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Gabriele Schubert
Erstdruck in: Palmbaum 2/2020. Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Gelesen von Gabriele Schubert
Friedenswaisen heißt der neue Gedichtband von Heike F.M. Neumann. Beim Hören könnte man meinen, es gehe um Friedensweisen, dahin plätschernd, lobend den Einklang von Mensch und Natur. Gefehlt, gemeint sind die Waisen im Frieden, ein Widerspruch, den es aufzuklären gilt.
Die Verfasserin spannt den Bogen von der Kindheit im Nachkriegsdeutschland bis zur verwaisten Natur durch Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit, menschliche Zerstörung mitten im tiefsten Frieden.
Es beginnt mit Erinnerungen an glückliche Kindheitstage. Man versammelte sich mit den Nachbarn vor dem einzigen Fernseher, aß und trank, auch wenn es nur Kleinigkeiten waren (nachbarn).
Während die Eltern zur Arbeit gingen, ließen die Kinder ihren Fantasien freien Lauf, glücklich in bescheidenen Verhältnissen (ich sehe was was du nicht siehst).
Man baute eine Schneehöhle, indem die Kinder gemeinschaftlich Schneeklumpen auf Schneeklumpen setzten. Die Kleineren bauten unten, die Größeren oben. Es war ein »Gemeinschaftsprojekt«, in dem man sich am Schluss aneinander kuschelte, sang und sich am Geschaffenen erfreute. Man brauchte keine Elektronik, keine Spielkonsole, kein Handy, kein Tablet um glücklich zu sein. (schneehaus).
Den »Rummelplatz«, die große Attraktion im Alltag der 50iger Jahre, kann der Leser hautnah mit erleben. (rummelplatz).
Die Gedichte thürengeti und sommer sind typische Beispiele für die Verwobenheit des Menschen mit der Natur. Insbesondere thürengeti lebt von hervorragenden Wortspielen zwischen Erdgeschichte-Landschaft-Tier und Mensch. Ihre enge Verbundenheit schließt ihre Gegensätzlichkeit nicht aus. Mensch und Wolf sind allgegenwärtig.
Worte sind Schall und Rauch, sagt der Volksmund. Sind sie das wirklich? Sie können Neuigkeiten verbreiten, erzählen, man kann zwischen ihnen lesen, sie können verletzen, aber auch aufrichten, Kraft spenden und inspirieren. Eine wun- derbare tiefsinnige Betrachtungs- weise der Lyrikerin in worte 2.
Ihre Reiseeindrücke von fernen Ländern (hinter dem nördlichen polarkreis, nordkap 71°10‘21, lofoten) sind naturlyrisch geprägt und trotzdem kommen Gedanken zur Rolle des Menschen im Naturidyll auf. Es ist feine Ironie, wenn sich die Wale gerade dann nicht zeigen, wenn die Menschen es möchten und dafür bezahlt haben oder sollte der Mensch besser sein unbändiges »haben wollen« der Natur zu Liebe zügeln? (arctic whale watching tour)
In einigen Gedichten klingt auch die Sorge über politische Ereignisse wie Rechtsextremismus, falsche Afrikapolitik, vordergründige, oberflächliche »Amerikanisierung« an, ohne zur Ideologie zu werden (jedermannsrecht, hutongs, moskau).
Die Schreibweise, ohne Interpunktion und Groß- und Kleinschreibung, erfordert vom Leser Konzentration und Mitdenken. Sie erinnert mich an die »zornigen jun- gen Männer«, den frühen Brecht und an H. M. Enzensberger. Die Gedichte sind keine »leichte Kost« und erfordern durchaus mehrmaliges Lesen. Das ist aber normal und gewollt bei anspruchsvollen und komprimierten Inhalten. Das Bändchen von Heike F. M. Neumann ist ein gelungener Beitrag zur modernen deutschsprachigen Lyrik und auch als Ergänzung des Schulstoffes im Unterricht, beginnend bei den Jüngeren mit justus malt bis zur Abiturvorbereitung z.B. mit der rabe wars zu empfehlen.
Die Bilder von Harald Reiner Gratz ergänzen den Gedichtband in unaufdringlicher Weise, sie lassen Raum für Fantasie und treffen damit ins Schwarze.
Heike F. M. Neumann Friedenswaisen. Gedichte mit Zeichnungen von Harald Reiner Gratz Dorise Verlag, Erfurt 2020, 104 S., 14,70 EUR.
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