Person
Ort
Thema
Katrin Lemke
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Katrin Lemke
Weitgespanntes Netz
Die Jenaer Kunsthistorikerin und Archäologin Verena Paul-Zinserling legt uns ein spannendes Buch zu einem uralten Thema in die Hände. Lesend steigen wir auf den Olymp und umgeben uns mit dem allseits bekannten göttlichen Personal: Zeus, Hera, Poseidon und Demeter und den wichtigsten Nachkommen des Göttervaters, von Apollon und Artemis über Athena, Hephaistos, Aphrodite, Ares und Dionysos bis hin zu Hermes. Zwölf Olympier also. Jedem ist ein Kapitel gewidmet, reich an sagenhaften Geschichten und Geschichte, an Abbildungen und literarischen Zitaten. Diesen Reichtum lesbar, überschaubar, erlebbar zu machen, ist das große Verdienst einer Autorin, die über ein beeindruckendes Reservoir an kulturhistorischem Wissen verfügt.
„Man kann den griechischen Mythos als ein weitgespanntes Netz ansehen, dessen unendliche Verknotungen eine riesige Zahl an mehr oder minder fest umrissenen Gestalten miteinander in Beziehung gesetzt haben.“ So heißt es am Ende des ersten Kapitels, das – natürlich – Zeus, dem „Vater der Götter und Menschen“ gewidmet ist. Was ich hier lese, überrascht mich. Es geht über die hinlänglich bekannten Zeus-Taten und ‑Untaten weit hinaus, indem die Autorin die geistige Welt der Antike ebenso einbezieht wie die geografisch-topografischen Aspekte des Landes und die realen Möglichkeiten der damals lebenden Menschen. Und so sehe ich Zeus auf dem Olymp inmitten des ihm geweihten Tempels – als (schon lange untergegangenes) Kunstwerk des Phidias – übergroß und leuchtend, aus „Gold, Elfenbein, Zedernholz, Edelsteinen und Glasfluss“ hergestellt, so als sei er noch heute „in Funktion“. Zugleich beschreibt die Autorin die Werkstatt des Künstlers zu Füßen des Zeus-Tempels „mit einer Vielzahl von Gewerken“, die ineinandergreifend in der Lage waren das riesige Kunstwerk von zwölf Metern Höhe herzustellen.
Hera gewinnt ihre Kontur als beinahe menschliche Gattin des Zeus „mit typisch weiblich besetzten Eigenschaften wie unermüdliche Eifersucht, Rachsucht und List …“, deren erstes Heiligtum in der Pforte der Burg von Mykene erkennbar wird: die mittlere Säule, an der sich seitlich die zwei bekannten Löwen emporrecken. Demeter sehen wir durch ein Kornfeld gehen, das sie mit scharfer Sichel zu schneiden beginnt. Aphrodite steigt am goldfarbenen Sandstrand Zyperns inmitten rosafarbener Kammmuscheln aus dem Meer. Lesend betrachten wir jede der Gottheiten in ihrer Landschaft, inmitten ihres Gefolges, in ihrer speziellen Zuständigkeit, in ihren Besonderheiten. Eine mythologische Reise in die Antike, die mich auch Land und Landschaft genießen lässt. Dem obengenannten Netz mit seinen zahlreichen Verknotungen entsprechen die genau und vielfältig beschriebenen Geschichten der Götter und ihrer Abkömmlinge, die einzeln ebenso interessant erscheinen wie in ihrer Verknüpfung und gegenseitigen Bedingtheit.
Das vorliegende Buch ist kein Nachschlagewerk, das sich auf das Wichtigste beschränkt. Die Autorin erzählt die mythischen Geschichten mit Genuss an ihrer Darstellung. Das überträgt sich auf Leserin und Leser. Und zur Freude am Erzählten (das ausführlich, aber doch auch maßvoll begrenzt ist) tritt das Erstaunen über die Fülle und Schönheit der bildlichen Darstellungen. Nehme ich noch dazu, dass das Buch mit seinem Cover in warmem Rot, der gut beweglichen Bindung und den leichten Glanzpapierseiten optisch wie haptisch ein Genuss ist, so kann ich seine Lektüre nur empfehlen. Und es tritt der im Vorwort beschriebenen Angst, die Mythen der Griechen könnten in Vergessenheit geraten, auf wirksame Weise entgegen. So lebendig wie in diesem Buch sind sie nur selten versammelt.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/verena-paul-zinserling-aphrodite-war-die-schoenste-goetter-auf-dem-olymp/]