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Anke Engelmann
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Anke Engelmann
Denn Spiel ist Leben
Keine Anekdoten, kein Glamour, keine Starallüren. In 127 Porträts feiert der Kritiker und Journalist Hans-Dieter Schütt seine Liebe zum Theater und macht sich, als passioniertem Theaternarren, damit selbst ein Geschenk zum 75. Geburtstag. Schauspieler in ihrer Arbeit und Wirkung, so könnte man den Inhalt des Bandes zusammenfassen, den Kay Voigtmann wunderbar illustriert hat. Jede Miniatur wirft ein Schlaglicht auf eine besondere Rolle in einer besonderen Inszenierung, skizziert beeindruckende Spielmomente, würdigt einen Künstler oder eine Künstlerin anlässlich von Todestagen oder runden Jubiläen.
Eine Seite – mehr braucht Schütt nicht. Wie ein Alchemist extrahiert er in jeder Miniatur eine Essenz. In deren Fülle und Zusammenspiel präsentiert sich – voíla! – ein Kosmos der darstellenden Künste. Theater, Kino, Fernsehfilm. Nick Cave und Erwin Geschonneck, Rolf Hoppe und Sigourney Weaver, Otto Sander und Luis de Funes, Laurel und Hardy und Bruno Ganz, Carmen-Maja Antoni und Jean-Paul Belmondo. Man blättert, liest sich fest und freut sich am verdichteten Wortwitz und an den genauen Beobachtungen des Autors. Da spinnen Augenbrauen Intrigen, da ist das Spiel »Fleischwerdung des Textes« und Otto Sander sieht aus wie sein eigener Schutzengel.
Die Skizzen lassen Erinnerungen aufleben: an legendäre Inszenierungen im Deutschen Theater, im Berliner Ensemble, in der Volksbühne, im Thalia-Theater Hamburg, im Burg-Theater Wien. In Szene gesetzt von Regisseuren wie Frank Castorf, Thomas Langhoff, Claus Peymann, Luc Bondy. Man entdeckt Charly Hübner als Tatort-Kommissar, Martin Wuttke als Richard III, Alain Delon als »Eiskalten Engel« und Charlie Chaplin als Charlie Chaplin.
Schau-Spiel beglückt, berauscht und reißt uns aus der Profanität, die wir Leben nennen, so Schütt. Das Schauspiel als Passion, das den ganzen Menschen fordert. Der Mime, Musiker und Instrument zugleich, steigt in ein Kostüm – und ist nackt. Nicht der Beifall macht den Künstler. Sondern dass er sich auf die komplizierte Wechselwirkung einlässt, die zwischen seiner Person entsteht und dem, was er ausdrückt, ohne Eitelkeit und mit großer Demut. Wenn er Glück hat, wird man ihm dafür Beifall spenden. Schütts Beobachtungen machen diesen Eigenanteil deutlich, der die Seele jeder Kunst ist.
So ist es nur konsequent, dass der Autor sich auch denen zuwendet, die nicht im Rampenlicht oder auf der ganz großen Bühne stehen. Den Darstellern im Gefängnis-Theater aufBruch zum Beispiel, wo der studierte Theaterwissenschaftler als Dramaturg tätig war. Harte Jungs, die sich nun nackt und verwundbar zeigen müssen, und die so vielleicht einen Zipfel Leben erhaschen. »Wenn ich schon nicht richtig lebe, so will ich wenigstens richtig spielen«, zitiert Schütt einen, der »ohne Aussicht auf Reintegration in die Gesellschaft« ist. In der Vorstellung (welch schöne Doppelbedeutung) findet er aus seinem tristen Knast-Alltag, ergreift ihn die Illusion, dass Spiel auch Leben ist. Und, möchte man hinzufügen, ein Raum, das Leben durchzuspielen.
Auch Kleindarsteller agieren meist ungesehen. Männer und Frauen, die vielleicht ebenso begabt sind wie ihre berühmten Kollegen, doch deren Auftritt sich nur auf einen einzigen Satz beschränkt. Die das ganze Stück hindurch auf den Augenblick fiebern, in dem sie aus dem Dunkel heraustreten. Was für eine Leistung – das begreift man beim Lesen des Essays, der den Band beschließt. Der Kleindarsteller habe die Pflicht zur Unauffälligkeit, und eine »Kraft zur urplötzlichen Präsenz«, so Schütt.
In seiner üppigen Oppulenz erinnert das Buch an eine Alchemistenküche, in der es zischt und brodelt, in der Geister an die Wände ihrer gläsernen Flaschen klopfen und die Erfüllung aller Träume versprechen. In der Stroh zu Gold wird und der Stein der Weisen, jeden Abend auf Hochglanz poliert, im Scheinwerferlicht schimmert. Ein Buch für Leute, die fürs Theater brennen. Die hintersinnigen Zeichnungen von Kay Voigtmann geben dem Band ein unverwechselbares Gesicht. Ein schönes Buch, das auch als Vorzugsausgabe mit Originalzeichnungen erhältlich ist.
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