Der Blick auf die Dinge, die es zu hinterfragen lohnt. Zum Tod des Schriftstellers Matthias Biskupek – Von Jens Kirsten

Person

Matthias Biskupek

Ort

Rudolstadt

Thema

Nachrufe & Gedenken

Autor

Jens Kirsten

Thüringer Literaturrat e.V.

Ein Nach­ruf von Jens Kirsten

 

»Ich ver­suchte, im tie­fen thü­rin­gi­schen Schnee gera­de­aus zu gehen, erho­be­nen Haup­tes, ange­sichts der Unge­setz­lich­keit, lief aber gewiss im Hasen-Zick­zack. Ich wußte noch nicht, dass auch die Geschichte sich in Zick­zack­be­we­gun­gen abspielt.«

Das war in den 1970er Jah­ren und der Autor nicht zum ers­ten Mal in Thü­rin­gen. Heute, gut 40 Jahre spä­ter, ist die Thü­rin­ger Lite­ra­tur ohne die Stimme des Schrift­stel­lers, Publi­zis­ten, Lite­ra­tur­kri­ti­kers und Sati­ri­kers Mat­thias Bis­ku­pek nicht mehr zu den­ken. Am 11. April 2021 starb er nach lan­ger Krank­heit in Rudolstadt.

1950 in Chem­nitz gebo­ren, wuchs er in Mitt­weida auf und stu­dierte nach einer Lehre als Maschi­nen­bauer tech­ni­sche Kyber­ne­tik und Pro­zeß­mess­tech­nik in Mag­de­burg. Die­ser Beruf ver­schlug ihn Mitte der 1970er Jahre nach Rudol­stadt, was ein Glück für ihn, für die Stadt und für Thü­rin­gen war. Bestellt, im Che­mie­fa­ser­kom­bi­nat Schwarza, das bekannt­lich zu Rudol­stadt gehört, der Mes­sung und Qua­li­täts­kon­trolle hoch­vis­ko­ser Schmel­zen zu oblie­gen, fand er hier den Absprung aus den »hoch­schmel­zen­den Vis­ko­sen« (Bis­ku­pek) der Che­mie­in­dus­trie hin­ein in die Unge­wiss­heit der Kul­tur, die zunächst gar nicht so unge­wiss war, wie sie nach 1990 wer­den sollte. 1976 fand er am Thea­ter Rudol­stadt eine Anstel­lung als Regie­as­sis­tent und Dra­ma­turg, drei Jahre spä­ter wech­selte er als Dra­ma­turg und Tex­ter an das Geraer Kaba­rett »Fett­näpp­chen«. Nach einem Son­der­kurs am Leip­zi­ger Lite­ra­tur­in­sti­tut, das vie­len Schrift­stel­lern in der DDR als Sprung­brett in den Lite­ra­tur­be­trieb diente, wurde er frei­schaf­fen­der Schrift­stel­ler in Rudol­stadt und Ber­lin. Bis­ku­pek kon­zen­trierte sich mit all sei­ner Verve, sei­nem lite­ra­ri­schen Esprit und sei­nem Kön­nen aufs Schrei­ben. Gut 30 Prosa- und Lyrik­bände ent­stan­den, über zehn Künst­ler­bü­cher, etwa 50 Hör­spiele und Fea­tures für den Rund­funk, dane­ben Essays und meh­rere Herausgaben.

Wer Bis­ku­pek und sein Schrei­ben ver­ste­hen will, kommt an einem schma­len Bänd­chen nicht vor­bei: »Die gebo­rene Hei­mat. Spöt­ti­sche Lob­re­den«, erschie­nen 1999 in der von Wulf Kirs­ten her­aus­ge­ge­be­nen »Thü­rin­gen-Biblio­thek«. Darin schreibt der Autor über sich und sein Ver­hält­nis zu Thü­rin­gen, zu Deutsch­land, zu unse­rer Gesell­schaft. Wer darin liest, ver­steht, was den Schrift­stel­ler und den Men­schen Bis­ku­pek zeit­le­bens umge­trie­ben hat: was es für ihn bedeu­tete, mit gespro­che­ner und geschrie­be­ner Spra­che umzu­ge­hen, sich mit der eige­nen und mit­hin der deut­schen Geschichte und Gegen­wart aus­ein­an­der­zu­set­zen. Bis­ku­pek war nie einer, der etwas ver­schwieg, wenn es darum ging, Miß­stände auf­zu­zei­gen, Befind­lich­kei­ten iro­nisch oder sati­risch auf­zu­spie­ßen. Über das eigene Schrei­ben ver­gaß er auch nie, sich für andere ein­zu­set­zen. Was in vie­len Fäl­len hieß, sich in gesell­schaft­li­che Dis­kurse ein­zu­mi­schen, ob im För­der­ver­ein des Thea­ters Rudol­stadt, des­sen lang­jäh­ri­ger Vor­sit­zen­der er war, ob in lite­ra­ri­schen Debat­ten um die Thü­rin­ger und die deut­sche Lite­ra­tur, in lite­ra­ri­schen Ver­ei­nen, im P.E.N., dem Thü­rin­ger Lite­ra­tur­rat, des­sen Spre­cher er mit Frank Simon-Ritz nach des­sen Grün­dung war, ob in Zeit­schrif­ten wie der »Welt­bühne«, »Ossietzky« oder dem »Eulen­spie­gel«. Mat­thias Bis­ku­pek ver­stand es, den Unzu­läng­lich­kei­ten des Mensch­li­chen mit Spott und Iro­nie zu begeg­nen und dem, der gewillt ist, einen Blick zu ris­kie­ren, einen Spie­gel vor­zu­hal­ten. Man­cher ver­stand es nicht und beschwerte sich. Meist ohne Erfolg. Bis­ku­pek hielt unan­ge­brachte Kri­tik (Befind­lich­kei­ten) gelas­sen aus, da das, was er geschrie­ben hatte, geschrie­ben wer­den musste. Zum Bei­spiel ein »Sai­so­na­les Gele­gen­heits­ge­dicht«, eine »Bau­an­lei­tung mit Hil­fe­stel­lung«, für all jene, die der lyri­schen Dis­zi­plin ohne Respekt begegnen.

Schläf­rig schau­kelt der (Jah­res­zeit)
In (mehr­far­bi­ges Substantiv).
Der (ein­far­bi­ges Sub­stan­tiv) verbreitet
(Mor­gen­kühle / Abend­sonne / Abschiedsstimmung).
Matt tau­meln die (Insek­ten­art)
Über (Land­schaft / Wasserfläche).
(Das lyri­sche Ich) kehrt
(Vege­ta­ti­ons­pro­dukt) zusammen.
Es wird (Jah­res­zeit).

Wer Mat­thias Bis­ku­peks Bücher liest, fin­det nicht nur Hil­fe­stel­lung, son­dern auch den genauen Blick auf die Dinge, die es zu hin­ter­fra­gen lohnt und sei­nen unver­wech­sel­ba­ren Ton – er wird uns fehlen.

Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/trauer-um-matthias-biskupek/]