Daniela Danz – »Kranichfeld«

Person

Daniela Danz

Ort

Kranichfeld

Thema

Dichters Wort an Dichters Ort

Autor

Daniela Danz

»Wiedergelesen« / Thüringer Literaturrat e.V.

Topos

Der Ahorn steht am Rand einer Wiese und unter­halb eines Kie­fern­wal­des, dort, wo man auf Sted­ten hin­ab­blickt. Das ist eine Beschrei­bung für Fremde. Die ihn gese­hen haben, sagen nur: der Ahorn. Wir waren neu hier, wir kamen zu ihm und sag­ten: der Ahorn. Die Kin­der ver­brach­ten die lan­gen Feri­en­tage und, bis weit in den Herbst hin­ein, die Wochen­en­den dort. Er gehörte den Kin­dern, aber er war so ein­la­dend und geräu­mig, daß auch wir ihn ein­fach den Ahorn nen­nen durf­ten ohne noch eine Geschichte mit ihm zu haben.

Als wir an einem Spät­som­mer­abend vor die Hof­ein­fahrt tra­ten, um unser gro­ßes Tor zu betrach­ten, tra­fen wir die Frau des Nach­barn. Man stand und redete, weil der Abend so schön war und man noch nicht ins Haus gehen wollte, es däm­merte. Nur die Kin­der blie­ben aus. Die Frau des Nach­barn fragte, wo die Kin­der seien. Wir ant­wor­te­ten, daß sie gewiß noch beim Ahorn wären. Als wir es sag­ten, fiel uns ein, daß sie ja nicht wis­sen könne, unter all den Bäu­men der Gegend, wel­cher der Ahorn sei – er war schließ­lich eine halbe Stunde von unse­rem Hof ent­fernt. Sie wußte es aber. Er war also deut­lich für alle Men­schen. Wer ihn kannte, hatte etwas ver­stan­den. Die Frau des Nach­barn sagte, daß ihr Mann spä­ter dort begra­ben wer­den wolle. Sie sagte das in unse­rem ers­ten Kra­nich­fel­der Herbst zu uns und wir haben seit­her nicht mehr über diese Dinge gere­det. Die Deut­lich­keit des Ahorns ließ uns selbst deut­lich sein. Ich denke oft an das Grab mei­nes Nach­barn, wenn ich unter dem Ahorn sitze und an ein Gedicht von Gar­cia Lorca: „Kleine Nach­barn … wo ist mein Grab/ In mei­nem Schwanz, sagte die Sonne. / In mei­ner Kehle, sagte der Mond.“ Der Nach­bar hat schon immer hier gelebt. Seine Frau aber nennt er Stadt­kind, weil sie unten in der Nähe des Rat­hau­ses die­ses 3000-See­len-Städt­chens auf­ge­wach­sen ist. Ob sie bei ihrem Mann unter dem Ahorn wird begra­ben sein wollen?

 

