Aribert Janus Spiegler liest aus seinem Buch »Kressmann Taylor: Adressat unbekannt«
Ein Briefwechsel aus den frühen dreißiger Jahren dokumentiert, wie das Gift nationalsozialistischer Ideologie eine Freundschaft ruiniert. Die Geschichte eines feigen Verrats und der eiskalten Heimzahlung:
Die Freunde Max Eisenstein und Martin Schulze besitzen in San Francisco gemeinsam eine Kunstgalerie. Als Martin 1932 mit seiner Familie nach Deutschland heimkehrt, ersetzt eine innige Korrespondenz Beisammensein und vertraute Gespräche. Weltoffenheit und Liberalität, Lebensfreude und Großherzigkeit sprechen aus ihren ersten Briefen.
Als der Jude Max allerdings Anfang 1933 seinen Freund arglos nach »diesem Adolf Hitler« fragt, von dem man in Amerika liest, spürt man in Martins Antwort bei allen Vorbehalten auch die Faszination, die »der Führer« auf ihn ausübt. Tatsächlich sind Martins Zweifel am neuen Regime erschreckend schnell verschwunden. Während Max die Neuigkeiten aus Deutschland zunehmend beunruhigen, zumal seine Schwester Gisela als Schauspielerin den Wechsel von Wien nach Berlin erwägt, beginnt Martin eine Parteikarriere und verbittet sich weitere Briefe: »Es ist mir unmöglich, weiterhin einen Schriftwechsel mit einem Juden zu unterhalten«.
Doch die Sorge um Gisela, mit der Martin einst eine Affäre hatte und die Max daher dem Herzen seines Freundes immer noch nahe glaubt, macht weitere Briefe notwendig. Max beschwört Martin, ein Auge auf seine Schwester zu haben, als sie wirklich nach Berlin geht, und bittet ihn schließlich im November 1933 verzweifelt um Hilfe: Ein Brief an Gisela kam mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt« an ihn zurück. Martin reagiert nicht. Max erfährt, dass Gisela als Jüdin enttarnt und auf der Flucht von SA-Leuten ermordet wurde. Martin, bei dem sie noch Zuflucht suchte, hatte ihr die Tür gewiesen.
So kalt und unmenschlich wie Martins Tat, so fürchterlich ist die Rache, die ihn ereilt. Unaufhaltsam schreibt Max nun dem ehemaligen Freund Briefe, die sich wie codierte Geheimnachrichten lesen, und lenkt damit systematisch den Argwohn der Nazi-Zensur auf ihn. Martins Appell an den »alten Freund«, diese höchst verdächtigen Schreiben einzustellen, verhallt ungehört. Max führt die Vergeltung bis an ihr Ende: Im März 1934 kommt sein letzter Brief an Martin zurück nach San Francisco – mit dem Vermerk »Empfänger unbekannt«.
Die Lesung von Aribert Janus Spiegler aus Kressmann Taylors „Adressat unbekannt“ ist eine Begleitveranstaltung zu seiner Foto-Ausstellung „Gleis-Besetzung“ im Kultur: Haus Dacheröden.
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