Porträts
13 : Nancy Hünger – »Auf dem Weg zu einem Du – Über Martin Straub«

Personen

Martin Straub

Nancy Hünger

Orte

Jena

Ranis

Thema

Porträts und Podcasts

Autor

Nancy Hünger

Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte liegen bei der Autorin. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

 

Wer ein Du anruft, sollte nie­mals mit ich begin­nen. Aber was bleibt denn dem ich, als genau dies: Drei Buch­sta­ben die sich auf einen Weg machen, Dir zu. Ich also, ich erin­nere mich an einen Puber­tier­ling, eine Fünfzehnjährige im Staub­man­tel, eine die ver­le­gen durch den Wei­ma­r­hal­len­park schlich, zum Liter­taurcafé (von Mut­tern abge­stellt). Die Treppe hoch, schlich ich, weni­ger ver­le­gen, denn ängstlich, in ein win­zi­ges Man­sar­den-Zim­mer, da Männer, rich­tige Kerle über Lite­ra­tur brüteten, sich strit­ten, rauch­ten und mich ansa­hen, anstarr­ten viel­leicht: das Mädchen.

Erin­nere ich mich rich­tig. Erin­nert sich das Mädchen noch an zwei, die ein­an­der zuge­wandt, in Ses­seln saßen. Es musste sich um Instan­zen han­deln. So wurde das von Mut­tern abge­stellte Mädchen auf­ge­for­dert, auch etwas zu lesen. Und die Angst dünstete durch den Staub­man­tel. Aber ich, aber das Mädchen, las, was die Pubertät ihr offen­her­zig dik­tierte: Lie­bes­kum­mer, Tod und Men­schen­han­del. Las es den Männern, den gan­zen und den hal­ben Ker­len und oben­drein den Instan­zen zum Bes­ten. Las und war­tete. Wei­ter weiß ich nichts. Wo das Mädchen aufhört sich zu erin­nern, setzt das Du, setzt die Instanz an, die keine Instanz son­dern Mar­tin gehei­ßen wer­den will, der neben Wolf­gang Held saß, der viel­leicht gerne eine Instanz gehei­ßen wer­den wollte, der wie­derum Mar­tin ins Ohr flüsterte: »Mach die Fens­ter zu, nich dass die Kleene sich noch rausstürzt.«

So oder so ähnlich, die Geschichte vari­iert, aber das Wesent­li­che ist wahr. Wie das Ich einem Du begeg­nen lernt. Aber der Weg ist lang und schlin­gert bis­wei­len, doch er steu­ert beharr­lich auf ein Du zu, dass Mar­tin Straub heißt. Auf den Neben­we­gen ver­lo­ren wir uns kurz, ver­lor ich Mar­tin und traf ihn wie­der unver­hofft in der »Goe­the-All­er­gie«, ich hatte mich gerade mit allem gebo­te­nen Größenwahn für Ger­ma­nis­tik (und Phi­lo­so­phie und Kunst­ge­schichte und Psy­cho­lo­gie imma­tri­ku­liert) und er fragte mich, auf der Roll­treppe ins Nir­gendwo, was ich denn nun mache. Ich wolle Ger­ma­nis­tin wer­den, sagte ich stolz, ich wolle ein Mar­tin wer­den, ver­schwieg ich. »Um Got­tes Wil­len«, lau­tete die Ant­wort, »exma­tri­ku­lier Dich«. Das war ein Witz, den ich ver­stand, ich exma­tri­ku­lierte mich. Ich stu­dierte mich um, sat­telte von Heine-Exegese zu Instal­la­tio­nen und schei­terte erneut, irgend­wie dif­fus, brach sich Spra­che frei, kram­ten sich die Sta­ben her­vor, undeut­lich zwar und ich schickte den Klum­patsch, der ein­zi­gen Instanz die ich kannte, der ich ver­traute, ich schickte es an ein Du: Der Rest ist bekannt.

Seit unse­rer ers­ten Begeg­nung sind 25 Jahre ver­gan­gen. Und ich sitze in mei­ner Schreib­stube und darf meine klei­nen Flau­sen urbar machen, um einem außergewöhnlichen Men­schen zu dan­ken. Nicht für die Ver­dienste, die sind satt­sam bekannt, so viele Schriftsteller*innen können sich auf seine auf­rich­tige Freund­schaft und Zunei­gung beru­fen, so viele junge Talente, dürfen, nun ange­al­tert, lie­be­voll auf diese Begeg­nung zurückblicken und die eige­nen Werke bewun­dern, die ohne die­ses glückliche Ereig­nis viel­leicht nie­mals ent­stan­den wären.

