Matthias Biskupek – » Das literarische Rudolstadt«

Personen

Ulrich Kaufmann

Matthias Biskupek

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Ulrich Kaufmann

Erstdruck in: Palmbaum - literarisches Journal aus Thüringen 1/2021.

Gele­sen von Ulrich Kaufmann

Ein Tau­send­sassa als Literaturhistoriker

 

Wer sonst hätte die­ses Buch schrei­ben kön­nen?: Mat­thias Bis­ku­pek nutzt sei­nen Heim­vor­teil – wohnt er doch in der Schil­ler-Straße, einen Kat­zen­sprung vom Schil­ler-Haus ent­fernt. Er ist ein Taus­send­sassa: Seine umfang­rei­che Biblio­gra­phie zeigt, dass er sich in Essays und in Bei­trä­gen für den Hör­funk bereits vorab etwa mit Schil­ler und Fal­lada, den zeit­weise in Rudol­stadt Ansäs­si­gen, beschäf­tigt hatte. Bis­ku­pek kennt die aktu­elle Lite­ra­tur­szene im Thü­rin­gi­schen wie nur wenige, wusste indes­sen auch immer, was in Ber­lin – dem zwei­ten Ort sei­nes Schaf­fens – gespielt wurde und wird. Über die Schwe­ri­ner Poet­en­se­mi­nare kam er in die Szene, war Kaba­rett­au­tor in Gera und Rudol­stadt und arbei­tete als Dra­ma­turg am Rudol­städ­ter Thea­ter – im Volks­mund seit Jahr­hun­der­ten als »Brat­wurscht­bude« bekannt. Er ist seit Jahr­zehn­ten Autor des »Eulen­sie­gel«, etli­cher Tages­zei­tun­gen und des »Palm­baum«. Schon vor dem Umbruch wurde B. in jedem (Lite­ra­tur-) »Kri­ti­ker­se­mi­nar« in der Rudol­städ­ter Lud­wigs­burg gesich­tet, nach der Wende gehörte er zum »Lite­ra­ri­schen Quar­tett« – frei­lich zu jenem, das im Thü­rin­gi­schen agierte. In den Wen­de­un­ru­hen stand er orga­ni­sa­to­risch an der Spitze der Thü­rin­ger Autoren. Des »Rent­ner­lehr­lings« sati­ri­sche Erzäh­lun­gen und Essays, sein Thea­ter­ro­man, auch seine Gedichte sind vie­len Lesern geläufig.

Das Buch, her­aus­ge­ge­ben von der Stadt Rudol­stadt, darf man einen Pracht­band nen­nen, den sich Bis­ku­pek selbst zum run­den Geburts­tag schenkte. Gestal­tung und Satz (Alex­an­der Bern­hardt) sind vor­züg­lich: Der Text und vor allem, die zum Teil sel­te­nen Bil­der haben Platz, kön­nen atmen. Auf dem dicken, mat­ten Papier (Rebec­ca­De­sign natu­ral) kommt das Dar­ge­bo­tene ange­mes­sen zur Wir­kung. Ledig­lich die Bild­un­ter­schrif­ten hätte sich der Beck­mes­ser – ein­gangs zur Mit­ar­beit aus­drück­lich ein­ge­la­den – etwas grö­ßer gewünscht.

Der indes­sen sieb­zig­jäh­rige Autor kann mit Freude und Spott geist­reich erzäh­len. Geschrie­ben hat er das Buch zur Zeit einer höchst bedroh­li­chen, gesund­heit­li­chen Krise. Im Vor­wort merkt er dies knapp an, im Text spürt dies der Leser nicht. Sein Buch lebt auch von Anek­do­ten, Wit­zen, von Kalau­ern und Lite­ra­ten-Klatsch. Immer wie­der wer­den die Riva­li­tä­ten zwi­schen der Resi­denz­stadt und der benach­bar­ten Arbei­ter­stadt Saal­feld thematisiert.

Bis­ku­pek hat als Essay­ist den Vor­teil, dass er keine Voll­stän­dig­keit anstre­ben oder vor­gau­keln muss. Er kann sich mit Lust sei­nen Favo­ri­ten wid­men und dabei Lücken in Kauf nehmen.

