei­tod been­dete, ist ein sehr ver­trau­tes, was in ihrem Spre­chen für die Gäste sehr prä­gnant deut­lich wurde. Man lauschte gespannt. Fritz Mierau, der vier Mal mit sei­ner Frau in Lim­lin­ge­rode weilte, hat im Haus auf dem Hügel die rus­si­schen Poe­ten Anna Ach­ma­towa, Alex­an­der Blok, Ossip Man­del­s­tam und Ser­gei Jes­se­nin vor­ge­stellt. Er war es, der uns Elke Erb vor­schlug, als wir nach Marina Zweta­jewa frag­ten. Es gäbe keine bes­sere. So war es!

Liebe, ver­ehrte Elke Erb, Gra­tu­la­tion zum Georg-Büch­ner-Preis aus Lim­lin­ge­rode am Süd­harz in Thüringen.

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