Anke Engelmann – »Heiße Säge, goldene Axt«

Person

Anke Engelmann

Orte

Weimar

Park an der Ilm

Thema

Wasser – Wald – Asphalt

Autor

Anke Engelmann

Thüringer Literaturrat e.V.

Wie geht es den Stadt­bäu­men in Wei­mar? Eine Bestandsaufnahme

 

»Warum foto­gra­fie­ren Sie denn die häss­li­chen, ver­krüp­pel­ten Bäume? Hier gibt es doch viel schö­nere Motive!« Die ältere Dame brei­tet ihre Arme in einem wei­ten Bogen aus, der links, von der Bel­ve­de­rer Allee, bis rechts, zur Schau­kel­brü­cke reicht und den gesam­ten Wei­ma­rer Park an der Ilm umfasst. »Ein Para­dies«, sagt sie. »So viele alte Bäume – das haben wir bei uns nicht.«

Wie in eine grüne Hand schmiegt sich die Klas­si­ker­stadt im Osten Rich­tung Tie­furt in das Webicht und im Süden in den Park an der Ilm. Bleibt man auf der Bel­ve­de­rer Allee, die den Park an sei­ner west­li­chen Seite begrenzt, gelangt man wei­ter bis in die Anla­gen von Schloss Bel­ve­dere. Ein grü­nes Erbe aus der Goe­the­zeit, von dem die Stadt bis heute zehrt und das über­wie­gend die Klas­sik-Stif­tung in ihrer Obhut hat. Die Wei­ma­rer und ihre Gäste lie­ben den Park, der Krieg und Not und alle Wet­ter und Ver­nach­läs­si­gun­gen über­stan­den hat.

Allein auf den knapp 50 Hektar Park­flä­che wach­sen 3.500 Bäume, dar­un­ter präch­tige Soli­täre, als Natur­erbe berühmt wie die Stiel­ei­che vor Goe­thes Gar­ten­haus, die mit ihren 300 Jah­ren der Dich­ter selbst noch gese­hen hat. Viele von ihnen sind 200 Jahre und älter, gewal­tige Eschen, Eichen, Lin­den, Buchen und Kas­ta­nien. Schwarz­erlen, Schwarz­nuss und Sil­ber­wei­den, exo­ti­sche Gewächse wie Ginkgo, Tul­pen­baum, Hem­lock­tanne, Krim­linde, Mis­pel und Sumpf­zy­presse. Im Jahr der Bun­des­gar­ten­schau sieht man auch viele frisch gepflanzte Bäume. Was­ser­sä­cke sor­gen dafür, dass sie gut anwach­sen können.

 

Kli­ma­wan­del und Trockenheit

Unüber­seh­bar ist, dass den alten Bäu­men der Kli­ma­wan­del und die Tro­cken­heit der letz­ten Jahre zu schaf­fen machen. Trotz des was­ser­rei­chen Wet­ters in die­sem Jahr ragen vie­ler­orts tro­ckene Äste aus den Kro­nen. Bei eini­gen alten Bäu­men wurde die Krone stark zurück­ge­schnit­ten, ver­mut­lich, um die Ver­kehrs­si­cher­heit zu erhal­ten. Beim Kro­nen­si­che­rungs­schnitt wird der Stamm gekürzt – manch­mal stär­ker, manch­mal behut­sam. Idea­ler­weise ent­steht eine Sekun­där­krone, die dem natür­li­chen Alters­zer­fall entspricht.

