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Martin Straub
Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mir freundlicher Genehmigung des Autors
Martin Straub
Zwischen Aufbruch und Heimkehr. Neue Gedichte von Daniela Danz
Der vierte Gedicht- Band »Wildniß« von Daniela Danz ist ein Ereignis. Zu Recht wurde er schon mehrfach ausgezeichnet, nicht zuletzt mit dem Deutschen Preis für Nature Writing. Schlägt man den Bogen von »Serimunt« (2004) zu »Pontus« (2009) und »V« (2014) hin zu »Wildniß« (2020), so trifft man immer wieder neu auf eine große Experimentierlust. Mit dem ihrer Lyrik eigenen Spannungsfeld zwischen Welt und Provinz stellt sie die Frage nach einem lebenswerten Leben in dieser globalisierten Welt mit ihrem brüchigen Boden. So kommt Daniela Danz auf Probleme, die uns heute unter den Nägeln brennen. Wie in keinem anderen Band zuvor spürt man, wie sehr ihr Hölderlin dabei zum Gewährsmann wird. In ihrem Essay »Das philosophische Licht um mein Fenster – über Friedrich Hölderlin« spricht sie davon, dass der Dichter sie schon »seit über zwanzig Jahren in den Bann schlägt, seit jener ersten Nacht, als aus dem Radio eine Sprache klang, die ich noch nie gehört hatte, die mich traf, wie mich bis dahin nur der Strom der Weidenzäune auf den Koppeln hinter dem Dorf getroffen hatte«. Sie lebe, meinte sie einmal, in einer Parallelzeit zu der Hölderlins an der Wende vom18. Zum 19. Jahrhundert. Und sie ist berührt von Hölderlins Zukunftshoffnungen und Enttäuschungen. Ihr Nachdenken konzentriert sich in dem Band auf den Hölderlinschen Begriff der »Wildniss«, der sich wie ein Leitmotiv durch den Band zieht. Die drei Langgedichte zu Beginn und die Verserzählung des letzten der vier Kapitel, überschrieben mit »Stadt der Avantgarde«, unterstreichen diese lyrischen Überlegungen. Da heißt es »Komm Wildnis in unsere Häuser / […] überwuchere unsere Wünsche / Mülltrennungssysteme Prothesen / und Zahlungsverpflichtungen / […] komm Wetter mit deinen Stürmen / […] komm Wüste mit deinem Sand / […] den Wachstumszwang riesele / in die Tastaturen die Raketen / und Raketenabwehrsysteme / in die Denkfabriken die Trollherzen / nur lass die Igel übrig mit ihrem / Schnaufen«. Wildnis mag hier stehen für eine »Befreiung von zivilisatorischer Entfremdung« (Th. Kirchhoff). Und sie bedenkt zugleich, wie eine erbarmungslose Ausbeutung der Natur neue Wildnisse und Verödungen schafft. Zwei Städtegedichte fallen ins Auge. Das eine widmet sie Prypjat, vier Kilometer vor Tschernobyl, 1970 gegründet und 1986 geräumt. »du stockst: willst nicht hinein in diese Landschaft […] damit ich sehe was du weißt mit dem Rücken an den / Rand dieser unsichtbar verstrahlten Wildnis«. Die Überschrift des Gedichts »Rückenfigur I: Pripjat« lässt an das Motiv von den sündigen Städten Sodom und Gomorra und ihre Geschichte um Lot und sein Weib denken. Und schließlich Beresniki, jene »Stadt der Avantgarde.. Sie wuchs, so merkt die Dichterin an, 1932 um ein Chemiewerk, von GULAG Häftlingen erbaut. Durch einen rücksichtslosen Kali-Abbau wurde ihr Territorium völlig unterhöhlt. Die Stadt droht mehr und mehr zu versinken. Erzählt wird die Geschichte der Erbauer über und unter Tage. »Die Landschaft tritt wieder in die Erzählung ein. / In der wir uns eine Stadt entwarfen, ein Leben über dem Kali. / Eine Landschaft, die wir geschaffen haben.