Glück­li­ches Ereig­nis und schon sind wir ange­langt, nicht bei der Instanz, der so viel und umfang­reich zu dan­ken wäre, son­dern bei Mar­tin, dem Schelm, der über Schil­lers Laura herz­lich zu spötteln weiß und dem akadämelnden Ton zutiefst miss­traut, dem ein miss­lun­ge­ner Schüttelreim lie­ber, als eine gelehrte Abhand­lung ist. Ein guter Pop-Song ist ebenso gut wie ein Gedicht. Schil­ler lässt sich her­vor­ra­gend rap­pen und Bach kann man ohne Keith Jar­rett kaum ver­tra­gen. Alles gehört zusam­men. Das Schwere und das Leichte. Das Erha­bene und das Pro­fane. Haupt­sa­che, dass es uns zu berühren weiß bzw. wich­ti­ger ist, dass wir überhaupt berührungsfähig sind und es auch blei­ben. Das ist, was Mar­tin Straub erwar­tet, woran er uns und unsere Lite­ra­tu­ren misst: Berüh­run­gen muss man nicht ver­ste­hen, nur fühlen. Viel­leicht ist er doch eine Instanz, wenn auch wider Wil­len, der uns Dichter*innen streng – wenn auch lie­be­voll – in Augen­schein nimmt, dass uns die Syn­ap­sen im Äther der Dis­kurse nicht verglühen, wir die Fühlung nicht an Rationalität, Logik oder schnöden Ästhe­ti­zis­mus ver­lie­ren. Einer der zumin­dest mich immer wie­der in Beschei­den­heit unter­rich­tet, dabei aber nie­mals Leh­rer ist, son­dern Freund.

Einer, der die Ver­ges­se­nen oder die Ver­stor­be­nen in Erin­ne­rung ruft, dar­auf ach­tet, dass wir nicht acht­los unter DDR sub­su­mie­ren, was Lite­ra­tur gehei­ßen wer­den sollte, gesamt­deutsch, weil der Spra­che mächtig. Der uns den Weg nach Oob­lia­dooh weist und auch die Zeit in Rech­nung stellt, damit wir in unse­ren Elfenbeintürmen fried­li­cher Unver­sehrt­heit, nicht zu hart mit jenen ins Gericht gehen, die uns diese Exis­tenz, ob wil­lent­lich oder nicht, mit erstrit­ten. Auch dies. »Mora­lisch zu sein, in einer unmo­ra­li­schen Welt, ist auch unmo­ra­lisch.« Schreibt Imre Ker­tész, hätte Mar­tin schrei­ben können, zitiere ich. Oob­lia­dooh. Einer also, der sein Ver­dienst­kreuz als Tand ver­bucht, den man viel eher in der Rani­ser »Schmiede« beim Gast­wirt Hubert oder im Jenaer »Café Cen­tral« mit sei­nen Freun­den trifft: Ein anständiges Bier, das ist auch ein Gedicht, wenn der Abend auf­ge­la­den, wenn man bei­ein­an­der ist.

25 Jahre und ich habe die­ses Du, in so vie­len Kümmernissen, abgründelnd und wan­kend erlebt, zwi­schen den außer­sprach­li­chen, den furcht­bars­ten Kata­stro­phen, was immer dem Men­schen zumut­bar, hat ihn ereilt, als hätte er eine Wette mit Gott zu Leb­zei­ten ver­lo­ren. Das schreibt eine, die am 13. Februar gebo­ren wurde, ein Tag der die Erin­ne­rung an die Kata­stro­phe immer wie­der beschwört. Was die Zeit uns nicht alles in Rech­nung stellt. Und doch kenne ich nur einen Mar­tin, einen der immer wei­ter läuft, die Haus­berge hoch und wie­der hinab, Verse auf­sa­gend, lachend, mehr Liebe und Freund­schaft hin­term Ohrläppchen, als wir im gan­zen Körper ansam­meln können. Da ist also einer der sich ver­dient machte für und um die Lite­ra­tur, die­ses klei­nen Bun­des­lan­des, und die zu beher­ber­gen­den Schriftsteller*innen, für die jun­gen und alten, die ver­ges­se­nen und ver­stor­be­nen; das Kreuz aber nicht tra­gen will, das dürfen sich andere ans Revers ste­cken oder auf­bu­ckeln, s’ ist einem Wurscht, der weiß, dass Geburts­tage kein Ver­dienst, aber wie Kreuze, mach­mal eine Bürde sind.

Alles wahr und doku­men­tiert. Den gro­ßen Rest, der das Eigent­li­che wäre, müssten andere erzählen. Uta Utzel­mann zum Bei­spiel, Andreas Ber­ner oder der Gast­wirt Hubert, oi, die wüssten auch Geschich­ten: von Mar­tin, Harry und der Pfer­de­wurst zum Bei­spiel. Aber das darf gern Geheim­nis blei­ben. Da ist also einer, der Mar­tin heißt und mit uns den Man­tel teilt, der uns ein Freund gewor­den ist, mit dem wir unser Leben – so wir Glück haben – tei­len dürfen. Ich hatte Glück, sagt das Mädchen. Ich habe Glück, sagt die Frau. Ich darf Du sagen.

 Porträts:

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