Thüringer Anthologie Nr. 025 – Ron Winkler über Christian Rosenau

Person

Christian Rosenau

Thema

Die »Thüringer Anthologie«

Autor

Christian Rosenau / Ron Winkler

Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 06.09.2016.

Christian Rosenau

nach dem Regen

 

zog die helle Klinge des Mittags
über den gelich­te­ten Himmel.
drü­ben am Zaun stand die Nachbarin,
die Hände in die Hüf­ten gestemmt,
und hielt in der rech­ten eine Schere.
wer teilet, der ern­tet, sagte sie,
grüßte dann freund­lich und lächelte.
im Hof krähte ein Hahn. und zwischen
den Erd­bee­ren zu ihren Füßen
lagen lau­ter zer­schnit­tene Schnecken.

aus: die Initia­len der Vögel, Wei­mar 2005

 

Ron Winkler

Momente, die zu großer Bühne werden

 

Die Texte von Chris­tian Rosenau füh­ren uns oft dort­hin, wo All­tag in einer Ver­dich­tung kul­mi­niert: in einer Innig­keit zumeist, doch manch­mal auch düs­ter arran­giert. Es han­delt sich um zwar skiz­zen­hafte, doch sehr atmo­sphä­ri­sche Gedichte, die die schöne Schwebe zwi­schen Prä­gnanz und Rät­sel­haf­tig­keit hal­ten, so dass man sie immer wie­der lesen kann und mag.

Und sie haben Herz für die Details und für Momente, die kurz zu gro­ßer Bühne wer­den. So auch in »nach dem Regen«, einem wun­der­ba­ren Ele­men­tar­ge­dicht, in dem Zeit und Raum und Stimme eine Ein­heit bil­den. Es begeg­net uns wie mit den Fin­gern geschnippt, hat aber gute Tiefe. Der 2005 ent­stan­dene Text deu­tet auf non­cha­lante Art die klei­nen Bru­ta­li­tä­ten an, zu denen uns die Ambi­tio­nen oft ver­pflich­ten. Wer ern­ten will, muss durch die Wehen des Hegens und Pfle­gens. Kol­la­te­ral­schä­den inklu­sive. Libe­ra­li­tät hat, wenn es um einen selbst geht, im All­tag ihre Gren­zen. Hier trifft es Schne­cken, kleine Pla­ge­geis­ter, derer sich die Nach­ba­rin durch einen gänz­lich irdi­schen Prag­ma­tis­mus ent­le­digt. In einem Gedicht aus Rosen­aus aktu­el­lem Band schnappt eine Groß­mutter über der Kuchen­ta­fel eine Fliege mit der Hand, zer­reibt sie und isst wei­ter, »als ob nichts gewe­sen wär«. Kleine Tode sind Teil der Dinge.

Gleich­wohl lie­fert uns Rosenau das nicht als Bot­schaft. Seine Texte benut­zen die Poe­sie nicht als Ple­num eines kri­ti­schen Bewusst­seins. Auch nicht da, wo sein Stö­bern in Erin­ne­run­gen an die Kind­heit dort­hin vor­stößt, wo das Kind sozia­lis­ti­sche For­mung erfah­ren sollte. Rosenau bringt eher zum Klin­gen, was ihn inter­es­siert. Gedul­dig und gelas­sen, ja ein­ver­nehm­lich. Mit einer Meta­pho­rik mehr Licht als Fracht. Die Poe­sie will Ein­gang fin­den und Ein­gang sein. Und sie bewahrt ihren Charme, indem oft das Mit­ge­sagte das Zen­trum des Gesag­ten ist.

Und so fol­gen wir gern die­sen Gedich­ten, in denen sich das Ich mit Land­schaft oder Kind­heit speist, um die Abso­lut­heit von etwas zu erfas­sen oder seine Rela­tio­nen zu erfor­schen. Schritt für Schritt.

 

Bio­gra­phi­sche Angaben

  • Chris­tian Rosenau, Jahr­gang 1980, stu­dierte Musik an der Hoch­schule für Musik »Franz Liszt« in Wei­mar im Fach Gitarre. Er arbei­tet in Coburg und Wei­mar als frei­schaf­fen­der Schrift­stel­ler, Musi­ker und Musik­päd­agoge. 2010 erhielt er den Jury­preis des Lyrik­prei­ses Meran und 2011 das Lite­ra­tur­sti­pen­dium »Harald Ger­lach« des Frei­staats Thüringen.
  • Der Lyri­ker Ron Wink­ler, 1973 in Jena gebo­ren, lebt als freier Schrift­stel­ler und Über­set­zer von Lyrik aus dem anglo­ame­ri­ka­ni­schen Sprach­raum in Berlin.
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