Eine sol­che Senio­ren­be­treu­ung ist bei der uralten Goe­the-Stiel­ei­che zu erken­nen. An den gekürz­ten Ästen blie­ben Ver­sor­gungs­äste ste­hen. Zudem sol­len Stahl­seile im Inne­ren der Krone die Stark-Äste ent­las­ten. Doch neben der Ent­las­tung bringt ein sol­cher Rück­schnitt auch Stress für den Baum. Die große Schnitt­wunde am Stamm bie­tet Feuch­tig­keit, Pil­zen und Insek­ten ein Ein­falls­tor. Gerade bei alten Bäu­men muss man genau abwä­gen, ihre Beur­tei­lung braucht viel Erfah­rung, sagt Peter Klug. Der Diplom-Forst­wirt lei­tet in Frei­berg ein Sach­ver­stän­di­gen­büro für Baum­pflege und begut­ach­tet bun­des­weit die Ver­kehrs­si­cher­heit von Bäumen.

Gekürz­ter Stamm und Stum­me­läste: Ein ande­rer Baum-Senior steht nur noch als Torso ein paar Meter wei­ter stadt­aus­wärts, dort, wo der Corona-Schrö­ter-Weg den Auf­stieg zur Straße am Horn kreuzt. Betreute Ster­be­hilfe. Um dem Baum noch ein paar Jahre zu schen­ken, bleibt sein Rumpf als Habi­tat, als Lebens­raum für Insek­ten, Vögel oder Eich­hörn­chen. Die letz­ten Jahre die­ser Esche aller­dings sind alles andere als geruh­sam. In ihr pulst noch viel Lebens­kraft, in ihrer Todes­not hat sie stark ausgetrieben.

Stark aus­ge­trie­ben haben auch die »häss­li­chen ver­krüp­pel­ten Bäume« an der Schau­kel­brü­cke. Den etwa 36 Ahorn‑, Eschen und Hasel­bäu­men, die einen Sicht­schutz zu einem Sport­platz bil­den, feh­len seit dem letz­ten Win­ter die Kro­nen. Triebe über­wu­chern die ver­stüm­mel­ten Äste. Mehl­tau färbt das Laub weiß. An den ver­zweig­ten Stäm­men sieht man, dass die Bäume vor län­ge­rer Zeit als Kopf­bäume zuge­schnit­ten wur­den. Kopf­bäume müs­sen regel­mä­ßig nach­ge­schnit­ten wer­den, »geschnei­telt«, wie es heißt.

Bei den Schnitt­wun­den die­ser Bäume, die so groß wie CDs sind, ist offen­sicht­lich, dass hier lange nicht »geschnei­telt« wurde. Zu lange. »Kap­pung«, heißt es, wenn der Stamm und Stark-Äste mit einem Stum­mel­schnitt so abge­sägt wer­den, dass Ast­wun­den von mehr als zehn Zen­ti­me­ter Größe entstehen.

Maß­nah­men, die die Bäume so stark beein­träch­ti­gen, müs­sen von der Unte­ren Natur­schutz­be­hörde geneh­migt wer­den – in Wei­mar das Umwelt­amt der Stadt­ver­wal­tung. Die Frage, wie der Antrags­pro­zess in die­sen Fäl­len gelau­fen ist, bleibt unbe­ant­wor­tet. Eine Mit­ar­bei­te­rin ver­weist an die Pres­se­stelle. Auf die Anfrage kommt keine Reaktion.

 

Baum­stress und erhöhte Kosten

Kap­pun­gen zer­stö­ren einen Baum. Nicht nur, dass er die Wun­den nur schwer über­wal­len kann und Feuch­tig­keit und Pilze ins Holz ein­drin­gen. Nicht nur, dass er wegen der feh­len­den Blät­ter keine Pho­to­syn­these betrei­ben kann und Wur­zel­teile nicht mehr ver­sorgt wer­den. Auch wenn schnell Äste mit neuem Blatt­grün in die Höhe schie­ßen: Die Triebe ent­sprin­gen am Rand und sind nicht so sta­bil im Holz ver­an­kert wie natür­lich gewach­sene Äste. »Kap­pun­gen ver­kür­zen das Leben von Bäu­men und ver­ur­sa­chen erhöhte Unter­halts­kos­ten«, so die ZTV Baum­pflege von 2001. Das Stan­dard-Regel­werk mit dem kom­pli­zier­ten Namen »Zusätz­lich Tech­ni­sche Ver­trags­be­din­gun­gen und Richt­li­nien für Baum­pflege« defi­niert die Leis­tun­gen und Anfor­de­run­gen der Baum­pflege für Baum­pfle­ger und poten­ti­elle Auftraggeber.

