Verena Zeltner – »ICEzeit. In den Klauen des weißen Drachen Crystal«

Personen

Verena Zeltner

Dietmar Ebert

Ort

Neunhofen

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Dietmar Ebert

Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Gele­sen von Diet­mar Ebert

Ein emp­feh­lens­wer­tes Buch von Verena Zelt­ner über Crys­tal Meth

 

Die Kin­der- und Jugend­buch­au­torin Verena Zelt­ner hat sich vor allem in ihren Jugend­bü­chern der ver­gan­ge­nen Jahre immer wie­der sehr bri­san­ten Pro­ble­men unse­res Zusam­men­le­bens gestellt. Das betrifft die Analpha­be­ti­sie­rung, die sie in ihrem 2012 erschie­ne­nem Buch Ein India­ner weint doch nicht lite­ra­risch anspruchs­voll gestal­tet hat. In ihrem 2015 erschie­nen Buch Korn­blu­men­kin­der hat sie die Aus­sied­lung gan­zer Fami­lien aus dem ehe­ma­li­gen Grenz­ge­biet der DDR inner­halb der »Kor­m­blume« genann­ten »Aktion« the­ma­ti­siert. Im Herbst die­ses Jah­res hat sie sich mit ICE­zeit. In den Klauen des wei­ßen Dra­chen Crys­tal einem beson­ders kom­pli­zier­ten Thema gestellt. Und um es gleich vor­weg zu neh­men. Sie hat ein groß­ar­ti­ges Jugend­buch geschrie­ben, das man – gleich, wel­cher Alters­stufe man ange­hört – nicht mehr aus der Hand legen kann. Das hat meh­rere Gründe. Immer, wenn Verena Zelt­ner ein »hei­ßes Eisen« anfasst, infor­miert sie sich gründ­lich. Lange recher­chiert sie, macht sich sach­kun­dig, fragt bei Betrof­fe­nen und Exper­ten nach. Hinzu kommt eine schrift­stel­le­ri­sche Tugend. Sie mag ihre Figu­ren und zeich­net sie genau und lie­be­voll, auch die­je­ni­gen, die durch ihr Ver­hal­ten andere in Not und Bedräng­nis brin­gen, wie die Mut­ter Ben­ja­mins, die immer stär­ker von der Droge Crys­tal abhän­gig wird. Die Geschichte von Ben­ja­min, sei­ner Mut­ter, sei­nem Vater, sei­ner klei­nen Schwes­ter Kessy und sei­nem Freund Tim, ist geschickt in eine  Rah­men­hand­lung ein­ge­wo­ben. Darin trifft Ben­ja­min auf das Mäd­chen Jette, das er heim­lich liebt und der er auch nicht gleich­gül­tig ist. Getrof­fen haben sie sich zum ers­ten Mal beim Tier­arzt, zu dem Ben und Kessy mit ihrem Kater Napo­leon muss­ten und den Jette mit ihrem Kater Mr. Miez-Men auf­ge­sucht hat. Nun tref­fen sich die bei­den in der Stra­ßen­bahn und Ben hofft auf ihr Ver­ständ­nis und erzählt Jette alles, was ihm Kopf und Herz in den letz­ten Wochen beschwert hat.

Bens Erzäh­lung ist es eigent­lich, die den Leser nicht mehr los lässt. Verena Zelt­ner hat in ihr sen­si­bel und mit gro­ßer Sicher­heit den Erzähl­ges­tus und die Spra­che eines Jugend­li­chen getrof­fen. Zunächst läuft alles ganz nor­mal in sei­ner Fami­lie: Schule, Fuß­ball­trai­ning, sich um die kleine Schwes­ter küm­mern und Kater Napo­leon füt­tern. Die Mut­ter arbei­tet bis spät abends, der Vater ist die Woche über in Mün­chen und ver­dient gutes Geld. Doch lang­sam keimt in dem Jun­gen der Gedanke auf, dass irgend­et­was mit sei­ner Mut­ter nicht stimmt. Zunächst kommt sie nur immer spä­ter nach Hause, irgend­wann taucht eine dubiose Freun­din auf, die bei­den machen Party, manch­mal bis zum frü­hen Mor­gen. Und nie­mals wird die Mut­ter müde, manch­mal putzt sie zu Hause bis zum Abwin­ken, dann wie­der ver­gisst sie Ter­mine, die vor allem für Ben und Kessy wich­tig sind. Ihre Firma hat ihr gekün­digt und weil sie meh­rere Ter­mine beim Arbeits­amt nicht wahr genom­men hat, wird ihr sogar das Arbeits­lo­sen­geld gestri­chen. Ben über­nimmt ihre Auf­ga­ben, vor allem küm­mert er sich um seine kleine Schwes­ter. Und immer öfter beginnt er, Lügen­ge­schich­ten zu erfin­den, damit seine Schwes­ter glaubt, es sei alles in Ord­nung. Bens Vater kennt bald die ganze Wahr­heit. Ein ers­ter Ent­zug bringt nichts, und nach ein paar Wochen ist Bens Mut­ter stär­ker auf »Crys­tal«, als sie es vor­her gewe­sen war. Sie ver­gisst sogar den Geburts­tag ihrer klei­nen Toch­ter und Ben muss impro­vi­sie­ren und ret­ten, was noch zu ret­ten ist. Das Leben in der Fami­lie eska­liert. Es ent­wi­ckelt sich bedroh­lich bis zu einem Ereig­nis, das hier nicht ver­ra­ten wer­den soll, und in dem die Hand­lung kul­mi­niert. Die­ses Ereig­nis löst einen heil­sa­men Schock bei Ben­ja­mins Mut­ter aus, die sich dann doch einem Dro­gen­ent­zug stellt und wie­der in die Nor­ma­li­tät ihres All­tags zurückfindet.

Das alles erzählt Ben­ja­min sei­ner Freun­din Jette. Das Beein­dru­ckende ist, wie genau Verena Zelt­ner den gro­ßen Mono­log des Jun­gen gestal­tet hat, wie sie seine äuße­ren und vor allem seine inne­ren Kon­flikte zur Spra­che bringt. Sie zeich­net ihn als einen, der plötz­lich Ver­ant­wor­tung für seine kleine Schwes­ter und die ganze Fami­lie über­neh­men muss, zeigt, wie er daran wächst und doch an seine Gren­zen gelangt.

Manch­mal meint man, die Autorin möchte ihn in den Arm neh­men. Doch das muss sie am Ende gar nicht. Das besorgt die cou­ra­gierte Jette, die das Herz auf dem rich­ti­gen Fleck hat. Und zwei, die inzwi­schen gute Freunde sind, freuen sich dar­über am aller­meis­ten: Napo­leon und Mr. Miez-Men.

Mit ICE­zeit hat Verena Zelt­ner ein sehr lesens­wer­tes Buch über die Gefah­ren und Gefähr­dun­gen unse­res Lebens und die Mög­lich­keit, ihnen zu begeg­nen, geschrie­ben. Es sei allen Freun­den span­nen­der Jugend­bü­cher empfohlen.

 

  • Verena Zelt­ner: ICE­zeit. In den Klauen des wei­ßen Dra­chen Crys­tal, Thami-Ver­lag, Neun­ho­fen 2017.

 

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