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Wulf Kirsten
Thüringer Literaturrat e.V. / Erstdruck: Palmbaum 2/2017.
Den Schauspieler und Dramatiker zu würdigen bin ich nicht der Kompetenteste. Wiewohl ich natürlich weiß, daß gerade dies an zentraler Stelle seines Lebens steht. Ich muß mich auf unsere etwa zwanzig Jahre währende Alters-Freundschaft bescheiden.
Hans Luckes Leben währte fast ein Jahrhundert, vollgepackt, überladen mit dramatischer deutscher Geschichte. Der Abstand zwischen uns von einigen wenigen Jahren muß sich, wie mir scheint, mit zunehmenden Jahresringen verringert haben. Dennoch bleibt eine gravierende Trennlinie: der zweite Weltkrieg, der mir glücklicherweise erspart blieb. Wenn auch bereits als Zehnjähriger wahnwitzigerweise vormilitärisch geschult, gedrillt. Aller Waffenfabrikate kundig. Hans Lucke, eben die Schule abgeschlossen und gerade mal begonnen, ein Schauspielstudium anzutreten, wurde als Siebzehnjähriger in Militärdienste gezwungen, als Luftwaffenhelfer und Soldat. Eingereiht in die zusammengestoppelte Endsiegarmee des Generals der Panzertruppen Walter Wenck (1900–1982), der im April 1945 Berlin befreien sollte. Zu denen, die von den übermächtigen Formationen nachrückender sowjetischer Einheiten über die Seelower Höhen östlich der Oder gejagt wurden, gehörte auch Hans Lucke. Während noch so viele seines Alters ums Leben kamen, geriet er in Gefangenschaft. Über dieses Jahr, wie und wo verbracht, erlitten, haben wir nie gesprochen.
Ende 1946 konnte er sein Schauspiel-Studium in Dresden fortsetzen. Bereits ab 1949 Engagement als Schauspieler in Görlitz, Zittau und Radebeul; seit 1954 am Dresdner Staatstheater. Die zehn Jahre am Deutschen Theater Berlin bildeten den Höhepunkt seiner Bühnenkarriere. Davon zehrte er. Dies bezeugten unsere Gespräche im kleinen Freundeskreis, seit er ab 1990 von Erfurt nach Weimar kam. Dabei erwies er sich als glänzender Anekdoten-Erzähler. Wie oft haben wir wir ihm dann zugerufen, schreib das auf. Ich bin sicher, mit diesem Buch hätte er sich freigeschrieben. Es hätte ganz entschieden zu seinem Nachruhm beigesteuert. Aber ein Gutteil müssen wir, seine Freunde, uns anlasten, daß wir nicht seine Zöllner geworden sind und es ihm abverlangt und aufgezeichnet haben. Mir haben sich ganz besonders die Begegnungen und Gespräche mit Adolf Dresen (1935- 2001) eingeprägt.
Eins dieser Gespräche habe ich in der Überlieferung von Hans Lucke in meine Lesefruchternte »Man muß im Ohr eine Waage für Wortgewicht haben« aufgenommen: »Eine Dame Westberliner Provenienz kritisierte den Theaterregisseur kurz vor dessen Tod mit der Bemerkung: Er möge doch endlich mal von seiner Differenzschiene runterkommen.« Die Anekdote will es knapp und zugespitzt.
Die kritischen Geister der DDR hatten die Fähigkeit entwickelt, zwischen den Zeilen zu lesen und zu differenzieren, um subtiler in einen Sachverhalt, in ein Thema einzudringen. So setzte der Dramatiker Hans Lucke auf ein Publikum, das imstande war, in historischen Stoffen die Gegenwart im Subtext als Kritik herauszulesen. Das Theater der DDR bot dafür ungeahnte Möglichkeiten, vernagelte Ideologen aufs Korn zu nehmen. Ja, das Publikum wartete geradezu darauf. In den Weimarer Lesarten von 2012 wartete Hans Lucke mit einem Beitrag unter dem Titel »Von Ponto bis Benno Besson« auf. Es war jedoch in unseren Gesprächen beileibe nicht so, als wäre es nur um Theater, Regisseure, Schauspieler gegangen. Auch wenn es jetzt naheliegt, dies in den Mittelpunkt zu stellen. Mit Hans Lucke, ausgestattet mit einer imponierenden Stentorstimme, ist nun der letzte oder einer der letzten großen Schauspieler, die Berliner Theater repräsentierten, aus dem Leben geschieden. Auch wenn ich nie in Berlin gelebt habe, bezog ich meine Maßstäbe für großes Theater aus den zahlreichen Aufführungen, die ich in Berlin erleben konnte.
