Weimar – Ein literarischer Spaziergang zur Goethezeit
13 : Hector Berlioz – »An Liszt«

 Mann­heim. Wei­mar 1843

[…] Wir sind in Wei­mar. – Ich bin sehr krank. – Lobe und Che­ard ver­su­chen ver­ge­bens, mich wie­der auf den Damm zu brin­gen. – Vor­be­rei­tun­gen zum Kon­zert. – Ankündi­gung der ers­ten Probe. – Ich bekomme wie­der Lust. – Ich bin hergestellt.

So lass ich mir’s gefal­len; hier atme ich auf! Ich wit­tere et­was in der Luft, das auf eine Lite­ra­tur- und Kunst­stadt hin­weist! Ihr Anblick ent­spricht voll­kom­men der Vor­stel­lung, die ich mir davon gemacht hatte, sie ist ruhig, reich an Licht und Luft, voll Träu­me­rei und Frie­den; rei­zende Umgebun­gen, kla­res Gewäs­ser schat­tige Hügel, lachende Täler. Wie das Herz mir klopft beim Durch­wan­deln der Stadt! Sieh da, das Wohn­haus Goe­thes! Die Stätte, da der ver­stor­bene Groß­her­zog so gerne an den gelehr­ten Gesprä­chen von Schil­ler, Her­der, Wie­land teil­nahm! Diese latei­ni­sche In­schrift wurde vom Dich­ter des »Faust« in Fels gegra­ben! Ist’s mög­lich? In die­ser ärm­li­chen Dach­stube, die von zwei klei­nen Fens­tern Licht und Luft emp­fängt, hat Schil­ler gehaust? In die­sem nied­ri­gen Käm­mer­chen schrieb der große Sän­ger aller edeln Begeis­te­rung »Don Car­los«, »Maria Stuart«, die »Räu­ber«, den »Wal­len­stein«! Hier lebte er wie ein armer Stu­dent! Ach! Ich ver­zeihe es Goe­the nicht, dass er dies gelit­ten! Er, der rei­che Minis­ter … Hätte er nicht das Los sei­nes Freun­des, des Dich­ters, ver­bes­sern kön­nen? … Oder war nichts Ech­tes an die­ser berühm­ten Freund­schaft? … Ich fürchte, sie ist nur von Schil­lers Seite wahr­haft gewe­sen! Goe­the war zu eigen­lie­bend; ihm war ja auch sein Höl­len­sohn Mephisto teuer; er lebte zu lange, fürch­tete den Tod sehr.

Schil­ler! Schil­ler! Du hät­test einen weni­ger mensch­li­chen Freund ver­dient! Ich kann den Blick nicht von die­sen engen Fens­tern wen­den, von die­sem dun­keln Haus, die­sem elen­den schwar­zen Dach; es ist ein Uhr mor­gens, der Mond glänzt, die Kälte ist schnei­dend. Alles schweigt, alle sind sie tot … Nach und nach hebt sich meine Brust; ich zit­tere; über­wäl­tigt vor Ehr­furcht, Leid und den uner­mess­li­chen Gefüh­len, die der Genius manch­mal über das Grab hin­aus unbe­deu­ten­den Über­le­ben­den ein­flößt, sinke ich an der nie­dern Schwelle in die Knie, und lei­dend, prei­send, lie­bend, anbe­tend wie­der­hole ich: Schil­ler! … Schil­ler! … Schiller! …

 Weimar – Ein literarischer Spaziergang zur Goethezeit:

  1. Charlotte Krackow – »Herzogin Anna Amalia«
  2. Jakob Friedrich von Fritsch – »An Herzog Carl August«
  3. Herzog Carl August – »An Jakob Friedrich von Fritsch«
  4. Carl Wilhelm Heinrich Freiherr von Lyncker – »Schlittschuhfahren«
  5. Friedrich Schiller – »An den Herzog Carl August«
  6. Johanna Schopenhauer – »Brief an ihren Sohn Arthur«
  7. Eduard Genast – »Goethe auf der Probe«
  8. Johannes Daniel Falk – »Karfreitag 1821«
  9. John Russell – »Weimar«
  10. Carl Heinrich Ritter von Lang – »Bei Goethe«
  11. Julius Schwabe – »Schillers Schädel«
  12. Willibald Alexis – »Bei Goethe«
  13. Hector Berlioz – »An Liszt«
  14. William Makepeace Thackeray – »In Pumpernickel«
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