Juliane Karwath – »Die Abenteuer des Müllers Crispin«

Person

Christoph Schmitz-Scholemann

Ort

Weimar

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Christoph Schmitz-Scholemann

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Gele­sen von Chris­toph Schmitz-Scholemann


Wie wirk­lich ist die Wirklichkeit?

Einige Bemer­kun­gen über das neu auf­ge­legte Buch der Wei­ma­rer Autorin Juliane Karwath

 

Vor weni­gen Wochen erschien im Coes­fel­der Elsi­nor-Ver­lag die Erzäh­lung »Die Aben­teuer des Mül­lers Cris­pin«. Geschrie­ben hat sie Juliane Kar­wath, die 1877 in Straß­burg gebo­ren wurde und lange Jahre als Leh­re­rin und Schrift­stel­le­rin in Wei­mar lebte.

Das Buch erzählt aus dem Leben eines jun­gen Mül­lers. Junge Mül­ler erleb­ten frü­her bekannt­lich viel, das Wan­dern war ihre Lust und bei Aus­übung die­ser Lust gerie­ten sie – was ja auch ihrer Absicht ent­sprach – in fremde, traum­hafte Gegen­den, lern­ten junge Mäd­chen ken­nen und ver­irr­ten sich oft in wun­der­li­che und/oder gefähr­li­che Lebens­la­gen. So geht es auch Juliane Kar­waths Mül­ler Cris­pin. Er hat mit Wöl­fen zu tun und mit Wer­wöl­fen, mit der schö­nen Eva-Maria, mit der hei­li­gen Wal­pur­gis, einem Bären­füh­rer, einem wage­mu­ti­gen Schatz­su­cher, wil­den Schie­ße­reien und vor allem mit dem wun­der­li­chen Mar­tin Pum­phut, der durch die Lande zieht und gei­zige Mül­ler­meis­ter bestraft, indem er ihre Mühl­bä­che »ste­hen lässt«. Es tut sich eine Welt vol­ler Über­ra­schun­gen auf, fast nichts endet so, wie man es erwar­tet, man kommt aus dem Stau­nen nicht her­aus beim Lesen, fragt sich oft genug, ob man in einen Traum oder eine Sage gera­ten ist, und schon geht es hin­ter der nächs­ten Böschung wie­der ganz rea­lis­tisch wei­ter. Wahr und Falsch, Gut und Böse sind schwer von­ein­an­der zu unter­schei­den. Nur eines ist sicher: Die Geschichte vom Mül­ler geht gut aus, Cris­pin bekommt eine schöne Mül­le­rin, wenn auch erst ganz am Schluss. Oder ist auch das wie­der nur eit­ler Schein? Gibt es über­haupt so etwas wie Wahr­heit und Wirk­lich­keit in der Lite­ra­tur? Wir kön­nen Cris­pin nicht fra­gen, denn er exis­tiert ja nur inner­halb des Buches und selbst da weiß er kaum, wer er ist. Auch Juliane Kar­wath kön­nen wir nicht mehr fra­gen, denn sie starb 1931 in Ober­wei­mar, wo sie in den bei­den letz­ten Jah­ren ihres Lebens wohnte.

Wie­der­ent­deckt wurde das seit einem knap­pen Jahr­hun­dert ver­ges­sene Buch, das so meis­ter­haft mit unse­rer Phan­ta­sie spielt, von Mar­tin A. Völ­ker. Er lebt als Schrift­stel­ler und Lite­ra­tur­ar­chäo­loge in Ber­lin und hat dem Buch ein hoch­in­ter­es­san­tes Nach­wort hin­zu­ge­fügt: »Über das Als-Ob in der Lite­ra­tur«. Völ­ker nimmt damit Über­le­gun­gen des Phi­lo­so­phen Hans Vai­hin­ger (1852–1933) auf, der, ver­ein­facht gespro­chen, den viel­fäl­ti­gen Nut­zen von Fik­tio­nen für Den­ken und Leben unter­sucht hat. Gerade in die­sen Wochen und Mona­ten, in denen Poli­tik, Medien und Gesell­schaft ganz unter­schied­li­che Wel­ten aus algo­rith­mi­sier­ten Pro­gno­sen und Ver­schwö­rungs­sze­na­rien zu bauen ver­su­chen, erle­ben wir, dass nicht nur die lite­ra­ri­sche, son­dern auch die »wirk­li­che« Wirk­lich­keit viel Ähn­lich­keit mit Fik­tio­nen hat, gebaut auch aus Angst, Hoff­nung und Zahlen.

Unterm Strich: Ein skur­ri­les Mär­chen mit über­ra­schen­dem Tiefgang!

 

  • Juliane Kar­wath: Die Aben­teuer des Mül­lers Cris­pin. Her­aus­ge­ge­ben von Mar­tin A. Völ­ker. Elsi­nor Ver­lag Coes­feld. 1. Aufl. 2022. Bro­schiert. 160 Sei­ten. 16,00 €.
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