Mythos

Es waren Mau­er­as­seln im Feu­er­holz. Es lag übers Jahr auf der Erde. Ich hatte im Ofen ein Feuer gemacht und die Ofen­tür geschlos­sen. Durchs Ofen­glas behielt ich es im Auge. Ich sah erst eine, dann eine zweite. Dann auch klei­nere, immer mehr. Sie kamen auf die Ober­seite des Schei­tes, lie­fen an die Rän­der die­ser klei­nen Flä­che, kehr­ten um, wur­den schnel­ler. Ein schlim­mes Bild, denn ich wusste, das Holz war tro­cken und halb mul­mig. Und das Feuer hatte bereits das eine Ende des Schei­tes erfasst, als ich sie sah. Ich öff­nete die Ofen­tür und hielt mei­nen Fin­ger an eine Assel, damit sie dar­auf krab­beln könne, aber sie machte einen Bogen darum, alle mach­ten sie das, die klei­nen zumal. Schließ­lich ging eine dar­auf, ich zog den Fin­ger schnell raus und schüt­telte sie auf den Boden. Noch­mals hielt ich ihn hin­ein, aber wie­der ohne Erfolg. Es waren so viele und es wurde immer hei­ßer im Brenn­raum. Es half nichts, ich konnte sie nicht ret­ten und große Hitze würde sie am wenigs­ten qual­voll töten: ich schloss die Ofen­tür und sah zu, wie die Asseln jetzt panisch schnell über das Scheit lie­fen, an den Rän­dern hin­un­ter auf den Rost fie­len. Eine lag auf dem Rücken, zap­pelte noch mit den Bei­nen, dann rollte sie sich zusam­men – oder tat das schon der Tod? – und lag reg­los. Ein Kre­ma­to­rium, eine Ver­bren­nung bei leben­di­gem Leibe und ich war es, die das tat oder es zumin­dest gesche­hen ließ. Dann sah ich mit einem Mal keine Assel mehr. Die Hitze musste sie alle getö­tet haben, auch wenn ich nicht mal mehr ihre toten Kör­per sehen konnte. Es war vor­bei. Ich war erleich­tert, es nicht mehr anse­hen zu müs­sen. Ich hörte jetzt, was ich die ganze Zeit hätte hören kön­nen: ein Cello vom Flur her. Das Feuer pras­selte, es würde warm wer­den im Raum. Mir war kalt gewe­sen, den gan­zen Tag über, dabei war es erst Sep­tem­ber. Nein, die gro­ßen Asseln haben nicht zu den klei­nen gesagt: „Es ist erst Sep­tem­ber, habt keine Furcht, sie wer­den so früh nicht hei­zen.“ Es waren nur Asseln ins mor­sche Holz gekro­chen, Asseln wie tau­sende. Asseln, so viel älter als der Mensch. Was nun mit die­sem Abend?

 