Der gedank­li­che Bogen spannt sich von der Zeit des Barock bis in unser Jahr­hun­dert. Gleich zwei Kapi­tel han­deln von Schil­ler, der sich bekann­ter­ma­ßen lange zwi­schen den rei­zen­den Schwes­tern Caro­line und Char­lotte von Len­ge­feld nicht ent­schei­den konnte. Im Gegen­satz zu Goe­the war Schil­ler mehr­fach im Rudol­städ­ter Musen­tem­pel zuge­gen, zumal man hier »Wal­len­steins Lager« und »Die Räu­ber« gab. Eine Schlacht, die Schil­ler in sei­nem Erst­ling schil­dert, wurde laut und authen­tisch hin­ter dem Thea­ter­ge­bäude von einer ein­hei­mi­schen Gar­ni­sion geschla­gen. »Wahr­lich, es ist eine gute Tat des Mili­tärs«, lesen wir bei Bis­ku­pek, »wenn es, statt mit hel­den­haf­ten Rufen auf den Lip­pen für Gott, Füh­rer und Vater­land zu schie­ßen und zu töten, für die Kunst tätig wird.«

»Das Duell am Uhu­fel­sen«, der geplante Dop­pel­selbst­mord der Gym­na­si­as­ten Dit­zen (Fal­lada) und von Necker, wird in der Tra­di­tion von Paul Schmidt-Elgers ein­drucks­voll – auch im Bild­teil –doku­men­tiert. Unbe­dingt lesens­wert ist zudem das Kapi­tel »Inge und Dor­chen – Ein-Ehe­aus­bruch«. Im Zen­trum steht die weit über Thü­rin­gens Gren­zen hin­aus bekannte Schau­spie­le­rin und Schrift­stel­le­rin Inge von Wan­gen­heim, die in Rudol­stadt mit der frü­he­ren Sekre­tä­rin ihres Man­nes in kon­flikt­rei­cher Part­ner­schaft lebte.

Und natür­lich wird die bewegte Geschichte des Grei­fen­ver­la­ges erzählt – von Karl Diet­zens Anfän­gen in der Wan­der­vo­gel-Bewe­gung bis in die Nach­wen­de­zeit. Bis zur Mitte der 60 er Jahre wurde der Ver­lag pri­vat geführt, dann ver­staat­licht. Von den knapp beleuch­te­ten Wirr­nis­sen der Nach­wen­de­zeit ganz zu schweigen…

Zu den nam­haf­ten Autoren des Ver­la­ges zähl­ten Paul Zech, Max Hodann, Vik­tor Klem­pe­rer, Erich Loest, Lan­dolf Scher­zer und viele andere. Der Bayer Diez hat auch seine Lands­leute Feucht­wan­ger und Graf ver­legt. Von Oskar Maria Graf fan­den sich 83 Briefe im Ver­lags­ar­chiv, die – dies sei ergänzt – 1994 vom Palm­baum­grün­der Det­lef Igna­siak und dem Rezen­sen­ten ediert wurden.

Auch Autoren von regio­na­ler Bedeu­tung wie der Hei­mat- und Mund­art­dich­ter Anton Som­mer (1816–1888) und die in Blan­ken­burg gebo­rene Toni Schwabe (1877–1951) erfah­ren Wür­di­gung. Der Volks­er­zäh­ler Erwin Stritt­mat­ter, der vor 1945 in der Region lebte und arbei­tete, hat Toni Schwabe, die 1926 einen Goe­the-Roman schrieb, mit dem lie­be­voll-hei­te­ren Text »Meine Freun­din Tina Babe« ein lite­ra­ri­sches Denk­mal gesetzt.

Ledig­lich das vor­letzte Kapi­tel ist nicht so kom­pakt, es zer­fa­sert etwas. Schon der Unter­ti­tel deu­tet dies an: »Lite­ra­ri­sches Leben von Jena bis Saal­feld«. Die­ser Lese­r­ein­druck ist der ein­fa­chen Tat­sa­che geschul­det, dass Bis­ku­pek ins Offene bli­cken muss: Weder für Schil­ler – für den Rudol­stadt die »heim­li­che Geliebte« blieb – noch für Fal­lada, wie ebenso wenig für Harald Ger­lach oder für Inge von Wan­gen­heim war Rudol­stadt auf Dauer der Lebens­mit­tel­punkt. Offen ist der Schluss auch inso­fern, als Bis­ku­pek auf einige sei­ner leben­den Kol­le­gi­nen und Kol­le­gen blickt.

Nicht nur um das Dut­zend »voll­zu­ma­chen«, schal­tet sich am Ende ein nam­haf­ter, in Rudol­stadt geblie­be­ner Autor life zu – mit einer »Humo­reske zum Leben in der Pro­vinz«. Es ist – wenn wun­dert es? – Mat­thias Bis­ku­pek selbst, der drei hin­ter­grün­dige, mund­art­lich geprägte Mono­loge zum Bes­ten gibt. Wie­der ein­mal hat er dem Volk aufs Maul geschaut, wie­der ein­mal bekom­men die Saal­fel­der ihr Fett ab…

 

Diesen Artikel teilen:

Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio

Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]

URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/matthias-biskupek-das-literarische-rudolstadt/]