70 Pro­zent der Baum­pfle­ge­maß­nah­men in den Städ­ten wer­den »nicht wirk­lich abge­nom­men«, schätzt Peter Klug. »Und die Kap­pung an sich sollte über­haupt nicht gemacht wer­den.« Dass man trotz­dem viel zu oft Bäume sieht, die so ver­stüm­melt wur­den, liegt an zu wenig Geld und zu viel Igno­ranz. Sach­ge­mäße Baum­pflege ist nicht bil­lig und ren­tiert sich erst auf lange Sicht. In Zei­ten knap­per Kas­sen aber bekom­men oft die Fir­men den Zuschlag, die das nied­rigste Ange­bot ein­rei­chen. Nie­mand muss prü­fen, ob sie qua­li­fi­zierte Fach­kräfte beschäf­ti­gen. Für die Baum­pflege reicht theo­re­tisch ein Ket­ten­sä­gen­schein. »Ich würde mir mehr Abnah­men wün­schen«, sagt Klug.

Oft wird mit der Ver­kehrs­si­che­rung argu­men­tiert – ein Tot­schlag­ar­gu­ment, das man im Nach­hin­ein nur schwer über­prü­fen kann. Ande­rer­seits: Laien kön­nen nicht ein­schät­zen, ob und wie stark ein Baum geschä­digt ist. Man­che Bäume sehen schlimm aus, aber ihre Ver­let­zun­gen stel­len kein Pro­blem dar. Ande­ren machen Pilze zu schaf­fen, von außen erkenn­bar nur an einer »mini­klei­nen schwar­zen Kruste«, so Klug – »und innen kann alles kom­plett zer­setzt sein«.

 

Stra­ßen­bäume, Parkplatzbäume

Klug macht sich für die zer­zaus­ten Stief­kin­der an Stra­ßen­rän­dern und auf Park­plät­zen stark. Die ein­zeln in viel zu klei­nen Baum­schei­ben auf stark ver­dich­te­tem Erd­reich vege­tie­ren, gegen Tro­cken­heit und Hunde-Urin kämp­fen, gegen Hitze im Som­mer und Streu­salz im Win­ter, deren Wur­zeln man bei Bau­maß­nah­men kappt, und, wenn sie zu groß wer­den, ihre Kro­nen. Bis zu 70 Pro­zent der Bäume auf Groß­park­plät­zen seien ver­stüm­melt, so Klug. An den Bestim­mun­gen liegt es nicht, die seien her­vor­ra­gend. Nur: Wer prüft ihre Ein­hal­tung? Wer zieht die Ver­ur­sa­cher zur Rechen­schaft? Die Uhr tickt anders bei einem Baum, oft dau­ert es Jahre, bis sich die Fol­gen von Ver­let­zun­gen an Krone und Wur­zeln zeigen.

Da hel­fen auch keine Alibi-Aus­gleichs­pflan­zun­gen, keine Pro­dukte, bei denen damit gewor­ben wird, dass ein Euro des Prei­ses in Auf­fors­tun­gen fließt. Er kenne sehr viele Bei­spiele, bei denen ganze Bestände nicht wach­sen, sagt Klug. Hel­fen kann man den Bäu­men anders: ihren Wur­zeln mehr Raum geben. Stoffe in den Boden brin­gen, die ihn auf­lo­ckern. Nicht nur Exo­ten anpflan­zen und den Jung­bäu­men Anwachs­hil­fen geben. Kräf­tige, gesunde Bäume kom­men bes­ser mit dem Kli­ma­wan­del und ande­rem Stress zurecht. Stän­dige Kon­trol­len sind nötig, sodass bei Schä­den sofort reagiert und dem Baum gehol­fen wer­den kann. Und wenn gefällt wer­den soll: ein zwei­ter Gut­ach­ter, der prüft.