Logos

Die Kin­der klag­ten über die Mücken im Zim­mer, derent­we­gen sie nicht schla­fen konn­ten. Es war ein war­mer Som­mer­abend und ich hatte auf der Bank vorm Haus geses­sen. Ich ging mit ihnen nach oben unters Dach. Es waren unzäh­lige Mücken und ich hörte sie sum­men, aber konnte sie im Stroh der unver­putz­ten Wände nicht erken­nen. So hängte ich eine Taschen­lampe an einem Nagel im Dach­pfos­ten auf, so dass ihr Licht­ke­gel nach unten fiel. Ich setzte mich dar­un­ter ins Licht. Als Köder und um mich anzu­leh­nen, denn eigent­lich saß ich hier nur, um die Kin­der zu beru­hi­gen bis sie ein­schlie­fen, vor den Mücken würde ich sie nicht ret­ten kön­nen. Drau­ßen auf der Bank war es späte Däm­me­rung gewe­sen, hier drin­nen schon ganz dun­kel. Der Mond schien durchs Fens­ter, das ich wegen der Mücken geschlos­sen hatte. Da war es mir schon auf­ge­fal­len: das große, sta­bile Netz unter der Mit­tel­sprosse, die fette Spinne darin und der zap­pelnde Käfer. Da hatte ich mit den Kin­dern in mei­nem Rücken gere­det und sie hat­ten, weil ich still wurde, gefragt, was sei. „Nichts“, ich hatte mich umge­dreht und das dünne Tuch noch ein­mal über sie gebrei­tet. Jetzt war es still bis auf das viel­stim­mige Sum­men der Mücken, die Kin­der schlie­fen noch nicht. Ich konnte das Netz gut sehen von mei­nem Platz am Pfos­ten, der Käfer zap­pelte noch immer, die Spinne umrun­dete ihn und spann ihn ein. Dass eine Spinne so lange einen Käfer ein­spin­nen konnte. Dass ein Käfer es nicht ein­fach auf­gab, er würde sich nie und nie mehr befreien kön­nen, er konnte ja kaum noch die Beine zum Stram­peln bewe­gen. Oder doch, durch­blitzte mich ein Gedanke: ich könnte das Blatt wen­den. Ich könnte die Spinne stau­nen machen. Ich dachte das wirk­lich, dass die Spinne stau­nen würde, auch wenn Stau­nen ja Den­ken vor­aus­setzt, eine Erwar­tung zumin­dest, die aus der Erfah­rung ent­steht. Aber warum sollte ich der Spinne ihr Fres­sen neh­men, warum sollte ich den Käfer über die Spinne erhe­ben, wenn der Zufall es gerade anders ent­schie­den hatte. Ich schlug eine Mücke auf mei­nem Arm tot. „Hast du eine?“, fragte meine Älteste. Ich sagte: „Ja, jetzt schlaf“, und ging ans Fens­ter. Es war mehr eine Unruhe, wes­halb ich auf­ge­stan­den war, als dass ich hatte han­deln wol­len. Aber wie ich vor dem Netz stand und den ver­zwei­fel­ten Bewe­gun­gen des Käfers zusah, erlag ich der Ver­su­chung, Gott zu sein. Ich nahm einen Stroh­halm aus der Wand und zer­störte das Netz. Die Spinne floh an den Rand und ver­harrte dort. Der Käfer fiel auf das schmale Fens­ter­brett. Ich ver­suchte, ihn von sei­nen Fes­seln zu befreien. Aber die Fäden waren so anein­an­der geklebt und seine Beine ver­hak­ten sich umso mehr hin­ein, je ange­streng­ter ich ver­suchte, ihn aus­zu­wi­ckeln. Ich hatte ihm ein Bein raus­ge­ris­sen. Ich schwitzte und die Mücken summ­ten. Ich dachte, bes­ser ein Bein, er hat ja sechs, als das ganze Leben und nahm einen zwei­ten Stroh­halm zu Hilfe. „Was machst du da?“, fragte die Älteste und setzte sich im Bett auf. Sie durfte nicht kom­men jetzt, sie durfte nicht sehen, was ich gemacht hatte und die Spinne durfte sie auch nicht sehen. Ich wandte mich zu ihr um: „Ich habe nach­ge­dacht und so her­um­ge­spielt – jetzt schlaf wirk­lich, ich bin schon ganz müde“. Ich legte mich zu ihr und sie schlief ein. Als ich zurück­kam zum Fens­ter, war alles wie vor­her, der Käfer lag noch immer auf dem Rücken und stram­pelte mit sei­nen fünf Bei­nen. Das sechste hing in den kleb­ri­gen Fäden, die ich etwas von ihm abge­zo­gen hatte. Ich war wirk­lich müde und wäre gern lie­gen­ge­blie­ben, aber ich hatte es ange­fan­gen und nun musste ich es auch zu Ende brin­gen. Der Käfer klam­merte sich an den Stroh­hal­men fest, mit denen ich ihn zu befreien ver­suchte, was die Sache erschwerte. Für mich vor allem, weil ich ihn immer von dem, was ihm Ret­tung schien, weg­sto­ßen musste, um wei­ter­ma­chen zu kön­nen. Die Spinne lächelte. Viel­leicht nicht ein­mal bos­haft, son­dern weise. Was war nun gewon­nen: sie hatte kein Fres­sen, der Käfer würde viel lang­sa­mer ster­ben, als wenn ich sie ihr Werk hätte zu Ende brin­gen las­sen. Ich hätte sie gerne zer­tre­ten, aber sie schien mir unsterb­lich und ich fürch­tete ihre Rache oder die ihrer Art­ge­nos­sen. Über­haupt gab es nur eins, was jetzt noch rich­tig wäre: ich müsste den Käfer zer­tre­ten. Aber ich konnte das nicht, ich wollte von all dem nichts mehr wis­sen. Ich schal­tete die Taschen­lampe aus und legte sie neben das Bett der Kin­der. Die Kin­der schwitz­ten, die Mücken summ­ten wie ein Geschwa­der. Ich ging raus in die kühle Luft.

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