Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal
8 : Schloss Schwarzburg

Person

Karl Emil Franzos

Ort

Schwarzburg

Thema

Thüringen im literarischen Spiegel

Autor

Karl Emil Franzos

Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.

Das inter­es­san­teste Bau­werk Schwarz­burgs ist natür­lich das Schloß. Es ist an sich nicht schön, aber es hat eine herr­li­che, unter allen Fürs­ten­sit­zen Deutsch­lands viel­leicht die herr­lichste Lage, und vor allem: es hat Cha­rak­ter. Etwas nüch­tern, aber gedie­gen und hei­ter, nach Zweck und Emble­men ein rie­si­ges Jagd­schloß, paßt es zu dem gesun­den, froh­ge­mu­ten, nie her­vor­ra­gen­den, aber im Durch­schnitt pflicht­treuen Geschlecht der Wald- und Jagd­gra­fen, deren Wohn­stätte es seit grauen Tagen ist, der eins­ti­gen Erb­jä­ger­meis­ter Deutsch­lands. Mit den Schwarz­bur­gern ver­gli­chen sind, was ihren Stamm­baum betrifft, die meis­ten deut­schen Fürs­ten­häu­ser Empor­kömm­linge; zwar ihr Ahn­herr Gün­ther, der von Boni­fa­cius getaufte heid­ni­sche Thü­rin­ger, ist in Wahr­heit nicht von trot­zi­gen Hei­den, son­dern von devo­ten Chris­ten erzeugt wor­den, von Hof­ge­nea­lo­gen des 16. Jahr­hun­derts, aber wenn nicht schon vor 1300, so saßen doch die Schwarz­bur­ger sicher­lich bereits vor 1000 Jah­ren auf die­ser Burg und waren die Beherr­scher die­ser Jagd­gründe, anfangs als Dynas­ten, dann als Reichsgrafen.

Ihre Geschichte war immer die ihres Gaus; ihr Tun, ob nun weise oder töricht, nutz­los oder erfolg­reich, immer nur auf dies Wald­land gerich­tet und in seine Gren­zen gebannt; einen ein­zi­gen abge­rech­net, haben sie sich nicht um die Welt geküm­mert und die Welt nicht um sie. Auch die­sen ein­zi­gen hat nicht sein eige­ner Wille, son­dern das Drän­gen ande­rer zu kur­zem, ihm ver­häng­nis­vol­len Glanz erho­ben; Gün­ther XXI. war schön und stark, tap­fer und rit­ter­lich, aber weder klug noch ehr­gei­zig; 1349 von den Geg­nern des Paps­tes und der Luxem­bur­ger zum deut­schen König gewählt, wurde er wenige Monate spä­ter durch Gift hin­weg­ge­räumt. Zur Erin­ne­rung nah­men seine Nach­kom­men den Reichs­ad­ler zum Wap­pen an, aber her­vor­ge­tan hat sich seit­her kei­ner von ihnen, durch Gutes so wenig wie durch Schlim­mes. Die Her­ren taten immer wie ihre Nach­barn, sie füg­ten sich der thü­rin­gi­schen, dann der säch­si­schen Ober­ho­heit, so lang es sein mußte, und schüt­tel­ten sie ab, so bald es sein konnte, sie raff­ten an Land und Rech­ten zusam­men, was erreich­bar war, teil­ten es, als die­ser ver­häng­nis­volle Brauch unter die deut­schen Fürs­ten kam, in die win­zigs­ten Par­zel­len und such­ten sie dann, als er auf­hörte, wie­der zu ver­ei­ni­gen, mit Güte, noch öfter mit Gewalt. Gleich den ande­ren wur­den sie im 16. Jahr­hun­dert evan­ge­lisch, kauf­ten sich im 17. Jahr­hun­dert einen höhe­ren Stand (die Reichs­fürs­ten­würde) und die damals gleich­falls all­ge­mein übli­chen Mätres­sen, trie­ben im 18. die Sol­da­ten­spie­le­rei und wur­den im 19. kon­sti­tu­tio­nell, um es mit klei­nen Sei­ten­sprün­gen ins Reak­tio­näre zu blei­ben. Viel Geld hat­ten sie nie, aber auch nie viel Schul­den. Und dies sieht man auch ihrem Hause an; es ist statt­lich und wohn­lich, aber nicht prunkvoll.

[…]

Es ist also in sei­ner heu­ti­gen Gestalt ein Bau aus der Zeit, wo noch das Rokoko in Deutsch­land herrschte, wirkt aber in sei­ner Nüch­tern­heit und Steif­heit wie ein Vor­läu­fer des Zopf­stils; einige Par­tien, die spä­ter hin­zu­ka­men, nament­lich der Mit­tel­bau des west­li­chen Flü­gels mit sei­nen ioni­schen Säu­len und korin­thi­schen Pilas­tern zei­gen die­sen Stil in schar­fer Aus­prä­gung, nament­lich auch in der rein äußer­li­chen Anfü­gung anti­ki­sie­ren­den Schmucks an unge­glie­derte Kaser­nen­wände. Der Bau ist natür­lich von allen Höhen um Schwarz­burg sicht­bar, und das weiß­graue gewal­tige Gemäuer wirkt durch seine Lage, durch den Gegen­satz zum Grün ringsum dem Auge immer freund­lich; in der Nähe hat es wohl noch nie­mand schön gefun­den. Aber gedie­gen und statt­lich, sagt ich schon, ist es, und wer auf dem Schloß­hof steht, über­sieht ein Städt­chen im klei­nen: eine Kapelle, ein Palais, ein Zeug­haus, eine Schloß­wa­che, Wohn­häu­ser der Beam­ten, Die­ner­häu­ser, Ställe und Schup­pen, alles prak­tisch und sau­ber und ebenso solid wie nüchtern.