Eine Zeitlang trafen wir uns zu dritt, zu viert in einem griechischen Restaurant in der Weimarer Bauhausstraße. Retrospektiv sehe ich den Konstantinos-Kavafis-Abend als den Höhepunkt. Wir baten den Inhaber des Restaurants mitzuwirken. Er sollte die neugriechischen Originale lesen, wir die deutschen Nachdichtungen. Er hatte als Thessalonier aus der Gegend von Saloniki seine Schwierigkeiten, denn Kavafis (1863 in Alexandria geboren und ebenda 1933 gestorben) schrieb ein schwieriges, wohl nicht mehr in Gebrauch befindliches Neugriechisch. Ich muß mich bei solchen Äußerungen zurückhalten aus mangelnder Kompetenz. Ich lese pars pro toto ein kurzes Gedicht, an dessen deutscher Version ich mitgewirkt habe neben Jannis Chadschikonstantis, der in Weimar an der Bauhaus-Hochschule studierte und heute als weltberühmter Architekt von sich reden macht. In dem von Adolf Endler vorgelegten Inselband zu Kavafis fehlt das Gedicht »Die Mauern« von 1896. Wen sollte es wundern, daß dieses Gedicht tabu bleiben mußte.
Ohne Behutsamkeit, ohne Trauer, schamlos
zog man um mich starke und hohe Mauern.
Jetzt sitz ich hier und verzweifle darin –
dieses Unglück zerfrißt mein Gehirn,
an anderes vermag ich nicht zu denken.
Draußen hätt ich noch viel zu erledigen.
Ach, warum hab ich nicht aufgepaßt,
als die Mauern errichtet wurden.
Weder hört ich den Lärm der Kellen
noch die Stimmen der Maurer.
Unmerklich mauerten sie mich aus der Welt heraus.
1896
Übersetzung: Jannis Chadschikonstantis,
Peter Kraft und Wulf Kirsten
Von 1953 an war der Schauspieler und Regisseur Hans Lucke zugleich auch Autor. Dies blieb er über ein halbes Jahrhundert. Neben Theaterstücken, Fernsehspielen, Hörspielen gibt es Roman, Erzählung, Reisebücher, biografische Darstellungen. Das Kriminalstück »Kaution« von 1955 soll es auf über tausend Aufführungen gebracht haben. Die Komödie über Goethes Kammerdiener Stadelmann, 1983 in Weimar uraufgeführt, hielt sich drei Jahre auf dem Spielplan. Auch eine Hörspielfassung stützte die Popularität des Stückes, das wohl doch dazu beitrug, 1987 seinen Alterssitz nach Thüringen zu verlegen. Während zu Beginn seines Schaffens die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus im Mittelpunkt stand, dominierten späterhin Arbeiten über den Alltag und kulturelles Erbe. Früh wurde ihm bewußt, daß seine Stärken im Komödiantischen lagen. Wie Frank Quilitzsch in seinem Nachruf herausstellte, sehe ich ebenso die Satire »Jud Goethe«(1997; 2. Auflage 2011) als das stärkste Beispiel für eben dieses Talent. Hier vermochte er in einer furiosen Schwejkiade alles auf den Punkt zu bringen, was er als versierter Theaterkenner und Praktiker erworben, probiert hatte und aus dem Effeff beherrschte. In diesem einen Fall war ich sein Lektor und Mentor. Nicht zuletzt auch sein Kritiker. Ich reihte ihn ein in den ersten Jahrgang der Thüringen-Bibliothek, die wegen Querelen mit dem Verleger bald unter dem Titel »Edition Muschelkalk« weitergeführt wurde. In einem halsbrecherischen Slalomlauf treibt Hans Lucke das Absurde auf die Spitze. Mit unbändiger Fabulierlust entfacht er Turbulenzen im Stil getreuen Erzählens. Auf chaplineske Weise treibt er mit dem Horror Scherz gegen den irrwitzigen Rassenwahnsinn und gegen die damit verbundene Doktrin, die zum Holocoust führte. Der Balanceakt dieser rabulistischen Scheinforschung baut auf die Abhängigkeit zwischen Spieler und Gegenspieler. Goethe und Buchenwald immer eng verklammert. Dieses Glanzstück verdiente es, von Zeit zu Zeit nachaufgelegt zu werden!
Herzlich aber viel zu wenig, was ich Dir nachrufe, lieber Hans. Lauter letzte Worte, auf die nun keine Antwort mehr kommt Die Reihe der Freunde, mit denen Austausch möglich, überlebenswichtig war, lichtet sich zusehends. Ich nach Dir, so kann ich immerhin nachrufen als einem Freund und Kollegen, der sich kenntlich gemacht hat. Eingereiht in die um dich Trauernden nehme ich Abschied.
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