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Matthias Biskupek
Erstdruck in Palmbaum 1/2017 / Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Gelesen von Matthias Biskupek
»Ich weiß gar nicht, was das ist: modern«
»Mit Salut und Flügelschlag« überschreibt der Herausgeber Jens-Fietje Dwars dieses erstaunliche Konvolut von Briefen, Zeichnungen, Manuskript-Faksimiles und Fotos, gedruckt in einer Zeit, da kaum noch Papierbriefe, von Hand geschrieben, zirkulieren. Vor weniger als einem halben Menschenalter waren Briefe übliches Verständigungsmittel, zumal unter Künstlern, obwohl doch das Telefon längst in fast jedes Leben schrillte. Fast – Gerhard Altenbourg, eigentlich Gerhard Ströch, hatte bis in die Achtziger in seinem Altenburger Haus zwischen Braugartenweg und Spinnbahn kein derartiges Gerät. Zum Telefonieren ging er zum Nachbarn. Horst Hussel, der Hauptstädter, war besser dran, »Brotarbeiten« in Verlagen ließen sich wohl nur per Telefon richtig koordinieren.
Freischaffende Künstler waren beide, den Tageslauf bestimmten sie selbst. Ihr Briefwechsel setzt 1960 ein, zwischen dem damals 26-jährigen, zum Kollegen »aufblickenden« Hussel und dem damals 34-jährigen Ströch, der im Jahr zuvor endgültig in sein Elternhaus zurückgekehrt war und begonnen hatte, daraus ein Kunstgehäuse zu schaffen. Im Verlauf des Briefwechsels bleibt man beim »Sie«, auch wenn man vertraut miteinander plaudert, in anspielungsreichem, humorvollem, sprachlich gelegentlich virtuosem Tonfall. Zwei Könner, der eine durch seine Bekannt- ja später Berühmtheit im Westen ausgezeichnet, der jüngere sich einen Ruf nach und nach erarbeitend: skurrile Solitäre beide.
Man besucht sich gegenseitig. Hussel fotografiert mit Leiden- und Könnerschaft Altenbourg, so wenn der sich grad am Kudamm einen Borsalino gekauft hatte und mit dem posiert. Pose ist Altenbourg vertraut, bei Hussel ist es eher der Schalk, der feine Humor, der wie die Spinnenstriche seiner Zeichnungen allgegenwärtig ist. Über Bücher und Autoren abseits der Hauptströme können sie seitenlang schreiben: Paul Scheerbart und Karl Gutzkow, Max Dauthendey, Jandl, Ludwig Hölty. Brockes, Meyrink. Gegrüßt werden auf Seiten Hussels wechselnde Lebensgefährtinnen: Renate Jessel, Anne Gabrisch und Mariancha Kuilman, bei Altenbourg ist‘s die Schwester Anneliese. »Ohne ihren Beistand, ihr Opfer, wäre Altenbourgs Werk nicht entstanden«, schreibt Hussel an den Herausgeber im Text »Eine schonende Freundschaft«. Das Adjektiv charakterisiert den Umgang: Meinungsverschiedenheiten wurden nicht »ausdiskutiert«, sondern schlicht fallengelassen.
Besonders Hussel, der mit Veröffentlichungen im Eulenspiegel Verlag, bei Reclam oder im legendären POESIEALBUM nach und nach im Lande bekannt wird, ohne sich für Geld und gute Worte zu verkaufen, nutzt Briefe, um der Sprach-Spiellust freien Lauf zu lassen. Ob »Wuth«, »complicirt«, »Kurtzweil« oder »Gränze«: Wort-Änderungen sind zugleich Kritik und Deutung, wie sollte sonst wohl ein »Milliteer« verstanden werden. Man macht sich auch gegenseitig auf Talente aufmerksam, ein Gedicht von Eveline Kuffel (1935–1978) wird vollständig zitiert. Diese Autorin wurde erst 1999 von Ines Geipel wiederentdeckt; zu Briefwechselzeiten war sie Serviererin.
Die beigegebenen Abbildungen machen den Beziehungs-Reichtum dieser erstaunlich vernetzten Künstler deutlich. Altenbourgs erste Reproduktion einer seiner Grafiken in der DDR als Titel des Johannes-Bobrowski-POESIEALBUM von 1972, lässt nachdenken: War die Zurückhaltung des Staates DDR in Sachen Altenbourg dessen internationalem Ruhm gar förderlich?
Was dieses Buch aber vor allem auszeichnet: die vielfältigen und genauen Anmerkungen des Herausgebers, bisweilen den Briefen im Umfang gleichkommend. Da scheint eine ganze Epoche, eine Welt-DDR und eine Welt ohne DDR-Insel auf. Das Leben um die Briefe und deren Verfasser herum wird deutlich: gemächlich und frustrierend, freizügig im Geiste und beschränkt in den Buch- und Kunst-Materialien. Wenn eine übers Wasser schallende Musik erwähnt wird, vermerkt der Herausgeber, das dies vom Altenburger »Cafe Teichterrassen« herrührte. Genau solche scheinbaren Kleinigkeiten sind es, die ein Epochenbild anschaulich machen. Eine Künstlerwelt, die Hussel nebenbei so zusammenfasst: »Ich weiß gar nicht, was das ist: modern.«
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