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Jens-F. Dwars
Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2019, S. 218 (2.550 Z.) Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Mehr als ein Jena-Roman
Gelesen von Jens‑F. Dwars
Sie hat in Jena, Oxford und Bologna Romanistik und Anglistik studiert und 2012 in der Edition Muschelkalk mit dem Erzählband Kämpfen wie Männer debütiert. Die Rede ist von Anne Richter, deren zweiter Roman soeben bei Osburg erschienen ist.
Unvollkommenheit setzt in Jena ein, jener Universitätsstadt, in der zwar viele Literaten von Quirinus Kuhlmann bis zu Ingo Schulze studiert haben, aber doch nicht allzu viele Romane angesiedelt sind. Der vorliegende beginnt in der Studentenszene der späten 80er Jahre. Marc Weber will Mathematik studieren, trifft am Westbahnhof ein und versucht, zwischen Lobeda und dem Saalepark „Paradies“ Fuß zu fassen. Will sagen: der Eingeweihte erkennt seine Stadt durchaus und mag sich dran erfreuen.
Marc bewundert die Intelligenz seines Professors, der mit den braven Studiosi mathematische Wettspiele betreibt, während er die unbraven exmatrikuliert, sich ergo als Karrierist entlarvt. Einer der Exmatrikulierten, Paul, ist dem Prof. geistig überlegen, spielt auf halb illegalen Konzerten seine rebellischen Lieder und zieht Marc in kirchennahe Oppositionskreise, wo man viel redet und Bier trinkt, aber im Grunde auch nicht weiter weiß. Zudem lernt Marc über Paul noch Hanka kennen und lieben, deren Mutter Rumänin und Vater ein Grieche ist, eine Südländerin mit Fernweh. So weit, so romantisch.
Zum Glück macht die Autorin Zeitsprünge: 1995 scheint Paul als Mathe-Genie in Hamburg Karriere zu machen. Marc und Hanka laden den Freund und seine Freundin zu einer Wanderung in die rumänischen Berge ein. Was schief geht und in einem Unfall mündet. 2007 ist Marc Financial Risk Manager, der mit mathematischen Formeln die Risiken von Bankgeschäften berechnet. Doch die Trader sind beratungsresistent und taumeln in die allseits bekannte Krise. Justament in diesem Augeblick meldet sich Paul bei ihm. Der ist mittellos, weil aus dem akademischen Betrieb ausgestiegen, und lässt sich von Marc aushalten, um ein finsteres Oratorium über die verzweifelte Menschheit zu komponieren, wozu er des Alkohols bedarf. Als sie gemeinsam Hanka besuchen, die in Genua lebt und gegen die Finanzhaie auf die Straße geht, bekommt Marc ein schlechtes Gewissen, obgleich doch das Genie Paul von seinem Hurendienst am Kapital lebt. – Ein bemerkenswerter Versuch, Widersprüche einzufangen, die auch 30 Jahre nach der Wende nicht gelöst sind, leider nicht frei von Klischees und Konstruktionen.
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