Selbst die offen­bar kürz­lich restau­rierte Kapelle macht die­sen Ein­druck; im Innern ist sie mit schwar­zen Mar­mor- und wei­ßen Ala­bas­ter­plat­ten geschmückt. Als ich ein­trat, waren zwei Damen in der Kapelle. »Herr­lich schön!« sagte die eine. »Und sieh nur: die preu­ßi­schen Far­ben!« fügte die andere begeis­tert hinzu. Das letz­tere finde ich rich­tig, das ers­tere nicht. Unter der Kapelle ist eine Gruft, in der Schwarz­bur­ger Fürs­ten des 17. und 18. Jahr­hun­derts bei­gesetzt sind. Sie ist nicht zugäng­lich, aber ein Kauf­mann aus Bre­men erzählte mir an der Table d’hôte stolz, er habe sich durch Geld und gute Worte den Ein­gang ver­schafft. »Ordent­lich appe­tit­lich sieht’s da aus«, ver­si­cherte er, »wie in einer Küche! Und wenn man so denkt: das waren einst Fürs­ten« – er hob den Zei­ge­fin­ger – »regie­rende Fürs­ten, und jetzt sind sie tot! Den­ken Sie mal dar­über nach: wie ver­gäng­lich ist irdi­sche Größe!« Der Mann hat über­haupt viel für meine innere Ver­tie­fung getan; einige andere Pro­ben davon werde ich noch mitteilen.

Das Innere des Schlos­ses habe ich gese­hen. Das Schönste daran ist die herr­li­che Aus­sicht, fast aus jedem Raum ein ande­res Land­schafts­bild und jedes gleich ent­zü­ckend, aber hübsch ist auch die Ein­rich­tung meh­re­rer Gemä­cher, ein­heit­lich in Rokoko oder Zopf, nichts Beson­de­res, aber geschmack­voll. Nur von den Bil­dern ist bei bes­tem Wil­len wenig Gutes zu sagen; viele sind nur Kuriosa. So ent­hält zum Bei­spiel das Pfer­de­zim­mer 246 (kein Schreib­feh­ler!) kleine Por­träts von Pfer­den und Rei­tern; die meis­ten hat Fürst Lud­wig Gün­ther IV. (1767–1790) eigen­hän­dig gemalt. Wie die Gemälde Fried­rich Wil­helm I. im Pots­da­mer Stadt­schloß eine kleine Eigen­tüm­lich­keit auf­wei­sen – die Men­schen haben zwei linke Beine –, so auch diese eines klei­ne­ren Poten­ta­ten: die Köpfe der Pferde und Rei­ter sind zu klein, hin­ge­gen die Hälse zu lang und dick und die Hin­ter­teile von Mensch und Tier gera­dezu gigan­tisch. Anders als in ande­ren Köp­fen malte sich in die­sem der aller­dings unent­behr­li­che Kör­per­teil. Mein Bre­mer war ent­zückt. »Dritt­halb hun­dert Bil­der – und dabei hat er immerzu regiert! Wenn das ein Künst­ler tut, so tut er’s für Brot; er hat’s für die Kunst getan. Und die rechte Schu­lung fehlt, sagen Sie? Nun also! Den­ken Sie mal dar­über nach: jedes Talent ist angeboren!«

 Karl Emil Franzos – Im Schwarzatal:

  1. Das provisorische Nachtquartier – Von Erfurt nach Oberhof
  2. »Die Marlitt als Geschäftsfrau« – Von Arnstadt nach Stadtilm
  3. »Hasenscharten, Kobolde und Wassermänner« – Von Stadtilm nach Oberrottenbach
  4. »Langsam, langsam, ich hab Zeit« – Von Oberrottenbach nach Schwarzburg
  5. »Thüringer Hof« oder »Weißer Hirsch« – Quartiersuche in Schwarzburg
  6. Im »Weißen Hirsch« zu Schwarzburg
  7. Ein Gesetzesentwurf für die Thüringer Gastronomie
  8. Schloss Schwarzburg
  9. Das Zeughaus
  10. Ausflug zum Trippstein
  11. Von der Fasanerie ins Schwarzatal
  12. Von Schwarzburg nach Blankenburg
  13. Am »Schweizerhaus«
  14. Blankenburg
  15. Der Greifenstein
  16. Der erste Kindergarten der Welt
  17. Im Werretal
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