Auch in Wei­mar lei­den die Stra­ßen­bäume. Ihre Lebens­er­war­tung liegt heute bei 40 Jah­ren. »Frü­her waren es 60«, sagt Marc Fried­rich. Als Lei­ter des Wei­ma­rer Grün­flä­chen- und Fried­hofs­am­tes ist er für die bis zu 28.000 Stadt­bäume in Wei­mar zustän­dig, die nicht unter der Obhut der Klas­sik Stif­tung ste­hen: Stra­ßen- und Park­platz­bäume, Bäume an Kitas, an Spiel- und Sport­plät­zen, in der Stadt und am Orts­rand, Neu­pflan­zun­gen und Alt­be­stände, strup­pige Bir­ken in Vor­gär­ten oder mäch­tige alte Lin­den auf den Fried­hö­fen. »Wir pflan­zen heute andere Stra­ßen­bäume als vor 20 Jah­ren«, sagt er. Und dass mit Blick auf den Kli­ma­wan­del die Bau­leit­pla­nung völ­lig über­ar­bei­tet wurde. Jedes Stadt­ge­biet habe man sich ein­zeln vor­ge­nom­men und ein Leit­kon­zept ent­wi­ckelt, mit Bäu­men, die in die jewei­lige Struk­tur pas­sen. Man setzt auf die klas­si­schen robus­ten Bäume wie Feld­ahorn oder Stein­ei­che und auf Arten aus kon­ti­nen­tal gepräg­ten Klimazonen.

 

Gedul­dige Gefähr­ten des Menschen

Bäume, Lebens­raum und Augen­weide. Sie machen eine Stadt attrak­tiv, spen­den Schat­ten, küh­len die Atmo­sphäre und bin­den Schad­stoffe. Als gedul­dige Gefähr­ten beob­ach­ten sie, wie sich die Stadt ver­än­dert – wenn man sie lässt. Den Baum­schutz in Deutsch­land regelt das Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz. Wie viele andere Städte hat sich Wei­mar zusätz­lich eine Baum­schutz­sat­zung gege­ben. Bäume mit einem Stamm­um­fang von min­des­tens 50 Zen­ti­me­tern dür­fen nicht »besei­tigt, zer­stört, beschä­digt« oder »in ihrer typi­schen Erschei­nungs­form wesent­lich ver­än­dert« wer­den, heißt es darin. Die Ver­ord­nung ver­bie­tet Kap­pun­gen und erlaubt nur »fach­ge­rechte Schnitt­maß­nah­men« bis zu einem Ast­durch­mes­ser von fünf Zen­ti­me­tern. Im Wur­zel­raum unter­sagt sie Aus­schach­tun­gen, Ver­dich­tun­gen oder Ver­sie­ge­lun­gen. Wo Bäume ste­hen, darf der Boden nicht abge­senkt oder das Grund­was­ser nicht ange­staut wer­den. Wenn doch gefällt wer­den muss, dann nur mit Genehmigung.

Klingt gut, oder? Doch wenn gebaut wird, steht der Baum­schutz nicht mehr im Vor­der­grund. »Not­wen­dige Ein­griffe« seien zu »mini­mie­ren«, heißt es in der Sat­zung ledig­lich. Bis zu 500 Fäll­an­träge gehen jähr­lich ein, viele im Zusam­men­hang mit Bau­maß­nah­men, berich­tet Fried­rich. Auch manch Haus­ei­gen­tü­mer stört sich an sei­nen grü­nen Unter­mie­tern. »Bäume sind toll – aber nicht vor mei­ner Haus­tür«, hört Fried­rich oft. Für jeden geschütz­ten Baum, der fällt, muss ein neuer mit »art­ge­mäß ähn­li­chem Wuchs/Ausdehnung« gepflanzt wer­den. Erst wenn die jun­gen Bäume ange­wach­sen sind, gilt die Ersatz­pflan­zung als erfüllt.

