Ort
Thema
Henry-Martin Klemt
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 17.12.2016.
Kehren die Kraniche wieder
zu dir und suchen
an deinen Ufern Raum
und schließen
das Schweigen der Weiden
dir auf, am Rande die Wälder
reden stumm.
Spannt uns die Lust, in
ihren Schatten zu wohnen, wo
das Gras in den Wurzeln
singt, treibts uns doch hin
zu den großen Wassern, wo
die Stürme sich streiten
auf den Wellen.
Die Schatten der Wälder
säuseln zeitweis zu üppig
uns an, aber die Unruh
treibt noch immer
zum Strom von der Quelle an.
aus: Liebe muss der Wahrheit Schwester sein,
Henry-Martin Klemt, Norderstedt 2016.
Wir sind Natur. Wenn auch Natur, die sich ihrer bewusst wird. Wo wir es nicht mehr sind, verlieren wir uns selbst. Aus dieser früh gefundenen Perspektive erwuchs die poetische Haltung der in Kranichfeld geborenen Dichterin Eva Schönewerk (1946 – 2009). Natur liefert keine Allegorien. Sie ist selbst, wie wir selbst sind. Das andere Sein annehmen zu können, aber als ein Anderes, hat Eva Schönewerk sich selbst als menschliches Wesen tiefer begreifen lassen, bekannte sie in ihren Aufzeichnungen. „So wurde mir bewusst, dass ich auch andere Menschen nur durch mich, aber wiederum als ganz anders ansehen muss.“ Wenn sie sich geistig jemandem zuwandte, sagte sie nicht: „Ich denke an dich“, sondern: „Ich denke zu dir hin.“ Das war keine sprachliche Eigenart, sondern ihre Form des Begegnung Suchens. Nicht wartend, sondern sich nähernd.
Natur blieb das Thema auch in den Berliner Jahrzehnten der Dichterin. Sie warnt davor, sich mit einem Asphaltband abschneiden zu lassen davon. Sie beschreibt die Bäume vor dem Hochhaus, die Vögel auf dem Fensterbrett. Lebensboten. Immer wieder wendet sie sich ihrer thüringischen Heimat zu. Ihre Geburtsstadt Kranichfeld rückt ins Gedicht. Sie ist Ort des Ursprungs und der Rückkehr, um neu anzufangen in einem Kreislauf, an den die Kraniche erinnern. Schweigen, Reden, Lust als Dimensionen intensiver, gespannter Existenz. Gegenpol und Ausgangspunkt zugleich. Ein Kraft-Feld, das anzieht und abstößt: zwischen großen Wassern und Gras, das in den Wurzeln singt. In den Strom, zu den Stürmen – bei ihr ist es die Hauptstadt, wo sie als Lehrerin arbeitet und in einem Hochhaus am Ostbahnhof lebt – will sie, von Unruh getrieben, aber von der Quelle an. Die leise Skepsis gegenüber der Idylle, dem Säuseln, steht dem nicht im Weg.
Eva Schönewerk schreitet diesen Spannungsbogen in ihrem lyrischen Werk auf vielfältige Weise aus. In dieser thüringischen Landschaft ist sie aufgehoben, kann sie eins mit sich sein, vergewissert sie sich ihrer Wurzeln, die mehr als Herkunft sind.
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