« Und es wird ein Gleichnis erzählt vom Aufbau und Niedergang einer Stadt » Wir wünschen uns die Erzählung zurück, von der Zukunft, / vom Aufbau, der Arbeit, von den nützlichen Tieren, die wir waren / […] Wir gehören nicht mehr in unsere Erzählung«. Bei der Erörterung dieses Themas vergisst die Lyrikerin nicht den selbstkritischen Blick auf das eigene Tun und Lassen. Kurz vor der Drucklegung wurden in den Band noch vier Corona-Gedichte aufgenommen. »Corona«: Daniela Danz spielt mit dem Begriff, der ja früher für den Begriff der Fermate stand also einer musikalischen Pause, die man nach eigenen Gutdünken füllen kann. Im vierten Gedicht heißt es: »dass wir die Wildnis verzehren und die Welt uns / trotzdem aus den Händen frisst mit denen wir / unsere Gesichter berühren um zu verstehen dass / wir es sind die im Traum über wet markets streifen / wo in Käfigen gestapelt die Seuchen brüten«. Mit dem Blick auf die heutigen Zustände bekommt der Begriff Wildnis noch eine weitere Dimension, wenn sich die Dichterin etwa mit den kulturzerstörenden Fundamentalismen der Gegenwart auseinandersetzt: so mit dem des IS, etwa in dem Gedicht »Rückenfigur IV: Nimrud« oder in »Wildnis der Rede«, wo ein Wortschwall rechtspopulistischer Phrasen, etwa der AfD, einen Fließtext überflutet. »die Rede verirrt sich irrt umher / sie redet in Strömen geht über uns der Regen der Rede der mitreißt / Flüchtlingsströme die Dämme brechen hereinfluten verheerende / Überschwemmungen« […] abwehren den Todesstoß und das geohrfeigte Deutschland wieder / sicher machen«.
So besticht Daniela Danz‘ jüngster Band durch eine bemerkenswerte Vielschichtigkeit, mit der sie ihre Botschaften in immer neue Formen gießt. Besonders auffällig das Kapitel »Kaskaden«, dem ein Hölderlin-Zitat aus dem Entwurf »wenn aber die Himmlischen« mit dem Bild eines lebensbedrohenden Brandes voransteht. Es ist, als wolle Daniela Danz mit einer spielerischen aber zugleich strengen Strophenform und einem vielfältigen existenziellen Nachdenken ein Gegengewicht zu solchem gegenwärtigen bedrohlichen Zustand schaffen. Das äußere Bild dieser Gedichte, einen Kaskadenbrunnen assoziierend, mit den sich von Brunnenschale zu Brunnenschale ergießenden versetzten Verszeilen in ihren Zeilenbrüchen, die sich in der jeweiligen Schale sammeln und dann weiterfließen, geben dem nachdenkenden lyrischen Ich gleichsam durch die unterschiedliche Geschwindigkeit des Versflusses die Vitaltät eines Denkprozesses. Damit wird ein ganzer Kosmos von Themen aufgegriffen. In anderen Gedichten trifft man wieder auf den vertrauten Gestus eines ruhigen ausgewogenen Rhythmus, einer eindringlichen, in bestem Wortsinne schlichten Sprache mit ihren klaren, gefühlsstarken Bildern. So in Gedichten, die mehr als in früheren Bänden durchaus den Blick auf Intimes zwischen Garten und dem Inneren des Hauses öffnen. Man lese »Die Nacht kippt in das dämmrige Zimmer«. »wir tasten nach dem Morgen bis schließlich / ein erster Bus das Ende des Dunkels über Land fährt und ich eine Feder neben deinem / Mund erkenne und wie dein Atem sie bewegt: / die Sorgen von gestern haben uns vergessen«.
Zu loben ist die Gestaltung des Bandes. Was für ein Reichtum an Welt auf nur 86 Seiten.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020.
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