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Ulf Annel
Alle Rechte liegen beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstabdruck in: Palmbaum I/2025
Ulf Annel
Erinnerungsliteratur
Der in der (ost)deutschen Kabarettszene gut vernetzte Rezensent bekam das neue Buch von Bernd-Lutz Lange (ehemals Kabarett „Academixer“, Leipzig) geschenkt, die leicht belletristisch getarnte Kaffeehaus-Biografie des Autors, meist humorvoll, gemischt mit leiser Traurigkeit über den Verlust dieser Traditionsorte. Im letzten Kapitel ein Plädoyer für den Erhalt der alten Cafés, u.a. des Erfurter „Café Rommel“ – Wiener Charme in Thüringen. Mitten in Langes Erinnerungen meldete sich das schlechte Gewissen des Rezensenten und nörgelte, dass er vor mehreren Monaten mit großem Interesse Ulrich Völkels „Der alte Zausel“ gelesen und nichts dazu geschrieben habe. Auch ein zweites Mal Lesen des Erinnerungsbuches, das in 2. Auflage vorliegt, lohnte sich.
Ulrich Völkel hat die Jahre seines Theaterlebens in einen Roman verwandelt. Ausdrücklich vermerkt auf dem Rücktitel ist, dass dies keine Biografie sei, sondern ein Roman, wenn auch viele Details direkt aus Völkels Leben stammen. Wie nah alles an der Realität entlang geschrieben ist, zeigen auch die historischen Sachtexte zwischen den Kapiteln und ein – für Romane sicher ungewöhnlich – umfangreiches Quellenverzeichnis. Völkels Alter Ego Ludwig Zaumseil, eben jener titelgebende alte Zausel, beginnt als frisch studierter Dramaturg, geht durch die DDR-Jahre und „endet“ in einer privaten Bücherscheune mit Lesebühne.
Langes Buch (wie alle anderen seiner biografischen Bücher) ist aus der Sicht eines ewigen Skeptikers geschrieben, eines Widerborstigen mit Hang zur Pointe. Völkel verschweigt nicht, dass er mit denen sympathisiert, die nach Hitler und Weltkrieg mit großen Hoffnungen und Idealen angetreten waren. Völkel/Zaumseil war voller Enthusiasmus, für den und in dem neuen antifaschistischen Staat Kunst zu machen, Theater für die, die Gemeinschaftsgeist, Friedfertigkeit und Fortschrittsglauben auf ihre (roten) Fahnen geschrieben hatten, volksnah und ehrlich. Und er beschreibt auch, wie diese Ideale immer mehr verraten wurden, wie das, was er im sozialistischen Alltag erleben und auch erleiden muss, Zaumseil Stück für Stück zum Zweifler macht. „Der alte Zausel“ ist kein Abrechnungsbuch, es stellt immer wieder die Frage (schon im Untertitel): Was ist Wahrheit? Völkels Buch geht über Wende und Grenzöffnung hinaus, denn auch danach gibt es Anlass zu Zweifel und gar Erschrecken (wenn zum Beispiel aus Büchern Müllberge werden).
Der Rezensent ist selbst einige Jahre Teil des DDR-Theaterbetriebs gewesen, es doppeln sich eigene Erfahrungen mit in Völkels Buch beschriebenen Situationen und Menschen. Und immer wieder stellt sich die Frage: Was ist Wahrheit? Das wiederholte hasserfüllte Dreschen auf die sogenannte „ehemalige“ DDR fordert ständig zu Widerspruch heraus. Notwendig sind Ehrlichkeit, Faktentreue und (ja, auch) Liebe zu den Menschen, die dieses Stück deutsche Geschichte miterlebten und mitgestalteten. Völkels Buch ist ein Beitrag dazu.
Ulrich Völkel: Der alte Zausel oder Was ist Wahrheit?; Ultraviolett Verlag Dresden 2022, 2024 (2. Auflage), 480 Seiten, geb., 24,80 EUR
Bernd-Lutz Lange: Café Continental; Aufbau Verlag Berlin 2024, 390 Seiten, geb., 22 EUR
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