Kafka in Weimar – Ein literarischer Spaziergang
2 : Nächtlicher Gang zum Goethehaus

Personen

Max Brod

Franz Kafka

Ort

Goethe-Nationalmuseum und Goethe-Wohnhaus

Thema

Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution

Autor

Mirijam Habel

Thüringer Literaturrat e.V.

Nach ihrer Ankunft in Wei­mar suchen die Pra­ger Tou­ris­ten trotz müder Füße bei Ein­bruch der Nacht das Goe­the­haus auf. Ange­sichts der »Urkraft Goe­thes« betrach­ten sie es in ver­eh­rungs­vol­ler Dank­bar­keit ein­ge­hend und legen für einen Moment der Besin­nung ihre Hände gegen des­sen Mauer. 

Gang in der Nacht zum Goe­the­haus. Sofor­ti­ges Erken­nen. Gelb­braune Farbe des Gan­zen. Fühl­bare Betei­li­gung unse­res gan­zen Vor­le­bens an dem augen­blick­li­chen Ein­druck. Das Dun­kel der Fens­ter der unbe­wohn­ten Zim­mer. Die helle Juno­büste. Anrüh­ren der Mauer. Ein wenig her­ab­ge­las­sene weiße Rou­leaux in allen Zim­mern. 14 Gas­sen­fens­ter. Die vor­ge­hängte Kette. Kein Bild gibt das Ganze wie­der. Der unebene Platz, der Brun­nen, die dem anstei­gen­den Platz fol­gende gebro­chene Bau­li­nie des Hau­ses. Die dunk­len etwas läng­li­chen Fens­ter in das Braun­gelbe ein­ge­legt. Das auch an und für sich auf­fal­lendste bür­ger­li­che Wohn­haus in Weimar.

Am nächs­ten Tag, es ist Sonn­tag, der 30. Juni, besu­chen sie das Goe­the­haus und besich­ti­gen es aus­gie­big von innen. Goe­the­haus, Reprä­sen­ta­ti­ons­räume. Flüch­ti­ger Anblick des Schreib- und Schlaf­zim­mers. Trau­ri­ger an tote Groß­vä­ter erin­nern­der Anblick. hält Kafka in sei­nem Bericht fest, des­sen Nüch­tern­heit einer­seits zuwei­len ver­blüfft, wel­ches jedoch ande­rer­seits durch Kaf­kas genaue Beob­ach­tungs­gabe, die er lite­ra­risch meis­ter­lich umzu­set­zen ver­steht, nach­ge­rade zu einem Dreh­buch ihres Besu­ches gerät.

Im Bericht Max Brods deu­tet sich an, dass Kafka hier das Vor­drin­gen der Poe­sie in sein Leben erfährt, indem sich zwi­schen ihm und der kaum sech­zehn­jäh­ri­gen Toch­ter des Goe­the­haus-Ver­wal­ters, Mar­ga­re­the Kirch­ner, eine ganz kleine zarte Bezie­hung anbahnt, die aller­dings recht ein­sei­tig von Franz Kafka ausgeht.

 Schon als wir im Trep­pen­haus unten saßen, lief sie mit ihrer klei­nen Schwes­ter an uns vor­über. Der Gips­ab­guss eines Wind­spiels, der unten im Trep­pen­haus steht, gehört in mei­ner Erin­ne­rung mit zu die­sem Laufen.

Infol­ge­des­sen wird sich Kafka mehr­mals, um nicht zu sagen täg­lich, im Goe­the­haus ein­fin­den. Kurz, er nutzt jede sich bie­tende Gele­gen­heit, um Mar­ga­re­the Kirch­ner zu sehen. Eine beson­dere Rolle spielt dabei der Gar­ten des Goe­the­hau­ses. Mar­ga­re­the Kirch­ner gibt Kafka und Brod die Erlaub­nis, sie um sechs Uhr nach der Schlie­ßung im Gar­ten des Muse­ums zu treffen.

Gar­ten­zim­mer. Ihre Schritte und ihre Stimme glaubte ich noch öfters zu hören. Zwei Nel­ken durch das Bal­kon­ge­län­der gereicht. Zu spä­ter Ein­tritt in den Gar­ten. Max sieht sie oben auf einem Bal­kon. Sie kommt her­un­ter, spä­ter erst, mit einem jun­gen Mann. Ich danke im Vor­über­ge­hen dafür, dass sie uns auf den Gar­ten auf­merk­sam gemacht hat. Wir gehen aber noch nicht weg. Die Mut­ter kommt, es ent­steht Ver­kehr im Gar­ten Sie steht bei einem Rosen­strauch. Ich gehe von Max gesto­ßen hin, erfahre vom Aus­flug nach Tiefurt.

Der 3. Juli 1912 ist Kaf­kas 29. Geburts­tag, den er in sei­nem Bericht mit kei­nem Wort erwähnt. Auf einer Bank im Gar­ten des Goe­the­hau­ses ent­steht ein Foto, das Mar­ga­re­the Kirch­ner mit Franz Kafka zeigt.

Goe­the­haus. Es soll im Gar­ten pho­to­gra­fiert wer­den. Sie ist nicht zu sehn, ich darf sie dann holen. Sie ist immer ganz zitt­rig von Bewe­gung, bewegt sich aber erst, wenn man zu ihr spricht. Es wird pho­to­gra­phiert. Wir zwei auf der Bank.

 Kafka in Weimar – Ein literarischer Spaziergang:

  1. Logiergäste im Hotel Chemnitius
  2. Nächtlicher Gang zum Goethehaus
  3. Ein Vormittag im Schillerhaus
  4. Kafka beobachtet das Goethehaus
  5. Ein Spaziergang nach Tiefurt
  6. Brod und Kafka baden im »Stadtteich«
  7. Besuch der Großherzoglichen Bibliothek
  8. Spaziergang mit Fritz Wenski im Park
  9. Gang über den Historischen Friedhof
  10. Ausflug nach Belvedere
  11. Begegnung mit dem Schriftsteller Paul Ernst
  12. Begegnung mit dem Dichter Johannes Schlaf
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