Ersatz­pflan­zun­gen hel­fen, die Anzahl der Bäume kon­stant zu hal­ten. Doch kann ein jun­ger Baum einen alten wirk­lich »erset­zen«? Eine hun­dert­jäh­rige Buche fil­tert im Jahr eine Tonne Staub, ver­duns­tet im Som­mer täg­lich 500 Liter Was­ser, deckt den täg­li­chen Sauer­stoff­be­darf von 500 Men­schen und senkt, zusam­men mit ihren Gefähr­ten, im Hoch­som­mer die Tem­pe­ra­tur um bis zu 3,5 Grad.

 

Bio­top auf dem His­to­ri­schen Friedhof

Unter den Bäu­men auf dem his­to­ri­schen Fried­hof, einem wei­te­ren Gar­ten­denk­mal von Welt­rang, ist es immer kühl. Viele der groß­ge­wach­se­nen Eschen, Robi­nien und Eiben haben sich auf dem alten Grab­feld, das heute nur noch eine Wiese ist, selbst ange­sie­delt. Eine Allee aus alten Lin­den führt auf dem dazu­ge­hö­ren­den Wei­ma­rer Fried­hof vom Pos­eck­schen Gar­ten schnur­ge­rade berg­auf, die Stämme buck­lig und ver­narbt wie der Weg, den sie säu­men. Ein Bio­top. Unzäh­lige Vogel­ar­ten bil­den einen viel­stim­mi­gen Chor, dar­un­ter Erlen­zei­sige, Mönchs­gras­mü­cken, Wald­baum­läu­fer, Kern­bei­ßer und Hecken­brau­nel­len. Eich­hörn­chen tur­nen mun­ter, Insek­ten brum­men und hin und wie­der lässt sich ein Hase sehen.

Doch auch in die­ser Oase, die auf der UNESCO-Liste als Welt­kul­tur­erbe geführt wird, lei­den die Baum-Vete­ra­nen unter dem Kli­ma­wan­del. »Wir haben hier Bäume in Grö­ßen­ord­nun­gen ver­lo­ren«, sagt Fried­rich. Drei Baum­kon­trol­leure sind hier und im Stadt­ge­biet stän­dig unter­wegs. Man kennt die Pro­blem­bäume, pro­to­kol­liert Schä­den, prüft Stand- und Ver­kehrs­si­cher­heit, wägt ab. Wel­che Schnitt­maß­nah­men sind nötig: Kro­nen­ein­kür­zung? Kro­nen­si­che­rung? Kro­nen­vo­lu­men redu­zie­ren, Stark-Äste ent­las­ten? Fach­fir­men wer­den beauf­tragt, die Maß­nah­men durchzuführen.

Der Lyri­ker Wulf Kirs­ten kennt viele der ver­bor­ge­nen Baum­schätze in der Stadt: Amber­bäume im Gar­ten eines klei­nen Hotels. Zwei Exem­plare der Stein­weich­sel, ein Rosen­ge­wächs, des­sen duf­ten­des Holz frü­her für Pfei­fen und Geh­stö­cke ver­wen­det wurde. Eine über­schat­tet sei­nen täg­li­chen Weg in die Stadt. Die Rot­bu­che im Gar­ten der katho­li­schen Kir­che, groß, uralt, zeigt erste Dür­re­schä­den. Die Eibe in der Mozart­straße. Die Flat­te­rulme in der Gro­pi­us­straße. Gledit­schien mit ihren lan­gen, leder­nen Frucht­hül­sen. Schwarz­nüsse, einst aus den USA ein­ge­führt, ihr Holz eig­net sich beson­ders für Gewehr­schäfte. Krim­lin­den. Die Kor­nel­kir­schen im Park an der Ilm. Und natür­lich die Els­bee­ren, die der Dich­ter beson­ders verehrt.

