Beate Hölscher – »Aus dem Zauberreich Neapel. Luise von Gönchhausen in Italien«

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Verena Paul-Zinserling

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 1/2024.

Verena Paul-Zins­er­ling

Neue Briefe

 

Im Zen­trum der vor­lie­gen­den Stu­die ste­hen bis­lang unver­öf­fent­lichte Briefe, die Luise von Göch­hau­sen, Hof­dame von Anna Ama­lia, wäh­rend der Ita­li­en­reise der Her­zo­gin geschrie­ben hat. Es ist ein uner­hör­tes For­scher­glück, auf solch unbe­kannte Quel­len zu sto­ßen, und es gehört auch Mut dazu, die 150jährige For­schung zur Wei­ma­rer Klas­sik mit neuen Erkennt­nis­sen berei­chern zu wol­len. Genau das gelingt der Ver­fas­se­rin: sie ergänzt und ver­än­dert die Sicht­weise auf die Hof­dame in ihrem Cha­rak­ter- und Lebens­bild, indem sie deren Stre­ben nach per­sön­li­cher Auto­no­mie auf span­nende Weise freilegt.

Die vier Briefe schrieb Luise von Göch­hau­sen 1789 an Char­lotte von Stein (13. Januar), Karl Lud­wig von Kne­bel (22. Sep­tem­ber), Caro­line Her­der (29. Sep­tem­ber) und an Johann Gott­fried Her­der (24. Novem­ber). Höl­scher wür­digt sie auch als lite­ra­ri­sche Texte. Um sie in einer Viel­falt von Inter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten zu erschlie­ßen, wid­men sich die Kapi­tel 1 bis 3 unter dem Gesichts­punkt »Gesel­lig­keit am Wei­ma­rer ›Musen­hof‹ Anna Ama­lias« prä­gen­den Aspek­ten wie Dilet­tan­tis­mus, Schreib­pra­xis und Lek­tü­ren, der Lebens- und Auf­ga­ben­welt Luise von Göch­hau­sens als orga­ni­sie­rende und teil­neh­mende Impuls­ge­be­rin. Kap. 2 ist der jah­re­lan­gen geis­ti­gen Ein­stim­mung auf die Ita­li­en­reise mit Anti­kere­zep­tion und Sprach­stu­dien gewid­met. Die Hof­dame bedau­ert, dass ihr kaum ein Brief gelinge. Doch die vor­ge­stell­ten Briefe bewei­sen das Gegenteil.

Char­lotte von Stein ist die erste Adres­sa­tin. Die Vf. ent­wirft ein umfas­sen­des Cha­rak­ter- und Lebens­bild der Goethe­freun­din. Kap. 5 wid­met sich Kne­bel, dem Ver­trau­ten seit gemein­sa­mem Hof­dienst in den sieb­zi­ger Jah­ren, den die Brief­schrei­be­rin mit der Schil­de­rung spek­ta­ku­lä­ren Natur­er­le­bens zu unter­hal­ten sucht. Im Kon­trast dazu liest man die Briefe von Steins, die aktiv auf die Lebens­krise Kne­bels ein­zu­wir­ken sucht. Kap. 6 ist mit dem »Zet­tel­chen« an Caro­line Her­der befasst, das Höl­scher in Kra­kau auf­spü­ren konnte. Das Brief-Bil­lett war einem Brief der Her­zo­gin an Caro­line Her­der bei­gelegt. Beide sind erfüllt von der Freude über die Ent­schei­dung Her­ders, dem ver­lo­cken­den Ruf nach Göt­tin­gen nicht zu fol­gen, son­dern im Ver­trauen auf bes­sere Kon­di­tio­nen im Dienst Carl Augusts zu blei­ben – eine Ent­schei­dung, die er wohl sein gan­zes Leben lang bereut hat. Wie alle Brief­ana­ly­sen wird auch diese durch Ein­be­zie­hung wei­te­rer Zeug­nisse in einen umfas­sen­de­ren Zusam­men­hang gestellt.

Kap. 7 gilt dem Brief an Johann Gott­fried Her­der, dem vor­zei­tig abge­sprun­ge­nen, schmerz­lich ver­miss­ten Rei­se­part­ner, dem Erin­ne­rungs­bil­der das Herz erhe­ben sol­len. Inter­es­sant für den in die Umstände der Apu­lien-Exkur­sion ein­ge­weih­ten Leser ist die Lob­prei­sung die­ser von der Schrei­be­rin doch erst miss­bil­lig­ten Reise, deren Gescheh­nisse wohl wesent­li­cher Anlass für die Ent­frem­dung der Her­zo­gin von ihrer Hof­dame waren. Den Brief kann man auch als Ver­such der Göch­hau­sen lesen, die­sen Gro­ßen, der das Per­so­nal­ta­bleau der Rei­se­teil­neh­mer in sei­nem intel­lek­tu­el­len Ver­mö­gen weit über­ragte, aufs Neue in die Wei­ma­rer Hof­ge­sell­schaft einzupassen.

Luise von Göch­hau­sen ist nur 55 Jahre alt gewor­den, lebte nur fünf Monate län­ger als ihre »unver­gess­li­che Her­zo­gin«, an deren Seite sie Per­sön­lich­keit, Schöp­fer­kraft und Selbst­be­wusst­sein ent­wi­ckeln konnte, unter der sie auch litt, ohne die sie aber das aus dem Bauer ent­las­sene Vögel­chen war, das »unge­wohnt Fut­ter und Nest selbst zu suchen, in der rau­hen Wit­te­rung ver­schmach­tet«, wie C.L. Fernow mit­füh­lend zu ihrem Tod an einen Freund schrieb. Wirk­lich geliebt hat sie wohl niemand.

 

  • Beate Höl­scher: Aus dem Zau­ber­reich Nea­pel. Luise von Gönch­hau­sen in Ita­lien – Briefe und Selbst­zeug­nisse des Jah­res 1789 im Kon­text der Freund­schafts- und Gesel­lig­keits­kul­tur, quar­tus-Ver­lag Bucha bei Jena 2023, 468 S., 24,90€
Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/beate-hoelscher-aus-dem-zauberreich-neapel-luise-von-goenchhausen-in-italien/]