Ulf Annel – »Kleines Tucholsky-Buch«

Personen

Ulf Annel

Ulrich Kaufmann

Ort

Jena

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Ulrich Kaufmann

Erstdruck in Palmbaum 2/2019.

Ulrich Kauf­mann

Tuchol­sky für Eilige

 

Im Jahre 2012, hun­dert Jahre nach dem Erschei­nen des Bil­der­buchs für Ver­liebte“, beglei­tete ich eine mir unbe­kannte Gym­na­si­al­klasse nach Rheins­berg. Die Schü­ler, die vor allem in Ber­lin zu shop­pen gedach­ten, erklär­ten ein­hel­lig „Rheins­berg ist Scheiße“. Vom his­to­ri­schen Schloss wuss­ten sie nichts, von dem Mann mit den 5 PS ebenso wenig – aber sie hat­ten ein Urteil. Bei schöns­tem Wet­ter blie­ben die Schü­ler im Bus, wäh­rend meine Kol­le­gin und ich die Jubi­lä­ums­au­stel­lung zu Rheins­berg ansahen.

Reden wir von einem „Auf­trags­werk“: Ulf Annel, Kaba­ret­tist der Erfur­ter „Arche“, hatte einen Tuchol­sky-Abend erar­bei­tet, den sich der Thü­rin­ger Rhino-Ver­lag als Büch­lein vor­stel­len konnte. Ent­stan­den ist das kleinste Bänd­chen, das der Rezen­sent je bespro­chen hat: 12 x 8 cm.

Der Ges­tus des Kaba­retts bleibt durch die Zwi­schen­texte, Bil­der, Kom­men­tare und Aktua­li­sie­run­gen weit­ge­hend erhal­ten. Auf den 93 Sei­ten des Klei­nen Tuchol­sky-Buches wird der Autor als Apho­ris­ti­ker in der Tra­di­tion eines Lich­ten­berg, als Sati­ri­ker, poli­ti­scher Kopf, Lyri­ker, Melan­cho­li­ker und Pri­vat­mensch vor­ge­stellt. Einige der Tuchol­sky-Klas­si­ker fin­det der Leser wie­der Was darf Satire?, Ein Ehe­paar erzählt einen Witz, Augen in der Groß­stadt, Wenn die Igel in der Abend­stundeMut­terns Hände ließ man weg und bot dafür die unter­halt­same, gar bebil­derte Mer­kel-Par­odie Mut­tis Hände (Wedel/Annel). Namen wie Olaf Scholz, Wulff, Rött­gen, Lin­den­berg, Helene Fischer oder „Bernd“ Höcke wer­den genannt und sogar in Tuchol­skys Texte implan­tiert. Annel über­treibt es hier und da mit sei­nen Aktua­li­sie­run­gen, die gewiss auf dem Brettl funk­tio­nie­ren. Ein Autor wie Tuchol­sky braucht sol­che Zuta­ten aber nicht.

Ein gestal­te­ri­sches Pro­blem hat gra­vie­rende Fol­gen: Natür­lich ver­trägt ein Minia­tur­buch keine große Schrift. Die unter­ge­ord­ne­ten Kom­men­tare und Über­lei­tun­gen – mit schwar­zen Let­tern auf wei­ßem Grund – sind noch les­bar. Doch aus­ge­rech­net die Tuchol­sky-Texte, kur­siv gesetzt, in Rot auf rosa Papier, sind in ihrer Dar­bie­tung kein Augen­schmaus, son­dern ein Augen­graus. Und ein Lesen mit Lupe ist auf Dauer kein Ver­gnü­gen. Junge Augen, wie die der ein­gangs erwähn­ten Gym­na­si­as­ten, hät­ten mit der Kleinst­schrift kaum Pro­bleme. Viel­leicht hilft das Büch­lein ihnen, Kurt Tuchol­sky mit Ver­gnü­gen zu entdecken.

Das kleine Buch wurde berei­chert durch Fotos und Doku­mente aus allen Lebens- und Schaf­fens­pha­sen des Star­au­tors der Welt­bühne. Diese hatte zwar 40 Jahre DDR, nicht aber die „Wende“ überlebt.

Kurzum: Trotz der teils schwie­ri­gen Les­bar­keit ein dan­kens­wer­ter Ver­such, einen streit­ba­ren Publi­zis­ten wie­der zu Gehör zu brin­gen. Mehr davon!

 

  • Ulf Annel: Klei­nes Tuchol­sky-Buch, Rhino Wes­ten­ta­schen Biblio­thek Band 67, Rhi­no­Ver­lag Ilmenau 2019, 93 S., 5,95 EU.
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