Schon zu DDR-Zei­ten hatte der heute 87-Jäh­rige ein Auge auf die Bäume, hat sich ein­ge­mischt, sich beschwert, wenn unnö­tig gefällt oder zu stark beschnit­ten wurde. Viel­leicht hat er so man­chen Baum geret­tet – wie die Baum­ha­sel am Mar­ter­steig. Als dort, wo frü­her Gär­ten lagen, ein schi­ckes neues Wohn­quar­tier ent­ste­hen sollte, stand der alte Baum im Weg. Unbe­quem war er. Stör­risch. Wie Kirs­ten. Jeden Tag stellte sich der Dich­ter schüt­zend vor den Baum – und gewann. Die Baum­ha­sel durfte blei­ben. Doch inzwi­schen sieht der Baum krank aus, ein Teil sei­ner Äste ragt laub­los dürr in den begrün­ten Innen­hof. Viel­leicht wur­den die Wur­zeln beschä­digt, als unter ihm Kel­ler und Tief­ga­ra­gen beto­niert wurden.

 

His­to­ri­sie­rend-klas­si­zis­ti­scher Gestaltungswille

Auch im Park an der Ilm sind nach der Wende einige Sün­den pas­siert. Damals, als der Kli­ma­wan­del noch Wald­ster­ben hieß und man­cher Gärt­ner die Bäume nicht als leben­dige Wesen sah, die zu schüt­zen sind, son­dern als Mate­rial, das zu for­men sei. »lüm­meln seit alters zu viele gesunde bäume völ­lig unnütz mit ihren aus­ufern­den laub­kro­nen herum«, spot­tete Kirs­ten 1989 in sei­nem Gedicht »der mann mit der gol­de­nen axt«. Dem damals amtie­ren­den Park­di­rek­tor legte er in den Mund: »ich bin der ein­fa­che mann, der mit sei­ner gol­de­nen axt sicht­schnei­sen schlägt«.

Viel­leicht fällt auch die erste Kap­pung der Ahorn­bäume an der Schau­kel­brü­cke in diese Zeit. Viel wurde in dem damals ver­wahr­los­ten Park gesägt, gefällt und ange­legt. Manch­mal stan­den rein ästhe­ti­sche Aspekte im Vor­der­grund: die Absicht, den Park mög­lichst his­to­ri­sie­rend-klas­si­zis­tisch zu desi­gnen. Oder so, wie man sich die Klas­sik vor­stellte. Das hatte Fol­gen. Als das Gesträuch dem Ord­nungs- und Gestal­tungs­wil­len zum Opfer fiel, ver­schwan­den die Nach­ti­gal­len. »Es wurde viel weg­ge­hackt«, erin­nert sich Kirs­ten, »Am Pog­wisch­haus gab es eine Allee mit Weiß­bu­chen. Die wur­den hal­biert – alle sind ein­ge­gan­gen.« Und erst vor kur­zem, so Wulf, fiel direkt an der Natur­brü­cke eine kau­ka­si­sche Flü­gel­nuss. Aller­dings, das Gedicht, »das würde ich heute nicht mehr so schreiben«.

Eine gol­dene Axt, lacht Marc Fried­rich. Klar, wofür bei ihm das Sym­bol steht: Dass man nicht jeden Baum um jeden Preis drauf­los­wach­sen lässt, son­dern ihn sorg­sam pfle­gen muss – sorg­sam! Pfle­gen! Und bei den ers­ten Anzei­chen von Schä­den schnell reagiert, um den Baum­stress mög­lichst klein zu hal­ten. Mit einer gol­de­nen Axt eben. Nicht mit der hei­ßen Säge.

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